Parasiten auf Partnersuche – Bayreuther Biologen entdecken sexuellen Lockstoff bei Fächerflüglern

Fächerflügler der Art Stylops melittae befallen verschiedene Arten von Sandbienen. Das Foto zeigt eine Weidensandbiene, aus deren Hinterleib der gelblich-rotbraune Kopfbereich eines Fächerflügler-Weibchens heraussteht.<br>Foto: Dr. Heiko Bellmann<br>

Sie befallen unter anderem Wildbienen, die im Unterschied zu Honigbienen vereinzelt vorkommen und keine Bienenstaaten bilden. Ein Team mit Wissenschaftlern der Universität Bayreuth hat jetzt erstmals einen sexuellen Lockstoff – ein sogenanntes Sexualpheromon – identifiziert, mit dem das in der Biene lebende Fächerflügler-Weibchen ein Männchen von außen anlockt und damit die Fortpflanzung sichert. Im „Journal of Chemical Ecology“ stellen die Bayreuther Forscher ihre Ergebnisse vor.

In der unmittelbaren Umgebung von Bayreuth haben die Biologen Dr. Siegfried Kehl und Dr. Stefan Dötterl Fächerflügler der Art Stylops melittae beobachtet. Die ausgewachsenen Weibchen verbringen ihre gesamte Lebenszeit in ihren Wirtsbienen, wobei sie fast keine der für Insekten typischen Merkmale aufweisen. Ihr Körper besteht im Wesentlichen aus einem lang gestreckten weißlichen Hinterleib, der die Biene nie verlässt, und einem Kopfbereich, mit dem sich das Weibchen aus dem Hinterleib der Biene herausbohrt. Dies geschieht kurz vor der Geschlechtsreife. Die geschlechtsreifen Männchen hingegen befreien sich völlig aus der Wirtsbiene. Sie sind mit großen, fächerartig zusammenfaltbaren Hinterflügeln ausgestattet und leben frei in der Natur, ohne dabei Nahrung aufzunehmen. Ihre Lebenszeit ist sehr gering, sie umfasst meistens nur wenige Stunden. Denn die geschlechtsreifen Männchen haben nur eine Funktion: sich mit geschlechtsreifen Weibchen zu paaren.

Die Paarung kommt dadurch zustande, dass das Weibchen, das im Hinterleib der Biene steckt, aus dem Kopfbereich ein Sexualpheromon ausstößt. Diesen Lockstoff nehmen die Männchen mit ihren großen, verzweigten Fühlern wahr. Wie hochempfindlich die Fühler auf den Lockstoff reagieren, haben die Bayreuther Forscher mit Hilfe von elektrophysiologischen Messungen nachgewiesen. Die Wahrnehmung des Pheromons löst nun bei jedem Fächerflügler-Männchen den Impuls aus, der Spur des Pheromons zu folgen. Ist das Männchen bei der Wildbiene angekommen, findet es das Fächerflügler-Weibchen vor, das aus dem Hinterleib der Biene heraussteht und daher von außen zugänglich ist. Mit seinem dolchartigen Begattungsorgan durchsticht das Männchen das Gewebe im Kopfbereich des Weibchens und pumpt seine Spermien hinein. Auf diesem Weg gelangen die Spermien in den Hinterleib des Fächerflügler-Weibchens, wo sie dessen Eier befruchten.

Der sexuelle Lockstoff, den die Bayreuther Biologen erstmals bei Fächerflüglern nachgewiesen haben, konnte in Zusammenarbeit mit Dr. Till Tolasch am Institut für Zoologie der Universität Hohenheim präzise bestimmt werden. Es handelt sich um einen Aldehyd; die genaue chemische Bezeichnung lautet (3R,5R,9R)-3,5,9-Trimethyldodecanal.

Nach der Paarung entwickeln sich die befruchteten Eier im Hinterleib des Weibchens zu Larven, die lebend geboren werden. Sie werden vom Weibchen „ausgespuckt“, so dass sie sich außen am Kopfbereich des Weibchens oder auf der Wirtsbiene befinden. Jede Larve ist dabei nur 0,4 mm groß. Die Biene transportiert die Larven auf die von ihr besuchten Blüten; von hier werden sie auf diejenigen Bienen übertragen, die die Blüten als nächste besuchen. Diese „gesunden“ Bienen nehmen die Fächerflügler-Larven mit in ihre Nester, wo sie sich in die jungen Bienenlarven hineinbohren.

Eine parasitierte Bienenlarve kann sich zwar zu einer erwachsenen Biene entwickeln, doch verliert sie ihre eigene Fortpflanzungsfähigkeit. In ihrem Hinterleib wächst dagegen die Fächerflügler-Larve zu einem geschlechtsreifen Insekt heran. Handelt es sich um ein Männchen, bohrt es sich aus der Biene heraus und lebt in freier Natur weiter. Ein Weibchen jedoch bleibt in der Biene, um mithilfe des jetzt entdeckten Lockstoffs ein Männchen anzulocken.

Veröffentlichung:

Till Tolasch, Siegfried Kehl, Stefan Dötterl,
First Sex Pheromone of the Order Strepsiptera: (3R,5R,9R)-3,5,9-Trimethyldodecanal in Stylops melittae KIRBY, 1802,
in: Journal of Chemical Ecology, Dec. 2012, Volume 38, Issue 12, pp 1493-1503
DOI: 10.1007/s10886-012-0215-6

Fotos zum Download (auch eine Gesamtansicht des Fächerflügler-Weibchens):
http://www.uni-bayreuth.de/presse/images/2013/010/

Ansprechpartner:
Dr. Siegfried Kehl
Lehrstuhl fürTierökologie II
Universität Bayreuth
D-95440 Bayreuth
Tel.: +49 (0)921 55-2737
E-Mail: siegfried.kehl@uni-bayreuth.de

Prof. Dr. Stefan Dötterl
z. Zt. Universität Salzburg
Fachbereich Organismische Biologie
A-5020 Salzburg
Tel.: +43 (0) 662 / 8044-5527
E-Mail: stefan.doetterl@sbg.ac.at

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Christian Wißler Universität Bayreuth

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