Polarisierte Zellen bringen das Herz in Form

Explantierte Zebrafisch-Herzen bilden ihre Form eigenständig in der Petrischale, (links) – nicht aber, wenn der Frizzled-7a-Faktor des PCP-Signalweges fehlt: Das Herz bleibt ein Schlauch (rechts) Anne M. Merks, MDC

Fast jedes hundertste Kind in Deutschland kommt mit einem Herzfehler zur Welt. Über die Ursachen solcher angeborenen Herzerkrankungen war bisher nur wenig bekannt. Mehr Licht ins Dunkel bringt nun eine Arbeit zur embryonalen Herzentwicklung, die ein internationales Team um Dr. Daniela Panáková vom Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin (MDC) in Berlin vorstellt.

Durch ihre Experimente an Zebrafischen konnten Panáková und ihr Team am MDC sowie Kolleginnen und Kollegen von den Universitäten Potsdam und Zürich die Mechanismen herausfinden, über die das Herz in Form gebracht wird.

Ihre Studie erscheint zusammen mit einer weiteren Arbeit zur frühen Herzentwicklung im Zebrafisch in der gleichen Ausgabe von Nature Communications. In dieser Veröffentlichung berichtet die Arbeitsgruppe um Professor Christian Mosimann von der Universität Zürich unter der Beteiligung des Teams von Panáková, wie das Herz durch den kontinuierlichen Zufluss von Herzvorläuferzellen zunächst eine schlauchförmige Gestalt annimmt.

Die Herzzellen müssen neue Nachbarn finden

„Wir haben uns dann mit der Frage beschäftigt, wie sich aus dem linearen Schlauch zunächst eine Schleife mit ihrer charakteristischen S-Form bildet, aus der schließlich die Herzkammer und der Vorhof hervorgehen“, sagt eine der beiden Erstautorinnen der Studie, Anne Margarete Merks aus der Arbeitsgruppe von Panáková.

„Für diesen Vorgang müssen sich Herzzellen der zweiten Generation dort einfinden und sich ihren Platz suchen.“ Dabei komme es zu Verschiebungen zwischen den Zellen. „Sie verändern ihre Nachbarn und finden neu zueinander“, sagt Merks.

Wie sie und ihre Kolleginnen und Kollegen berichten, wird dieser Vorgang durch einen Signalweg – also eine Kette chemischer Reaktionen, über die Zellen auf äußere Signale reagieren – namens PCP-Signalweg gesteuert. Die Abkürzung PCP steht für den englischen Begriff „planar cell polarity“, auf Deutsch planare Zellpolarität.

Zwei Komponenten sind für diesen Signalweg offenbar besonders entscheidend: die Moleküle Fzd7a und Vangl2. „Wenn wir in den Zebrafischen die Gene für diese Moleküle ausschalteten, konnte sich das Herz der Tiere nicht richtig entwickeln“, sagt Merks: „Ganz offensichtlich fanden die Zellen ihre künftigen Nachbarn nicht mehr.“

Entscheidend ist die Spannung des Gewebes

Der PCP-Signalweg beeinflusst jedoch nicht nur einzelne Zellen, sondern das gesamte Gewebe. „Ist der Signalweg beeinträchtigt, verändert sich die Gewebespannung“, erläutert Merks. Ohne die richtige Spannung aber findet kein Looping statt: Die Bildung der Herzschleife ist dann behindert.

Wie die Forscherinnen und Forscher in weiteren Experimenten herausfanden, geht die veränderte Gewebespannung darauf zurück, dass aufgrund des defekten PCP-Signalweges das Zytoskelett der Herzmuskelzellen verändert ist. Dieses besteht aus den Proteinen Aktin und Myosin und bewirkt, dass sich Muskelzellen und damit auch ganze Muskel kontrahieren können.

„Gewöhnlich beobachten wir, dass das Zytoskelett in den Herzzellen nicht überall gleich aussieht, sondern eine Polarität aufweist“, sagt Merks: „An der Oberfläche der Zellen ist es anders gestaltet als an deren Basis.“ Ist der PCP-Signalweg beeinträchtigt, geht diese Polarität verloren. Als Folge davon findet das schlauchförmige Herz nicht recht zu seiner neuen Form. „Insbesondere der Ausflusstrakt des Herzens kann sich dann nicht richtig bilden“, sagt die Forscherin. Ein Großteil der angeborenen Herzerkrankungen geht auf Störungen in diesem Teil des Organs zurück.

Die Ergebnisse sind auf den Menschen übertragbar

Merks und ihre Kolleginnen und Kollegen haben ihre Experimente an Zebrafischen vorgenommen, weil diese den großen Vorteil haben, dass sich ihr Herz sehr schnell entwickelt und bereits 24 Stunden nach der Befruchtung zu schlagen beginnt.

„Wir gehen aber fest davon aus, dass unsere Erkenntnisse auf Säugetiere und auch auf den Menschen übertragbar sind“, sagt Panáková. „Der PCP-Signalweg ist evolutionär gut konserviert und die an ihm beteiligten Gene sind auch beim Menschen bereits identifiziert und mit angeborenen Herzerkrankungen assoziiert worden.“

Als nächstes planen Panáková und ihr Team Studien mit Herzgewebe von Erkrankten, die an den angeborenen Herzleiden Fallot-Tetralogie oder DORV (double outlet right ventricle, auf Deutsch rechter Doppelausstromventrikel) leiden. Das Gewebe erhalten sie aus einer Biobank des Kompetenznetzes Angeborene Herzfehler. Mit ihren Experimenten will das Forschungsteam nun genauer ermitteln, in welchem Ausmaß ein gestörter PCP-Signalweg an der Entstehung dieser Krankheiten beteiligt ist.

Über das Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin (MDC)

Das Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin in der Helmholtz-Gemeinschaft (MDC) wurde 1992 in Berlin gegründet. Es ist nach dem deutsch-amerikanischen Physiker Max Delbrück benannt, dem 1969 der Nobelpreis für Physiologie und Medizin verliehen wurde. Aufgabe des MDC ist die Erforschung molekularer Mechanismen, um die Ursachen von Krankheiten zu verstehen und sie besser zu diagnostizieren, verhüten und wirksam bekämpfen zu können.

Dabei kooperiert das MDC mit der Charité – Universitätsmedizin Berlin und dem Berlin Institute of Health (BIH) sowie mit nationalen Partnern, z.B. dem Deutschen Zentrum für Herz-Kreislauf-Forschung (DHZK), und zahlreichen internationalen Forschungseinrichtungen. Am MDC arbeiten mehr als 1.600 Beschäftigte und Gäste aus nahezu 60 Ländern; davon sind fast 1.300 in der Wissenschaft tätig. Es wird zu 90 Prozent vom Bundesministerium für Bildung und Forschung und zu 10 Prozent vom Land Berlin finanziert und ist Mitglied in der Helmholtz-Gemeinschaft deutscher Forschungszentren. www.mdc-berlin.de

https://www.mdc-berlin.de/panakova – Website der AG Panakova

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Annette Tuffs Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin in der Helmholtz-Gemeinschaft

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