Überraschung bei der Genomanalyse

Die Forscherinnen und Forscher identifizierten und beschrieben die Algenart Chlorokybus cerfii sp. nov.
Foto: Dr. Tatyana Darienko

Team unter Leitung der Universität Göttingen entschlüsselt alte Algenlinie.

Alle Landpflanzen sind aus einem einzigen evolutionären Ereignis hervorgegangen: Süßwasseralgen fassten an Land Fuß und brachten eine erstaunliche Artenvielfalt von Pflanzen auf der Erde hervor. Die Gruppe von Algen, aus der später die Landpflanzen hervorgingen, lebte und entwickelte sich jedoch bereits seit über einer Milliarde Jahren sowohl in Süßwasser- als auch in Landlebensräumen. Eine winzige Gruppe der heutzutage noch existierenden Algenvertreter, welche das am weitesten entfernte Verwandtschaftsverhältnis zu Landpflanzen aufweisen, wurde nun genauer unter die Lupe genommen.

Forscherinnen und Forscher der Universität Göttingen haben sich auf eine Gattung dieser seltenen Algen, Chlorokybus, konzentriert, welche „Zellpakete“ bildet und in feuchten Böden und Felsspalten lebt. Sie entdeckten, dass Chlorokybus nicht, wie bisher angenommen, eine, sondern mindestens fünf verschiedene Arten enthält. Die Ergebnisse sind in der Fachzeitschrift Proceedings of the Royal Society B erschienen.

Die Gene dieser bescheidenen Algen, die zahlenmäßig klein und verschwindend selten sind, verraten den Forschenden etwas über die evolutionären Wege. Chlorokybus haben sich vor über einer Milliarde Jahre von den Landpflanzen abgespalten und sind damit Nachkommen des alten Algenvorfahren, von dem auch die modernen Landpflanzen und verschiedene andere Algen abstammen. Im Rahmen der Studie wurden zunächst alle bekannten Algen, die Chlorokybus zugeordnet werden können, aufgespürt und gescreent, einschließlich Kulturen aus öffentlichen Algensammlungen und Proben aus der Ukraine, Chile und Costa Rica.

„Wir haben sogar versucht, Chlorokybus an dem Ort zu sammeln, an dem sie in den 1940er Jahren erstmals beschrieben wurde, nämlich auf einem Steinmonument im Schloss Schönbrunn in Wien“, sagt Dr. Tatyana Darienko aus der Abteilung Experimentelle Phykologie und Sammlung von Algenkulturen der Universität Göttingen, „aber wir konnten nichts finden – wahrscheinlich, weil das Denkmal erst kürzlich restauriert worden war“. Das Team analysierte dann das genetische Material. Die erste Analyse zeigte deutliche genetische Unterschiede zwischen den Algen. Hunderte groß angelegte genomische Sequenzierungen bestätigten diese unerwarteten Ergebnisse. Dies führte das Forschungsteam zu der Erkenntnis, dass sich eigentlich fünf verschiedene Arten unter einem einzigen gemeinsamen Namen verbergen. Diese werden als „kryptische Arten“ bezeichnet, weil es schwierig oder unmöglich ist, sie durch einfache Beobachtung zu unterscheiden. Die herkömmliche Mikroskopie ergab nämlich keine offensichtlichen Unterschiede zwischen den fünf Arten.

Der Erstautor Dr. Iker Irisarri von der Universität Göttingen erklärt: „Dass diese Algen so ähnlich aussehen, ist eine echte Überraschung, wenn man bedenkt, dass sich einige dieser Arten vor über 70 Millionen Jahren evolutionär voneinander entfernt haben könnten.“ Die Studie hat wichtige Auswirkungen auf unser Verständnis von Form und Funktion der Pflanzen. „Die Erfassung der tatsächlichen Artenvielfalt dieser Algengruppe ist von entscheidender Bedeutung, um die Anpassung und die Entwicklung der Landpflanzen und ihrer Algenverwandten zu erklären“, sagt Prof. Dr. Jan de Vries von der Universität Göttingen.

Wissenschaftliche Ansprechpartner:

Prof. Dr. Jan de Vries
Georg-August-Universität Göttingen
Fakultät für Biologie und Psychologie
Institut für Mikrobiologie und Genetik – Abteilung Angewandte Bioinformatik
Goldschmidtstraße 1, 37077 Göttingen
Telefon (0551) 39-13995
E-Mail: devries.jan@uni-goettingen.de
Internet: www.uni-goettingen.de/de/613776.html

Originalpublikation:

Irisarri I et al. “Unexpected cryptic species among streptophyte algae most distant to land plants”, Proceedings Royal Society B 2021, DOI: 10.1098/rspb.2021.2168

https://www.uni-goettingen.de/de/3240.html?id=6499

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Thomas Richter Öffentlichkeitsarbeit
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