Proteine brauchen Anstandsdamen
„Chaperone“ sind aus der Mode gekommene englische Anstandsdamen. Ihre Aufgabe war es, unerwünschte Stelldichein zwischen jungen Frauen und Männern zu verhindern. In der Zellbiologie bezeichnen „molekulare Chaperone“ eine Gruppe von Proteinen, die unerwünschte Kontakte zwischen anderen Proteinen verhindern.
Solche Kontakte sind besonders während der Proteinproduktion gefährlich, die von den Ribosomen in den Zellen bewerkstelligt wird. Das Ribosom funktioniert wie eine Strickliesel: Wie Maschen werden 20 verschiedene Aminosäuren in unterschiedlicher Reihenfolge und Anzahl aneinandergeknüpft. Die entstehende Aminosäure-Kette verschwindet in einem Tunnel, aus dem sie erst wieder hervortritt, nachdem sie eine bestimmte Länge erreicht hat.
Die Arbeitsgruppe der Freiburger Biochemikerin Prof. Dr. Sabine Rospert erforscht, wie Chaperone am Ausgang des ribosomalen Tunnels das Schicksal neu synthetisierter Proteine beeinflussen und wie ihre Funktion in Zeit und Raum koordiniert ist. 2005 hat die Gruppe das Chaperon ZRF1 am Tunnelausgang des menschlichen Ribosoms entdeckt. ZRF1 besitztstrukturelle Eigenschaften, die sonst typischerweise nur in Proteinen vorkommen, die die Chromatinstruktur beeinflussen. Als Chromatin bezeichnet man die DNA im Komplex mit Histonen und anderen Proteinen, so wie sie im Zellkern vorliegt. DNA enthält unter anderem die notwendige Information, um einem Ribosom mitzuteilen, welche Aminosäure-Ketten es produzieren soll. Dazu werden Genabschnitte der DNA in Transkripte übersetzt, die den Kern verlassen, um Ribosomen für die Synthese bestimmter Proteine zu programmieren.
Wofür benötigt nun aber ein Chaperon, das am Tunnelausgang des Ribosoms sitzt, Eigenschaften, die die Chromatinstruktur im Zellkern beeinflussen können? Der Antwort ist die Arbeitsgruppe von Sabine Rospert in Zusammenarbeit mit der Forschungsgruppe des Biologen Prof. Dr. Luciano Di Croce näher gekommen. Am Centre for Genomic Regulation in Barcelona/Spanien beschäftigt er sich mit Proteinkomplexen, die die Chromatinstruktur und damit die Produktion von Transkripten beeinflussen. An diesen Vorgängen sind umkehrbare Modifikationen an Histonproteinen des Chromatins entscheidend beteiligt. Die Untersuchungen der Wissenschaftler haben ergeben, dass ZRF1 die Modifikation eines Histonproteins beeinflusst und dadurch die zeitlich begrenzte Produktion einer bestimmten Gruppe von Transkripten erlaubt.
Diese in der Fachzeitschrift „Nature“ veröffentlichten Ergebnisse sind entscheidende Grundlagen, um die Verbindung zwischen der Funktion von ZRF1 am Ribosom und am Chromatin zu verstehen. Die duale Funktion eines Chaperons, sowohl bei der Transkription als auch bei der zeitlich und räumlich getrennten Übersetzung der Transkripte in Proteine, ist ein wichtiger erster Hinweis, dass die Regulation beider Prozesse gekoppelt sein könnte.
Kontakt:
Prof. Dr. Sabine Rospert
Institut für Biochemie und Molekularbiologie
Universität Freiburg
Tel.: 0761/203-5259
Fax: 0761/203-5257
E-Mail: sabine.rospert@biochemie.uni-freiburg.de
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