Neuartige Form des Sehens bei Tiefseefischen entdeckt

Der Laternenfisch besitzt Leuchtorgane und eine erhöhte Anzahl an Rhodopsin-Genen. Zuzana Musilová; Karls-Universität, Prag

Das Farbensehen kommt bei den Wirbeltieren normalerweise durch das Zusammenspiel von unterschiedlichen Sehpigmenten in den Zapfenzellen der Netzhaut zustande. Diese Zellen reagieren jeweils auf eine bestimmte Wellenlänge des Lichts, beim Menschen etwa auf dessen roten, grünen und blauen Anteil.

Doch funktioniert die Farbwahrnehmung nur bei Tageslicht – bei Dunkelheit können Wirbeltiere die wenigen Lichtteilchen nur mittels der lichtempfindlichen Stäbchenzellen erkennen. Diese enthalten nur eine einzige Form des Sehpigments Rhodopsin – dies ist der Grund, weshalb die allermeisten Wirbeltiere in der Nacht farbenblind sind.

Silberkopf mit Gen-Rekord

Ein internationales Forschungsteam um Prof. Dr. Walter Salzburger von der Universität Basel hat nun mehr als 100 Genome von Fischen analysiert, darunter vielen, die in der Tiefsee leben. Die Zoologen fanden heraus, dass bestimme Tiefseefische ihr Repertoire an Rhodopsin-Genen vervielfältigt haben.

Besonders sticht dabei der Silberkopf (Diretmus argenteus) heraus, der nicht weniger als 38 Kopien des Rhodopsin-Gens besitzt, zusätzlich zu zwei weiteren Opsinen eines anderen Typs. «Damit ist der im Dunkeln lebende Silberkopf das Wirbeltier mit den am Abstand meisten Genen für Sehpigmente», so Salzburger.

Die vielen unterschiedlichen Rhodopsin-Genkopien der Tiefseefische sind jeweils auf die Wahrnehmung einer bestimmten Wellenlänge des Lichts angepasst, berichten die Forscher weiter. Zeigen liess sich dies durch Computersimulationen und funktionelle Experimente an Rhodopsin-Proteinen, die im Labor hergestellt wurden.

Dabei decken die Gene genau den Wellenlängenbereich des durch Leuchtorgane «hergestellten» Lichts ab, der sogenannten Biolumineszenz. Als Biolumineszenz wird die Fähigkeit von Lebewesen bezeichnet, selbst oder mithilfe von andern Organismen Licht zu erzeugen. So lockt etwa der Anglerfisch mit seinen Leuchtorganen Beutefische an.

Signale im Dunkeln erkennen

Die Tiefsee ist der grösste belebte Lebensraum der Erde und gleichzeitig wegen seiner Unzugänglichkeit einer der am wenigsten erforschten. Viele Organismen haben sich an das Leben in dieser unwirtlichen Umwelt und in fast vollständiger Dunkelheit angepasst. Beispielsweise haben viele Fische hoch empfindliche Teleskop-Augen entwickelt, um das minimale Restlicht in den Tiefen der Ozeane wahrnehmen zu können.

Bei Wirbeltieren sind im Protein für Rhodopsin 27 Schlüsselpositionen bekannt, die einen direkten Einfluss darauf haben, welche Lichtwellenlänge wahrgenommen wird. In den verschiedenen Gen-Kopien der Silberköpfe in der Tiefsee waren allein 24 dieser Positionen durch Mutationen verändert, fanden die Forscher.

«Es scheint, als ob Tiefseefische mehrmals unabhängig voneinander diese auf vielen Rhodopsin-Kopien basierte Form des Sehens entwickelt haben, ebenso dass dies speziell dem Erkennen von Signalen der Biolumineszenz dient», sagt Salzburger. Dies könnte den Tiefseefischen einen evolutionären Vorteil verschafft haben, indem sie potenzielle Beute oder Fressfeinde sehr viel besser sehen können.

«In jedem Fall helfen unsere Ergebnisse, das gängige Paradigma in Bezug auf die Rolle von Stäbchen- und Zapfenzellen bei der Farbwahrnehmung zu verfeinern», schreiben die Zoologen. Einmal mehr zeigt sich, dass die Analyse von ganzen Genomen zu neuen Erkenntnissen in der Biologie führen kann.

Prof. Dr. Walter Salzburger, Universität Basel, Departement Umweltwissenschaften, Fachbereich Zoologie, Tel. +41 61 207 03 03, E-Mail: walter.salzburger@unibas.ch

Zuzana Musilova, Fabio Cortesi, Michael Matschiner, Wayne I. L. Davies, Jagdish Suresh Patel, Sara M. Stieb, Fanny de Busserolles, Martin Malmstrøm, Ole K. Tørresen, Celeste J. Brown, Jessica K. Mountford, Reinhold Hanel, Deborah L. Stenkamp, Kjetill S. Jakobsen, Karen L. Carleton, Sissel Jentoft, Justin Marshall, Walter Salzburger
Vision using multiple distinct rod opsins in deep-sea fishes
Science (2019), doi: 10.1126/science.aav4632
https://science.sciencemag.org/lookup/doi/10.1126/science.aav4632

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Reto Caluori Universität Basel

Weitere Informationen:

http://www.unibas.ch

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