Wo ein Wurm ist, ist auch ein Wal – Erstes Verbreitungsmodell von Meeresparasiten

Fischleber mit Anisakis-Befall<br>Copyright: H. Möller

Parasitologen des Biodiversität und Klima Forschungszentrums haben erstmals Daten zum Vorkommen des parasitär lebenden Wurms zusammengefasst und die weltweite Verbreitung einzelner Arten im Ozean modelliert.

Aus den dabei entstandenen Karten lassen sich nicht nur Aussagen über das Vorkommen und Wanderungsverhalten bestimmter Endwirte der Parasiten, wie Barten- und Zahnwale, treffen, sondern auch Rückschlüsse auf das Risiko einer menschlichen Infektion ziehen. Die Studie ist in „PloS ONE“ erschienen.

Schmarotzer im Ozean

Bis vor zwanzig Jahren wurde der parasitär lebende Fadenwurm Anisakis simplex noch als eine einzige Art angesehen. Heute weiß man dank der Molekularbiologie, dass sich hinter dem Namen neun verschiedene Arten verbergen, die äußerlich zwar nahezu identisch sind, aber sich in ihrer Ökologie und Genetik deutlich voneinander unterscheiden.

Die Meeresschmarotzer haben einen komplexen Lebenszyklus, in dem sie mehrmals den Wirt wechseln. Endstation der jeweiligen Art sind Barten- und Zahnwale (sogenannte Cetacea), die den Parasiten mit der Nahrung aufnehmen und ihm bis zur Geschlechtsreife als Zuhause dienen. Um mehr über die Verbreitung des Parasiten und dessen Gefahrenpotential zu erfahren, kombinierte ein Team um Prof. Dr. Sven Klimpel, Leiter der Projektgruppe Medizinische Biodiversität und Parasitologie am Biodiversität und Klima Forschungszentrum (BiK-F), Daten aus 53 Publikationen mit Ergebnissen eigener molekularbiologischer Analysen in einem Modellierungsansatz.

Aufschluss über Vorkommen der Wal-Endwirte

Resultat der unterschiedlichen Datensätzen ist ein Modell, das die Verbreitung der einzelnen Anisakis-Arten in den verschiedenen Weltmeeren zeigt. Parasiten sind ein fester Bestandteil des marinen Nahrungsnetzes. Ihre Verbreitung ist eng mit den Ernährungsgewohnheiten ihrer Zwischen- und Endwirte verknüpft, die in die Lebenszyklen der Schmarotzer eingebunden sind. Aus dem Modell des Parasitenvorkommens lassen sich daher auch die Verbreitung und das Wanderungsverhalten der jeweiligen Wal-Endwirte ableiten. „Durch unsere molekularen Analysen und die darauf basierende Modellierung können wir detaillierte Rückschlüsse über das Vorkommen von Walarten in ganz bestimmten Gebieten ziehen und damit auch Aussagen über deren Populations- und Bestandsgröße treffen“, so Klimpel. Beispielsweise gehen die Forscher davon aus, dass einige Verbreitungsgebietsgrenzen der Walarten anhand der Parasiten-Daten überprüft werden können.

Parasit befällt auch Menschen
Auf dem Weg zum Wal dienen Fische, Kopffüßer und Krebse dem Parasit als Zwischenwirte. Hering und Co. stehen aber – genau wie beim Wal- auch bei Menschen auf dem Speiseplan. So kann es über den Zwischenwirt Fisch auch zu einer Infektion von Menschen mit den Parasiten kommen. Der Verzehr von befallenen Fischen und Fischereiprodukten kann zur Erkrankung an der sog. Anisakiasis führen. Sie tritt häufig in Regionen auf, in denen traditionell rohe oder halbgegarte Fischereiprodukte verzehrt werden. Symptome sind starke Bauchschmerzen, Übelkeit, Durchfall, Erbrechen und Fieber oder sogar schwere allergische Reaktionen. Weltweit betroffen sind rund 20.000 Menschen pro Jahr, Tendenz steigend. Hotspots sind die Küstenregionen Europas, der USA sowie Japan und Entwicklungsländer, in denen Fisch und Meeresfrüchte eine wichtige Proteinquelle sind. In Deutschland, so Klimpel, werden marine Fischerzeugnisse grundsätzlich auf Parasiten hin untersucht und stellen daher kein akutes Gefahrenpotential dar.

Verbreitungskarte hilft Infektionsrisiken abzuschätzen

Die erstmalig modellierten Parasitenverbreitungskarten machen deutlich, dass sich jede Anisakis-Art auf spezifische Verbreitungsgebiete innerhalb der Klimazonen und Ozeane spezialisiert hat. Dies hängt insbesondere mit der Verbreitung und dem Wanderverhalten bestimmter Endwirte in diesen Gebieten zusammen. „Dieses Wissen ist essentiell, um das Risiko einer Anisakiasis-Infektion in bestimmten Gebieten der Erde abschätzen zu können. Das ist besonders wichtig, da Infektionen nicht mehr nur auf Regionen beschränkt bleiben könnten, in denen der Verzehr von rohem oder unzureichend gekochtem Fisch kulturell bedingt ist. Insbesondere in Entwicklungsländern der Tropen gibt es derzeit keine Befallsdaten und hier vermuten wir deutlich höhere Infektionszahlen, da die Bewohner ihren täglichen Proteinbedarf durch den Verzehr von frisch gefangenen Fischen decken.“, resümiert der ebenfalls am Projekt beteiligte Dipl.-Biol. Thomas Kuhn vom BiK-F die Relevanz der Studie.

Publikation:
Kuhn T, García-Màrquez J, Klimpel S (2011) Adaptive Radiation within Marine Anisakid Nematodes: A Zoogeographical Modeling of Cosmopolitan, Zoonotic Parasites. PLoS ONE 6(12): e28642. doi:10.1371/journal.pone.0028642

Online verfügbar unter: http://www.plosone.org/article/info%3Adoi%2F10.1371%2Fjournal.pone.0028642

Pressebilder:
Das Pressebild sowie weitere Bilder stehen zum Download in 300 dpi unter http://www.bik-f.de/root/index.php?page_id=152 bereit.

Für weitere Informationen wenden Sie sich bitte an:

Prof. Dr. Sven Klimpel
LOEWE Biodiversität und Klima Forschungszentrum (BiK-F)
Tel.: 069 7542 1895
E-Mail: sven.klimpel@senckenberg.de

oder

Sabine Wendler
LOEWE Biodiversität und Klima Forschungszentrum (BiK-F), Pressereferentin
Tel.: 069 7542 1838
E-Mail: sabine.wendler@senckenberg.de
LOEWE Biodiversität und Klima Forschungszentrum, Frankfurt am Main
Mit dem Ziel, anhand eines breit angelegten Methodenspektrums die komplexen Wechselwirkungen von Biodiversität und Klima zu entschlüsseln, wird das Biodiversität und Klima Forschungszentrum (BiK-F) seit 2008 im Rahmen der hessischen Landes-Offensive zur Entwicklung Wissenschaftlich ökonomischer Exzellenz (LOEWE) gefördert. Die Senckenberg Gesellschaft für Naturforschung und die Goethe Universität Frankfurt sowie weitere direkt eingebundene Partner kooperieren eng mit regionalen, nationalen und internationalen Institutionen aus Wissenschaft, Ressourcen- und Umweltmanagement, um Projektionen für die Zukunft zu entwickeln und wissenschaftlich gesicherte Empfehlungen für ein nachhaltiges Handeln zu geben.

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