Neue Zell-Funktionalitäten in dünnen Schichten entwickeln

Angelehnt an ein Kunstwerk von Dalí zeigt dieses Bild, dass die Ausstattung von eukaryotischen Zellen mit dünnen, filmartigen, designten Organellen ein wirksames Mittel ist, um mehrere neue Funktionalitäten in Zellen einzubringen.
Abb./©: Sara Mingu

Forscher der JGU haben eine Methode entwickelt, mit der sie Zellen neue Funktionalitäten verleihen und eukaryotische Zellfunktionen besser verstehen können.

Wie lassen sich neue und komplexe Funktionalitäten in lebende Zellen einbringen – genauer gesagt in eukaryotische Zellen? Solche Fragen beschäftigen nicht nur Evolutionsbiologen, sondern auch synthetische Biologen. Um Reaktionen in ihrem Inneren zu trennen und zu organisieren, stülpt die Zelle klassischerweise ein Stück der Membran heraus und bildet einen Raum – eine Organelle –, in dem sich neue Funktionen entwickeln können.

Eine weitere Möglichkeit, neue Funktionen zu entwickeln: In der Zelle bilden sich durch die Phasenseparation getrennte Bereiche, ähnlich wie in einer Salatsoße aus Essig und Öl. Da diese Bereiche nicht durch eine schwer zu überwindende Membran vom restlichen Teil der Zelle abgetrennt sind, können große Moleküle leichter hinein- und hinausgelangen. Man könnte also die membranumschlossenen Organellen mit getrennten Räumen, hingegen die phasengetrennten Organellen mit verschiedenen Raumecken vergleichen.

Einzigartige Funktionen – und mehr Verständnis

Einer der wichtigsten Prozesse in der Zelle ist die Proteinsynthese, bei der der RNA-Code in einen Proteincode übersetzt wird, der quasi den Bauplan für ein bestimmtes Protein bildet. Dies kann man auch als die Sprache der Zelle bezeichnen. Jedes Protein wiederum hat eine festgelegte Funktion im Zellgeschehen, die bereits im RNA-Code festgelegt ist. Wird der RNA-Code anders übersetzt, ändern sich die Funktionen des entstehenden Proteins und es kann mit einzigartigen Eigenschaften ausgestattet werden, die beispielsweise zum An-/Ausschalten der Funktion oder zur Beobachtung genutzt werden können.

Im Jahr 2019 konnten Forscherinnen und Forscher der Johannes Gutenberg-Universität Mainz (JGU) und des IMB Mainz bereits zeigen, wie der RNA-Code für bestimmte Proteine übersetzt wird, ohne in die Sprache der ganzen Zelle einzugreifen. Bis dahin vermischten sich beide Sprachen miteinander, ähnlich wie bei einem Kind, das zweisprachig aufwächst. Nun konnte das Forscherteam erneut auf diesen Erfolg aufsetzen: Es hat sehr filmähnliche Organellen geschaffen, die das Entwickeln neuer Funktionalitäten erleichtern. „Der größte Zugewinn liegt darin, dass wir extrem kleine Reaktionsräume realisieren konnten – auf diese Weise können wir mehrere davon gleichzeitig in einer Zelle haben“, erläutert Prof. Dr. Edward Lemke, Arbeitsgruppenleiter an der JGU und Adjunct Director am IMB. „Wir haben die großen dreidimensionalen Organellen zu Organellen auf einer Membranoberfläche umgewandelt und können komplizierte biochemische Reaktionen nur in diesem dünnen Bereich ablaufen lassen.“ Und noch mehr als das: Die gleiche Zelle kann den RNA-Code nun in drei Sprachen – und somit in drei verschiedene Proteine – übersetzen, und zwar quasi im gleichen „Zimmer“ in verschiedenen „Raumecken“, ohne dass sich die Übersetzungen gegenseitig stören. Das Forscherteam kann also einem Protein B, das von Protein A abstammt, eine andere Funktion geben – innerhalb des gleichen „Raums“.

Dieses neuartige zelluläre Konzept erlaubt nicht nur einzigartige Funktionen, sondern bietet darüber hinaus die Möglichkeit, eukaryotische Zellfunktionen besser zu verstehen. „Wir können etwas darüber lernen, wie kompliziert und einzigartig der Raum nahe der Membran funktionieren kann, welche einmaligen Funktionalitäten er aufweist und welche besonderen Reaktionsräume dort entstehen, wenn man die Proteine durch zweidimensionale Phasenseparation aufkonzentriert“, sagt Dr. Christopher Reinkemeier von der JGU. „Da wir so etwas konstruieren können, können wir jetzt auch besser verstehen, wie auch die Natur solche Mechanismen nutzt, um neue Funktionalitäten zu schaffen.“

Die Ergebnisse stellen Lemke und Reinkemeier nun im Artikel „Dual film-like organelles enable spatial separation of orthogonal eukaryotic translation“ in dem renommierten Fachjournal Cell vor.

Bildmaterial:
https://download.uni-mainz.de/presse/10_imp_biophysik_organelle_funktionalitaete…
Angelehnt an ein Kunstwerk von Dalí zeigt dieses Bild, dass die Ausstattung von eukaryotischen Zellen mit dünnen, filmartigen, designten Organellen ein wirksames Mittel ist, um mehrere neue Funktionalitäten in Zellen einzubringen.
Abb./©: Sara Mingu

Weiterführende Links:
http://www.spp2191.com/ – Homepage des Schwerpunktprogramms „Molecular Mechanisms of Functional Phase Separation“
http://www.gfk.uni-mainz.de/2266.php – GFK-Fellow Prof. Dr. Edward A. Lemke

Lesen Sie mehr:
https://www.uni-mainz.de/presse/aktuell/11905_DEU_HTML.php – Pressemitteilung „Große Moleküle brauchen mehr Helfer für ihren Transport durch die Kernpore in den Zellkern“ (30.07.2020)
https://www.uni-mainz.de/presse/aktuell/11211_DEU_HTML.php – Pressemitteilung „ERC Advanced Grant für Edward Lemke zur Herstellung von Designer-Organellen in Zellen“ (09.04.2020)
https://www.uni-mainz.de/presse/aktuell/7942_DEU_HTML.php – Pressemitteilung „Designer-Organellen in Zellen stellen künstliche Proteine her“ (29.03.2019)
http://www.magazin.uni-mainz.de/9105_DEU_HTML.php – JGU-Magazin „Flexible Proteine geben Rätsel auf” (15. Mai 2018)
http://www.uni-mainz.de/presse/aktuell/5059_DEU_HTML.php – Pressemitteilung „Neues DFG-Schwerpunktprogramm bringt Licht in das Dunkle Proteom“ (09.05.2018)

Wissenschaftliche Ansprechpartner:

Prof. Dr. Edward Lemke
Synthetische Biophysik
Johannes Gutenberg-Universität Mainz
und
Institut für Molekulare Biologie (IMB)
55099 Mainz
Tel. +49 6131 39-36118
E-Mail: edlemke@uni-mainz.de
http://www.lemkelab.com
https://lemkelab.uni-mainz.de/about-edward-lemke/
https://www.imb.de/research/lemke/research/

Originalpublikation:

Christopher D. Reinkemeier, Edward A. Lemke
Dual film-like organelles enable spatial separation of orthogonal eukaryotic translation
Cell, 24. August 2021
DOI: 10.1016/j.cell.2021.08.001
https://doi.org/10.1016/j.cell.2021.08.001

https://www.uni-mainz.de/

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