Zucker im Ferngespräch

Ein an eine Glimmerfläche angeheftetes Glykoprotein in seiner natürlichen Anordnung (links) rearrangiert Wassermolekülen (rot und weiss) über eine Distanz von etwa 30 Nanometern. Dieser Effekt verschwindet völlig, wenn die geordnete Struktur des Glykoproteins entfaltet wird (rechts). R. Espinosa-Marzal / ETH Zürich, R. Crockett / Empa <br>

Glykoproteine sind ein wichtiger Teil unseres Körpers: Diese Zucker-Protein Hybridmoleküle bilden die schützende Schleimschicht, die unsere Lungen und unseren Magen auskleiden. Sie sind Bestandteil der Flüssigkeit, die unsere Gelenke schmiert, und sie bedecken all unsere Zellen, wobei der Zuckerteil, die Glykane, wie ein Miniaturwald aus Antennen nach aussen zeigen.

Forschende der Professur für Oberflächentechnik am Departement Materialwissenschaft der ETH Zürich und des Labors für Nanoscale Materials Science der Empa haben entdeckt, dass Glykane einen überraschenden Effekt auf benachbarte Wassermoleküle haben.

Nicholas Spencer, ETH-Professor für Oberflächentechnik, und Rowena Crockett an der Empa entdeckten gemeinsam mit ihren Kollegen, dass Glykane das sonst zufällige Verbindungsnetz der Wassermoleküle ordnen. Den Effekt konnten die Forscher über mehrere Dutzend Nanometer hinweg feststellen. Diese Distanz ist riesig, setzt man sie in Relation zu den nur etwa 0,3 Nanometern messenden Wasserteilchen, und liegt weit jenseits aller erwarteter Grenzwerte. «Da die Membranen unserer Zellen mit Glykanen bedeckt sind, könnte dies ein Weg sein, auf dem sich Zellen über eine Barriere aus Wasser hinweg verständigen“, vermutet Spencer.

Fernwirkung auf Wasserstruktur

Um die perfekt organisierte Form nachzuahmen, die Glykane auf Zelloberflächen annehmen, beschichtete Rosa Espinosa-Marzal, Mitarbeiterin bei Spencer, eine aus Glimmer bestehende Oberfläche mit einer einzelnen Schicht eines bereits gut erforschten Glykoproteins. Während sich der Proteinteil an die Glimmeroberfläche anheftete, richteten sich die Zuckermoleküle in entgegengesetzter Richtung aus. Espinosa-Marzal rückte schrittweise eine nackte Glimmerfläche an die Glykoprotein-beschichtete heran, wobei sich zwischen beiden Flächen Wasser befand. Dabei mass sie die ständig zunehmende Abstossungskraft.
«Erstaunlicherweise stellten wir in der kontinuierlichen Zunahme der Abstossungskraft Sprünge fest», erklärt Espinosa-Marzal, «so als ob wir ganze Schichten aus Wasserteilchen auf einmal herauspressen würden und der Druck dadurch für einen Moment nachlassen würde.»

Diese Sprünge werden dadurch verursacht, dass die Glykane das Netzwerk der Wassermoleküle zu Clustern oder Schichten rearrangieren. Dieser ordnende Effekt verschwand völlig, als die Forscher mithilfe einer Chemikalie den spezifische Aufbau der Glykoproteine entfalteten. Die Orientierung der Glykane ist somit ausschlaggebend für den ordnenden Effekt auf die Wasserteilchen über ihnen.

Diese spezielle Wechselwirkung der Glykane mit Wasser könnte erklären, warum Glykoproteine in der Gelenkflüssigkeit unsere Gelenke so wirkungsvoll schmieren. Ausserdem erkennen das Immunsystem und die Rezeptoren anderer Zellen den Mantel aus Zuckermolekülen, der unsere Zellen – aber auch Bakterien und Pilze – bedeckt. Durch ihre Wasser-ordnende Wirkung produzieren Glykane womöglich einen Schutzschirm um sich herum, der beeinflusst, wie gut ein Rezeptor sie erkennen kann. Es bleibt zu klären, ob Zellen tatsächlich über eine Barriere aus Wasser hinweg mithilfe ihres Glykanmantels kommunizieren. Wahrscheinlich ist aber, dass Glykane zumindest beeinflussen, wie zwei Zellen einander wahrnehmen.

Literaturhinweis:
Espinosa-Marzal R.M., Fontani G., Reusch F.B., Roba M., Spencer N.D., Crockett R.: Sugars communicate through water: oriented glycans induce water structuring. Biophys J 104/12, 2013, http://dx.doi.org/10.1016/j.bpj.2013.05.017

Media Contact

Angelika Jacobs ETH Zürich

Weitere Informationen:

http://www.ethz.ch

Alle Nachrichten aus der Kategorie: Biowissenschaften Chemie

Der innovations-report bietet im Bereich der "Life Sciences" Berichte und Artikel über Anwendungen und wissenschaftliche Erkenntnisse der modernen Biologie, der Chemie und der Humanmedizin.

Unter anderem finden Sie Wissenswertes aus den Teilbereichen: Bakteriologie, Biochemie, Bionik, Bioinformatik, Biophysik, Biotechnologie, Genetik, Geobotanik, Humanbiologie, Meeresbiologie, Mikrobiologie, Molekularbiologie, Zellbiologie, Zoologie, Bioanorganische Chemie, Mikrochemie und Umweltchemie.

Zurück zur Startseite

Kommentare (0)

Schreiben Sie einen Kommentar

Neueste Beiträge

Erstmals 6G-Mobilfunk in Alpen getestet

Forschende der Universität Stuttgart erzielen leistungsstärkste Verbindung. Notrufe selbst in entlegenen Gegenden absetzen und dabei hohe Datenmengen in Echtzeit übertragen? Das soll möglich werden mit der sechsten Mobilfunkgeneration – kurz…

Neues Sensornetzwerk registriert ungewöhnliches Schwarmbeben im Vogtland

Das soeben fertig installierte Überwachungsnetz aus seismischen Sensoren in Bohrlöchern zeichnete Tausende Erdbebensignale auf – ein einzigartiger Datensatz zur Erforschung der Ursache von Schwarmbeben. Seit dem 20. März registriert ein…

Bestandsmanagement optimieren

Crateflow ermöglicht präzise KI-basierte Nachfrageprognosen. Eine zentrale Herausforderung für Unternehmen liegt darin, Über- und Unterbestände zu kontrollieren und Lieferketten störungsresistent zu gestalten. Dabei helfen Nachfrage-Prognosen, die Faktoren wie Lagerbestände, Bestellmengen,…

Partner & Förderer