Wissenschaftler untersuchen molekulare Grundlagen der sozialen Evolution von Termiten

Das münstersche Team (v. l.): Dr. Carsten Kemena, Dr. Mark Harrison, Prof. Dr. Erich Bornberg-Bauer, Alberto Lopez und Dr. Evelien Jongepier WWU/Peter Leßmann

Ein Phänomen, das schon Charles Darwin faszinierte, ist die Entstehung riesiger komplexer Insektengesellschaften aus einzelgängerischen Vorfahren – wie bei Termiten und Ameisen. Die Staaten bildenden Termiten und Ameisen sind einander sehr ähnlich: Sie haben die gleiche, als „eusozial“ bezeichnete Lebensweise.

Damit verbunden sind Besonderheiten wie die Bildung von Kasten, die mit einer Aufgabenteilung einhergeht, zum Beispiel Arbeiter und Soldaten. Termiten und Ameisen sind jedoch nicht nah miteinander verwandt. Im Gegenteil: Während sich die eusozialen Termiten vor rund 150 Millionen Jahren innerhalb der Schaben entwickelten, entstanden Ameisen und andere eusoziale Hautflügler, darunter Bienen, erst 50 Millionen Jahre später an einem weit entfernten Zweig im Insektenstammbaum.

Wissenschaftler um den Bioinformatiker Prof. Dr. Erich Bornberg-Bauer von der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster (WWU) und Evolutionsbiologin Prof. Dr. Judith Korb von der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg verglichen nun erstmals die molekularen Grundlagen für die Evolution einer eusozialen Lebensweise bei beiden Gruppen. Die Studie wurde in der Fachzeitschrift „Nature Ecology and Evolution“ veröffentlicht.

Alle wichtigen Informationen für den Bauplan und das Verhalten eines Organismus sind in seinem Genom enthalten, also in seinem Erbgut. Der Vergleich von Genomen kann daher wertvolle Hinweise darauf liefern, wie Evolution über Hunderte Millionen von Jahren erstaunlich komplexe Organismen hervorgebracht hat.

So wiesen die Forscher nun unter anderem nach, dass die eusozialen Termiten genetische Besonderheiten in jenen Abschnitten des Genoms aufweisen, die die Informationen für die an der chemischen Kommunikation beteiligten Chemorezeptoren tragen.

„Im Vergleich zu den nahe verwandten Schaben sind die betroffenen Proteinfamilien zwar stark verkleinert, aber in ihrer Funktion stark differenziert, was auf ihre besondere Bedeutung hinweist“, unterstreicht Erich Bornberg-Bauer. Die chemische Kommunikation – also die Verständigung über Duftstoffe – ermöglicht es Staaten bildenden Insekten beispielsweise, die eigenen Nestgenossen zu erkennen sowie die verschiedenen Kasten zu unterscheiden. Sie ist für diese Tiere von zentraler Bedeutung.

Die Ergebnisse decken sich auf den ersten Blick mit den Resultaten von früheren Studien zur Entstehung von Eusozialität bei Ameisen und Bienen. Bei genauerem Hinsehen entdeckten die Forscher jedoch, dass sich bei Ameisen und Bienen eine zwar verwandte, aber deutlich andere Chemorezeptor-Familie als bei Termiten zur Erkennung von Duftstoffen mit den Fühlern spezialisiert hat.

„Dies ist somit ein klassisches Beispiel ‚konvergenter‘ Evolution: Unter einem ähnlichen Selektionsdruck entwickelten beide Gruppen unabhängig voneinander ähnliche molekulare Grundlagen für eine eusoziale Lebensweise“, sagt Genomik-Experte Dr. Mark Harrison, Erstautor der Studie. Die Wissenschaftler wiesen weitere Konvergenzen nach, darunter bei DNA-Abschnitten, die eine Rolle bei der Herstellung von Kohlenwasserstoffen für die Kutikula, also den Insektenpanzer, spielen. Diese kutikulären Kohlenwasserstoffe bilden die Grundlage der Kommunikation innerhalb eines Insektenstaats, da sie den zur gegenseitigen Erkennung nötigen „Duftstoffmix“ enthalten.

Im Zuge der Studie sequenzierten die Wissenschaftler erstmals das Genom einer Schabe (Deutsche Küchenschabe, Blattella germanica) sowie einer Trockenholz-Termite (Cryptotermes secundus). Sie verglichen die Genome, die genetische Aktivität sowie die Gesamtheit der Proteine (Proteom) dreier Termitenarten und der Schabe.

Die Ergebnisse verglichen sie zudem mit entsprechenden Daten von 16 anderen Insektenarten, darunter verschiedene Ameisenarten. Dabei rekonstruierten sie mithilfe spezieller Algorithmen auch die genetische Ausstattung der Vorfahren heutiger Termiten. Auf diese Weise konnten sie die Entstehung zufälliger Mutationen nachvollziehen, die die dann folgende Entwicklung hin zur Eusozialität erst ermöglichten.

Als eine der wichtigsten Ursachen für die den molekularen Anpassungen zugrunde liegenden Änderungen im Genom entdeckten die Forscher sogenannte Transposons, also DNA-Abschnitte, die ihre Position im Genom verändern können und im Laufe der Evolution „springen“. „Wir konnten rekonstruieren, dass eine bestimmte Klasse von Transposons lange vor der Entstehung der Termiten zur Vergrößerung von anscheinend an der Kommunikation beteiligten Proteinfamilien beigetragen hat“, ergänzt Dr. Evelien Jongepier, ebenfalls Erstautorin. Diese Protein-Expansionen verliehen den Schaben das größte bisher bekannte Insektenproteom und könnten auch die Evolution der Eusozialität bei Termiten gefördert haben.

An der Studie waren Wissenschaftler aus elf Forschungseinrichtungen in sechs Ländern beteiligt, darunter Forscher der Universität Freiburg und der Universität Pompeu Fabra in Barcelona, Spanien, der University of Illinois in Urbana-Champaign, der North Carolina State University, USA, sowie vom Baylor College of Medicine Human Genome Sequencing Center, Houston, USA, im Rahmen des „i5k“- Genomsequenzierungsprogramms. Die Wissenschaftler aus Deutschland wurden von der Deutschen Forschungsgemeinschaft unterstützt.

Eusozialität

Wissenschaftler unterscheiden zwischen verschiedenen Formen des Zusammenlebens und der Staatenbildung bei Tieren. Die komplexeste Form ist die „Eusozialität“. Sie beinhaltet das Zusammenleben mehrerer Generationen, die gemeinsame Brutpflege und die „reproduktive Arbeitsteilung“, bei der sich nur ausgewählte Individuen innerhalb der Gruppe fortpflanzen, beispielsweise die Königin und der König bei Termiten.

Originalpublikation:

Harrison M. C., Jongepier E., Robertson H. M. et al. (2018): Hemimetabolous genomes reveal molecular basis of termite eusociality; Nature Ecology and Evolution (Advance Online Publication), doi:10.1038/s41559-017-0459-1

https://www.uni-muenster.de/Biologie/en/Mitarbeiter/Bornberg-Bauer.html Prof. Dr. Erich Bornberg-Bauer, WWU Münster

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Dr. Christina Heimken idw - Informationsdienst Wissenschaft

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