Bahnfahren mit induktiver Energieübertragung

Spulen erzeugen ein elektromagnetisches Feld zur induktiven Energieübertragung. (Foto: KIT)<br>

Wissenschaftler vom Institut für Fahrzeugsystemtechnik am KIT erforschen nun, wie dieses Verfahren auch im Schienen- und Straßenverkehr genutzt werden kann. Die neue Technik kann langfristig Oberleitungen ersetzen – das ermöglicht unter anderem eine höhere Flexibilität der Fahrzeuge im Stadtverkehr.

Straßenbahnen beziehen ihre elektrische Energie bisher über den Stromabnehmer, also über eine Vorrichtung an Fahrzeugen, die elektrische Energie von der Oberleitung zu den elektrischen Einrichtungen des Fahrzeugs führt. Wind, Regen oder Schnee können die Funktion der Oberleitungsanlagen beeinträchtigen. „Der Nachteil dieser Methode ist, dass die Verbindungen durch die Reibung hohen mechanischen Belastungen und hohem Verschleiß ausgesetzt sind“, erklärt Professor Peter Gratzfeld, einer der Leiter des Instituts für Fahrzeugsystemtechnik. „Außerdem stören Oberleitungen oftmals das Stadtbild, wenn durch sie beispielsweise der Blick auf ein historisches Bauwerk beeinträchtigt wird.“

Deshalb sucht die Forschergruppe um Gratzfeld nun neue Wege, um die Straßenbahnen mit der notwendigen elektrischen Energie zu versorgen. In Versuchen konnte bereits nachgewiesen werden, dass die induktive Übertragung von mehr als 100 Kilowatt Leistung technisch funktioniert. Diese Leistung kann sowohl während eines Halts des Fahrzeugs als auch während der Fahrt übertragen werden. Die induktive Energieübertragung erfolgt dabei nach den Gesetzen der elektromagnetischen Induktion über zwei Spulen: Eine Spule (Primärspule) wird zwischen den Schienen verlegt, die zweite Spule (Sekundärspule) an der Fahrzeugunterseite angebracht. An den Spulen entsteht durch die Änderung des magnetischen Flusses eine elektrische Spannung. Die Energieübertragung zwischen beiden Spulen funktioniert daher kontaktlos – somit kann es an der Schnittstelle nicht zu einem Verschleiß durch Reibung kommen.

Ziel der Forschungsgruppe ist es, die Technik der induktiven Energieübertragung von Straßenbahnen auch auf andere Fahrzeuge zu übertragen. „Busse stellen die einfachste Möglichkeit dar, da sie sich im Stadtgebiet auf festen Routen bewegen, das heißt, die Fahrzeuge könnten an den Haltestellen während des Passagierwechsels oder während der Fahrt wieder aufgeladen werden“, erklärt Peter Gratzfeld. Doch sogar auf Elektroautos sei die Technik künftig übertragbar: Da Autofahrer ihren PKW durchschnittlich nur eine Stunde am Tag bewegten, böten sich beispielsweise Parkplätze als Ladestation an.

Die Wissenschaftler berücksichtigen dabei auch den Schutz von Menschen und Tieren vor elektromagnetischen Feldern. Ziel ist es, trotz hoher Übertragungsleistungen in den für Personen zugänglichen Bereichen in Fahrzeugnähe die Grenzwerte einzuhalten. Dies wird durch speziell entwickelte Spulengeometrien erreicht. Außerdem stellt die Hard- und Software sicher, dass sich die Primärspule nur einschaltet, wenn sich ein Fahrzeug über ihr befindet.

Ihre Expertise bringen die Wissenschaftler vom Institut für Fahrzeugsystemtechnik in verschiedene Projekte ein: Ansätze, die den Themenbereich öffentlicher Personennahverkehr betreffen, bearbeiten sie zusammen mit der Firma Bombardier Transportation. Fragen zum Einsatz der induktiven Energieübertragung bei PKWs sind Teil des durch das Wirtschaftsministerium Baden-Württemberg geförderten Projekts BIPoL (Berührungsloses, induktives und positionstolerantes Ladekonzept für elektrisch angetriebene Fahrzeuge).

Weitere Informationen gibt es unter www.bahnsystemtechnik.de.

Das Zentrum Mobilitätssysteme bündelt die fahrzeugtechnischen Aktivitäten des KIT: An den methodischen und technologischen Grundlagen für die Fahrzeuge der Zukunft arbeiten derzeit knapp 40 Institute des KIT mit rund 800 Mitarbeitern. Ziel ist es, energieeffiziente, emissionsarme und sichere Fahrzeuge sowie Mobilitätskonzepte zu entwickeln. Die Wissenschaftler berücksichtigen dabei das komplexe Zusammenspiel von Fahrzeug, Fahrer, Verkehr und Gesellschaft.

Unter dem Motto „Die Zukunft der Mobilität“ präsentiert das KIT am 2. Juli beim Tag der offenen Tür am neuen Standort „Campus Ost – Mobilität und Innovation“ Wissenschaft zum Anfassen. Nähere Informationen: www.pkm.kit.edu/3072.php

Das Karlsruher Institut für Technologie (KIT) ist eine Körperschaft des öffentlichen Rechts nach den Gesetzen des Landes Baden-Württemberg. Es nimmt sowohl die Mission einer Universität als auch die Mission eines nationalen Forschungszentrums in der Helmholtz-Gemeinschaft wahr. Das KIT verfolgt seine Aufgaben im Wissensdreieck Forschung – Lehre – Innovation.

Media Contact

Monika Landgraf idw

Weitere Informationen:

http://www.kit.edu

Alle Nachrichten aus der Kategorie: Energie und Elektrotechnik

Dieser Fachbereich umfasst die Erzeugung, Übertragung und Umformung von Energie, die Effizienz von Energieerzeugung, Energieumwandlung, Energietransport und letztlich die Energienutzung.

Der innovations-report bietet Ihnen hierzu interessante Berichte und Artikel, unter anderem zu den Teilbereichen: Windenergie, Brennstoffzellen, Sonnenenergie, Erdwärme, Erdöl, Gas, Atomtechnik, Alternative Energie, Energieeinsparung, Fusionstechnologie, Wasserstofftechnik und Supraleittechnik.

Zurück zur Startseite

Kommentare (0)

Schreiben Sie einen Kommentar

Neueste Beiträge

Physiker Professor Simon Stellmer von der Universität Bonn beim Justieren eines Lasers, der für Präzisionsmessungen eingesetzt wird.

Simon Stellmers GyroRevolutionPlus erhält ERC-Zuschuss von 150 000 € für Katastrophenwarnungen

Europäischer Forschungsrat fördert Innovation aus der Physik an der Uni Bonn „Mit GyroRevolutionPlus verbessern wir die Messgenauigkeit von Ringlaserkreiseln, sogenannten Gyroskopen, mit denen wir langsame und tiefliegende Erdrotationen oder auch…

Unterschiedlich regulierte kleine RNAs aus Blut oder Haut sind mögliche Biomarker, die in Zukunft helfen könnten, Fibromyalgie schneller und besser zu diagnostizieren und damit unter anderem die Stigmatisierung abzubauen.

Objektive Diagnose von Fibromyalgie: Neue Innovationen Erklärt

Prof. Dr. Nurcan Üçeyler und Dr. Christoph Erbacher von der Neurologischen Klinik des Uniklinikums Würzburg (UKW) haben ihre neuesten Forschungsergebnisse zum Fibromyalgie-Syndrom (FMS) in der Fachzeitschrift Pain veröffentlicht. Sie fanden…

Links: EHT-Bilder von M87* aus den Beobachtungskampagnen 2018 und 2017. Mitte: Beispielbilder aus einer generalrelativistischen magnetohydrodynamischen (GRMHD) Simulation zu zwei verschiedenen Zeiten. Rechts: Dieselben Simulations-Schnappschüsse, unscharf gemacht, um der Beobachtungsauflösung des EHT zu entsprechen.

Die neueste M87-Studie des EHT bestätigt die Drehrichtung des Schwarzen Lochs

Erster Schritt auf dem Weg zu einem Video vom Schwarzen Loch FRANKFURT. Sechs Jahre nach der historischen Veröffentlichung des ersten Bildes eines Schwarzen Lochs stellt die Event Horizon Telescope (EHT)…