Menschliches Gehör – Auf Mikrosekunden genau

Grafik: rost9 / fotolia.com Quelle: LMU

Beim Hören leiten Nervenzellen akustische Information vom Innenohr zu den neuronalen Schaltkreisen im Gehirn. Dabei werden die von außen kommenden mechanischen Schwingungen in elektrische Impulse umgewandelt. Eine besondere Herausforderung für das Gehör ist es, die Schallquellen richtig zu orten, da der Schall das Ohr, das der Quelle am nächsten zugewandt ist, wenige Mikrosekunden früher erreicht als das andere Ohr.

Dieser Unterschied in der Ankunftszeit eines Schalls an beiden Ohren wird als interaurale Laufzeitdifferenz bezeichnet. Forscher der Arbeitsgruppe von LMU-Neurowissenschaftler Professor Benedikt Grothe und Dr. Michael Pecka beschreiben nun erstmals einen besonderen chemischen Mechanismus, der eine wichtige Rolle für diese mikrosekundengenaue Verarbeitung spielt. Darüber berichten sie aktuell in der Fachzeitschrift PNAS.

Bevor Zellen im auditiven Stammhirn die interaurale Laufzeitdifferenz berechnen können, müssen die Informationen erst über Synapsen zu ihnen übertragen werden. Normalerweise können dadurch je nach Lautstärke unterschiedliche Verzögerung durch die Synapsen entstehen.

Die LMU-Neurowissenschaftler konnten nun jedoch einen Übertragungsweg aufzeigen, bei dem die Synapsen minimale und gleichbleibende Verzögerungen haben. „Auch bei unterschiedlichen Aktivierungsraten bleibt die Verzögerung konstant. Das ist entscheidend für die möglichst genaue Verarbeitung von interauralen Zeitdifferenzen“, sagt Benedikt Grothe.

Die LMU-Neurowissenschaftler zeigen zudem, dass eine besondere strukturelle Eigenschaft der Axone, die sie 2015 im Fachjournal Nature Communications erstmals beschrieben haben, mit dieser Fähigkeit korreliert. Demnach sorgt eine spezifische Isolierung dafür, dass Axone besonders schnell leiten können – eine wichtige Voraussetzung dafür, dass die Zeitunterschiede exakt berechnet werden können.

Beide Phänomene finden sich nur bei Tieren wie Wüstenrennmäusen, die Zeitunterschiede zur Lokalisation von Schall nutzen und dadurch auch niederfrequente Töne orten können. „Unsere Arbeit belegt, dass sich Nervenzellen und Schaltkreise anatomisch und physiologisch an die funktionalen Besonderheit ihrer Aufgabe anpassen“, sagt Dr. Michael Pecka. „Wir gehen davon aus, dass alle Tiere, die niederfrequente Töne wahrnehmen, über diese strukturellen Besonderheiten verfügen.“

Publikation:
Annette Stange-Martena, Alisha L. Nabel, James L. Sinclaira, Matthew J. Fischla, Olga Alexandrovaa, Hilde Wohlfroma, Conny Kopp-Scheinpfluga, Michael Pecka, and Benedikt Grothe:
Input timing for spatial processing is precisely tuned via constant synaptic delays and myelination patterns in the auditory brainstem
In: PNAS 2017

Kontakt
Professor Benedikt Grothe
Lehrstuhl für Neurobiologie an der LMU
Tel.: +49 (0) 89/2180-74302
E-Mail: neuro@bio.lmu.de

Dr. Michael Pecka
Lehrstuhl für Neurobiologie an der LMU
Tel.: +49 (0) 89/2180-74298
E-Mail: pecka@bio.lmu.de

Media Contact

Luise Dirscherl idw - Informationsdienst Wissenschaft

Alle Nachrichten aus der Kategorie: Biowissenschaften Chemie

Der innovations-report bietet im Bereich der "Life Sciences" Berichte und Artikel über Anwendungen und wissenschaftliche Erkenntnisse der modernen Biologie, der Chemie und der Humanmedizin.

Unter anderem finden Sie Wissenswertes aus den Teilbereichen: Bakteriologie, Biochemie, Bionik, Bioinformatik, Biophysik, Biotechnologie, Genetik, Geobotanik, Humanbiologie, Meeresbiologie, Mikrobiologie, Molekularbiologie, Zellbiologie, Zoologie, Bioanorganische Chemie, Mikrochemie und Umweltchemie.

Zurück zur Startseite

Kommentare (0)

Schreiben Sie einen Kommentar

Neueste Beiträge

Anlagenkonzepte für die Fertigung von Bipolarplatten, MEAs und Drucktanks

Grüner Wasserstoff zählt zu den Energieträgern der Zukunft. Um ihn in großen Mengen zu erzeugen, zu speichern und wieder in elektrische Energie zu wandeln, bedarf es effizienter und skalierbarer Fertigungsprozesse…

Ausfallsichere Dehnungssensoren ohne Stromverbrauch

Um die Sicherheit von Brücken, Kränen, Pipelines, Windrädern und vielem mehr zu überwachen, werden Dehnungssensoren benötigt. Eine grundlegend neue Technologie dafür haben Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus Bochum und Paderborn entwickelt….

Dauerlastfähige Wechselrichter

… ermöglichen deutliche Leistungssteigerung elektrischer Antriebe. Überhitzende Komponenten limitieren die Leistungsfähigkeit von Antriebssträngen bei Elektrofahrzeugen erheblich. Wechselrichtern fällt dabei eine große thermische Last zu, weshalb sie unter hohem Energieaufwand aktiv…

Partner & Förderer