Nerven heilen auf Spinnenseide

Nerven heilen auf Spinnenseide
(c) Wiley-VCH

Janusköpfige Spinnenseidenfasern könnten Nervenzellen zum Wachsen anregen.

Spinnenseide hat als zähes, festes, aber auch biologisch abbaubares Naturprodukt ein immenses Potenzial in der regenerativen Medizin. Forschende haben nun zweiseitige Spinnenseidenfasern hergestellt, die geschädigte Nerven- oder Muskelzellen eine wirkungsvolle Plattform zum Wachsen bieten könnten. Wie sie in der Zeitschrift „Angewandte Chemie“ berichten, eignet sich eine Faserseite zum Anheften der Zellen, auf die andere Seite können Hilfsstoffe und andere Substanzen angebracht werden.

Spinnenseide ist ungiftig, biokompatibel und wird kaum von Mikroben besiedelt. Diese Eigenschaft macht sie interessant als Stützmedium, um geschädigte Nervenzellen neu wachsen zu lassen. Mit ursprünglicher Spinnenseide dauert dieser Vorgang jedoch noch sehr lange und muss kompliziert vorbereitet werden. Der Materialwissenschaftler Thomas Scheibel von der Universität Bayreuth und sein Team haben die Naturfaser deshalb mit einem biotechnologischen Ansatz gleich mehrfach optimiert.

In Scheibels Arbeitsgruppe wird Spinnenseide rekombinant hergestellt, also von einem gentechnisch veränderten Mikroorganismus produziert. „Das hat Qualitätsvorteile“, sagt Scheibel. „Und ich habe die Möglichkeit, die Proteine zu modifizieren.“ Mit diesem Ansatz konstruierte das Team Januskörper-ähnliche Spinnenseidenfasern, die zwei unterschiedlich optimierte Spinnenseidenproteine in sich vereinen.

Januskörper haben wie der berühmte Gott Janus aus der Antike zwei „Gesichter“ oder Seiten. Eine Seite der Faser bestand aus einem Spinnenseidenprotein, in dem das Team eine einzige Aminosäure ausgetauscht hatte. Dadurch kehrte sich die Nettoladung des Proteins um. „Die Materialoberfläche wird dadurch attraktiver für Zellen,“ erklärt Scheibel.

Die andere Seite bestand aus einem Spinnenseidenprotein, an das die Forschenden die Aminosäure Cystein angefügt hatten. Mit Cystein kann „Klickchemie“ betrieben werden, eine chemische Methode der Funktionalisierung von Materialien, bei der die Reaktionspartner so einfach miteinander reagieren, als ob man sie nur Anklicken müsste.

Durch das Janus-Elektrospinnen, dem Ausziehen einer zweiseitigen Faser aus zwei getrennten Proteinlösungen in einem elektrischen Feld, stellte das Team ein wasserlösliches Vorprodukt her, dessen Nachbehandlung die kristallinen, unlöslichen Janusfasern ergab. Das Produkt belegten sie dann auf der entsprechenden Seite durch Klickchemie mit Gold-Nanopartikeln, die die Spinnenseide leitfähig und somit den Erfolg der Behandlung direkt messbar machten.

Mit Nanogold belegte Janus-Spinnenseidenfasern könnten das Wachstum von Muskelzellen stimulieren. „Muskeln lassen sich elektrisch anregen, das wäre auf einem solchen ‚Golddraht‘ aus Spinnenseidenfasern möglich,“ erklärt Scheibel. Andere Modifikationen seien aber vielversprechender. Durch Klickchemie möchten die Forschenden Wachstumsfaktoren einführen, um nicht nur das Anwachsen von Nervenzellen auf der Spinnenseide, sondern auch deren gezieltes und schnelleres Wachstum entlang einer Schiene ermöglichen.

Angewandte Chemie: Presseinfo 01/2022

Autor/-in: Thomas Scheibel, Universität Bayreuth (Germany), http://fiberlab.de/

Angewandte Chemie, Postfach 101161, 69451 Weinheim, Germany.
Die „Angewandte Chemie“ ist eine Publikation der GDCh.

Originalpublikation:

https://doi.org/10.1002/ange.202115232

Weitere Informationen:

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Maren Mielck Abteilung Öffentlichkeitsarbeit
Gesellschaft Deutscher Chemiker e.V.

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