Unterschätzte Einzeller: Archaeen können menschliches Immunsystem beeinflussen

Dr. Corinna Bang entnimmt archeelle Kulturen aus einer Serumflasche. Dieser Prozess findet unter Ausschluss von Sauerstoff in einem anaeroben Zelt statt. Foto, Copyright: Claudia Eulitz, CAU

In der am Dienstag, 10. Juni, erschienenen online-Ausgabe der Fachzeitschrift PLOS ONE wird gezeigt, dass auch natürlich im Darm vorkommende archaeelle Stämme an Entzündungsreaktionen beteiligt sein können.

Archaeen bilden neben den Bakterien und den Eukaryoten (Organismen mit Zellkern) die dritte Domäne des Lebens. Sie sind einzellig und besitzen ebenso wie Bakterien keinen Zellkern. Bei essentiellen zellulären Prozessen ähneln sie aber eher den Eukaryoten. Daneben weisen Archaeen auch einzigartige Eigenschaften auf: Der sehr diverse Aufbau ihrer Zellhülle findet sich beispielsweise in keiner anderen Domäne wieder und erlaubt es diesen Organismen, nahezu jeden Lebensraum zu besiedeln.

Obwohl lange angenommen wurde, dass Archaeen lediglich an Standorten mit extremen Milieubedingungen vorkommen, weiß man heute, dass sie überall verbreitet sind und zum Beispiel auch als Bestandteil der normalen Mikrobiota des Menschen nachgewiesen werden. Hier besiedeln sie unter anderem die Haut und den Darm, ohne dass bislang tiefere Einblicke in ihre Interaktion mit dem menschlichen Epithel erzielt wurden.

Professorin Ruth Schmitz-Streit und Dr. Corinna Bang vom Institut für Allgemeine Mikrobiologie der CAU sowie Professor Holger Heine aus der Forschungsgruppe „Angeborene Immunität“ vom Forschungszentrum Borstel haben es sich deshalb zur Aufgabe gemacht, die Interaktion dieser Mikroorganismen mit dem Immunsystem des Menschen zu entschlüsseln. In einer von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) geförderten Studie untersuchten sie die zwei archaeellen Stämme Methanobrevibacter smithii und Methanosphaera stadtmanae.

„Hierfür haben wir menschliche Immunzellen aus der Darmschleimhaut und Blutzellen mit den zwei archaeellen Stämmen im Labor zusammen inkubiert und dann die Reaktionen in Form von Ausschüttung verschiedener Entzündungsmediatoren wie beispielsweise Zytokinen und antimikrobiellen Peptiden untersucht“, erklärt Bang, wissenschaftliche Mitarbeiterin im CAU-Institut und Erstautorin der Publikation, die Vorgehensweise des Teams.

„Die Ergebnisse dieser Versuche weisen eindeutig darauf hin, dass Archaeen ähnlich wie Bakterien spezifisch vom menschlichen Immunsystem erkannt werden und mit Komponenten des Immunsystems interagieren“, so Bang weiter. Außerdem würden die Ergebnisse nahelegen, dass die beiden Archaeen-Stämme unterschiedliche Reaktionen des menschlichen Immunsystems auslösen.

„Der Stamm M. smithii, welcher in einer früheren Studie in Stuhlproben nahezu aller getesteten Personen gefunden wurde, hat nur zu einer geringen Immunantwort geführt. Dagegen löste eine Stimulation mit dem seltener vorkommenden Stamm M. stadtmanae die Ausschüttung äußerst hoher Mengen entzündungsfördernder Zytokine aus“, ergänzt Schmitz-Streit. Aus diesen Ergebnissen schließen die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, dass der Stamm M. smithii sehr wahrscheinlich ein kommensaler Mikroorganismus (miternährend, Gegenteil: parasitär) ist, während der Stamm M. stadtmanae das Potenzial haben könnte, entzündliche Prozesse im Darm zu fördern.

Seit vor wenigen Jahren gezeigt wurde, dass die mikrobielle Besiedlung essentiell für den menschlichen Gesundheitszustand ist, bildet die Erforschung der Interaktion von Mikroorganismen und dem menschlichen Immunsystem einen der wichtigsten Forschungsschwerpunkte in den Naturwissenschaften/Lebenswissenschaften. Dabei steht oft die Frage im Mittelpunkt, wie kommensale Mikroorganismen dazu beitragen, das Immungleichgewicht des Menschen zu erhalten und wie eine gestörte Mikroflora zur Entstehung von Allergien und entzündlichen Erkrankungen des Darmes führen kann.

„Bei diesen Untersuchungen fanden Archaeen bislang jedoch wenig bis keinerlei Beachtung. Unsere Studie zeigt nun, dass diese Organismen wie Bakterien mit dem menschlichen Immunsystem interagieren. Die weiterführende Erforschung dieser Interaktion könnte deshalb für die Prävention und vielleicht auch für die Behandlung von Autoimmun- und chronisch-entzündlichen Erkrankungen des Darms eine bedeutende Rolle einnehmen“, ordnet Professor Holger Heine die Entdeckung ein.

Als nächstes will das Team seine Ergebnisse überprüfen, um den Zusammenhang zwischen Archaeen und pathogenen Reaktionen zu belegen. Hierfür werden sie beispielsweise Zellproben aus dem Darm von kranken und gesunden Menschen vergleichen. Außerdem soll untersucht werden, durch welchen Rezeptor die Archaeen durch zum Beispiel Blutzellen erkannt werden. „Es gibt also noch viel zu entdecken“, so Schmitz-Streit.

Originalpublikation: Bang, C., Weidenbach, K., Gutsmann, T., Heine, H., and Schmitz, R.A. (2014). The intestinal archaea Methanosphaera stadtmanae and Methanobrevibacter smithii activate human dendritic cells. PLOS ONE. doi: 10.1371/journal.pone.0099411.

Kontakt: Dr. Corinna Bang Institut  für Allgemeine Mikrobiologie Christian-Albrechts-Universität Kiel Telefon: 0431 / 880-1649 E-Mail: cbang@ifam.uni-kiel.de

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Dr. Boris Pawlowski Christian-Albrechts-Universität zu Kiel

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  1. Hallo, ich schreibe Ihnen bezüglich des Artikels über Archaea und wollte wissen, ob Sie mir sagen könnten, ob Sie eine Behandlung mit Nahrungsergänzungsmitteln oder Medikamenten zur Behandlung eines Archaea-Überschusses kennen
    Vielen Dank

    1. Lieber Alex,
      bitte wenden Sie sich mit Ihrer Frage direkt an:
      Dr. Corinna Bang
      Institut für Allgemeine Mikrobiologie
      Christian-Albrechts-Universität Kiel
      Telefon: 0431 / 880-1649
      E-Mail: cbang@ifam.uni-kiel.de 

      Herzliche Grüße
      Ihr IR-Team

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