Schlafkrankheit: Kanonenfutter für die Fresszellen

Im tropischen Afrika werden Trypanosomen von blutsaugenden Tsetsefliegen übertragen und verursachen die Schlafkrankheit. Für diese vernachlässigte Tropenerkrankung gibt es keine Impfung und nur wenige Medikamente mit schweren Nebenwirkungen.

Der Körperabwehr sind die einzelligen Erreger immer eine Nasenlänge voraus, weil sie ihre Antigene – eine Art molekulare Erkennungszeichen – extrem flexibel variieren können. Für ihre perfekte Antigenvariation wurden Trypanosomen bei Molekularbiologen erst berühmt.

Wie aber überwinden die Trypanosomen die erste Hürde der angeborenen Immunabwehr des Säugerwirts? Wie eine internationale Kooperation der Teams des LMU-Forschers Professor Michael Boshart und seines belgischen Kollegen Professor Etienne Pays nun zeigen konnte, verhalten sich Trypanosomen dabei erstaunlicherweise altruistisch – eine Vorhut opfert sich als Kanonenfutter den Fresszellen des Immunsystems um diese zu lähmen und den folgenden Trypanosomen den Weg frei zu machen.
Rätselhafte Rezeptoren

Ausgangspunkt des Projekts war die Frage, welche Rolle die sogenannten Adenylatzyklasen spielen. Das sind molekulare Rezeptoren an der Oberfläche der Trypanosomen, die hier durch die ungewöhnlich große Anzahl von über 80 Genen kodiert werden und den intrazellulären Botenstoff cAMP produzieren. „Wir wollten die Funktion sowie die überraschende Diversität dieser Genfamilie untersuchen und an diesem Beispiel ganz grundsätzlich die Evolution von molekularen Signalsystemen studieren“, sagt Boshart.

Dabei zeigte sich im Mausmodell zur Überraschung der Forscher, dass die Adenylatzyklasen eine zentrale Rolle bei der Etablierung und dem Verlauf der Infektion spielen – und einen für pathogene Einzeller bislang unbekannten Mechanismus in Gang setzen. Zunächst werden die Trypanosomen in der Leber von Fresszellen angegriffen, geschwächt und schließlich zerstört. Genau dieser Prozess aktiviert die Adenylatzyklasen in der Membran der Parasiten.

Altruismus unter Einzellern

In Folge davon wird cAMP in die Fresszellen eingeschleust, das dort ein Signalprotein aktiviert, welches wiederum die Produktion des Immunbotenstoffes TNF unterdrückt. TNF aber ist für die Eliminierung der Parasiten essentiell. „In der Anfangsphase der Infektion opfern sich also einige Trypanosomen, um die angeborene Immunantwort des Wirts,also die die Arbeit der Fresszellen, zu unterdrücken“, sagt Boshart. „Dieser Altruismus erlaubt wiederum den anderen Einzellern einen produktiven Infektionsverlauf.“
Das ist nicht der einzige Trick der Erreger: Sie können auch die Antikörper des Immunsystems von ihrer Oberfläche entfernen, wie eine vorangegangene Studie unter Beteiligung der LMU-Forscher zeigte. Das aktuelle Projekt wurde vom Belgischen Wissenschaftsministerium (BELSPO) im Rahmen des Exzellenzverbunds „Pôle d´Attraction Interuniversitaire“gefördert. Die erfolgreiche Kooperation wird in diesem Verbund fortgesetzt.“Dieser zentrale Mechanismus der Parasiten könnte sich schließlich als Angriffspunkt für neue therapeutische Ansätze eignen“, so Boshart. (suwe)

Publikation:
Adenylate Cyclases of Trypanosoma brucei Inhibit the Innate Immune Response of the Host
Didier Salmon et.al
Science online, 14. Juni 2012
DOI: 10.1126/science.1222753

Ansprechpartner:
Prof. Dr. Michael Boshart
Biozentrum der LMU
Tel.: 089 / 2180 – 74600
E-Mail: boshart@lmu.de

Media Contact

Luise Dirscherl idw

Weitere Informationen:

http://www.lmu.de

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