Mehr Nachkommen durch Gentests: Wissenschaftler entdecken Ursache für Unfruchtbarkeit bei Rindern

Zum Nachweis der Mutation setzten die Forscher der Technischen Universität München (TUM) auf modernste Methoden der Gensequenzierung. Mithilfe von Tests kann jetzt festgestellt werden, welche Rinder als Zuchttiere infrage kommen.

Das Fleckvieh stammt ursprünglich aus dem Alpenraum. Heute ist diese robuste Rinderrasse auf allen Kontinenten zuhause. Geschätzt sind es weltweit etwa 40 Millionen Tiere.

In Deutschland leben etwa 1 Million Milchkühe der Fleckvieh-Rasse: „Ihre Genome lassen sich auf einige wenige Vorfahren, sogenannte Schlüsselahnen, zurückführen“, erklärt Prof. Ruedi Fries, Leiter des Lehrstuhls für Tierzucht an der Technischen Universität München (TUM). „Über die künstliche Besamung können männliche Zuchttiere mehr als hunderttausend Nachkommen hervorbringen.“

Ein einzelnes Gen macht unfruchtbar

Diese Praxis birgt jedoch Risiken: Befindet sich im Erbgut der Rinder ein unerkannter Gendefekt, pflanzt sich das Merkmal in späteren Generationen fort. Wissenschaftler der TUM haben jetzt entdeckt, dass eine Mutation im Gen TMEM95 auf dem Rinderchromosom 19 die Bullen nahezu unfruchtbar macht – nicht einmal 2 Prozent aller Besamungen verlaufen dann erfolgreich.

„Ansonsten sind die Tiere völlig gesund und unauffällig“, sagt Dr. Hubert Pausch, Erstautor der Studie. „Das Merkmal prägt sich außerdem nur dann aus, wenn Bullen die Mutation vom Vater- und vom Muttertier erben, also reinerbig (homozygot) für das defekte Gen sind. Lediglich in diesem Fall sollten die Tiere aus der Züchtung ausgeschlossen werden.“ Bereits seit August 2012 werden alle Zuchtbullen routinemäßig mit einem Gentest untersucht.

Erkenntnisse für die Humanmedizin

In ihrer Studie verglichen die Wissenschaftler das Genom von 40 wenig fruchtbaren (subfertilen) Rindern mit 8.000 normal fruchtbaren Zuchtbullen. Dabei fanden sie auch heraus, dass sich der Gendefekt bis zu einem 1966 geborenen Stammvater der Fleckviehzucht zurückverfolgen lässt.

Das TMEM95-Gen kodiert für ein Protein auf der Oberfläche der Spermienköpfe. Das Protein vermittelt die Bindung zwischen Samen- und Eizelle. Fehlt es, kommt es nicht zur Befruchtung.

„Unsere Arbeiten liefern Hinweise, dass Gendefekte in TMEM95 auch bei Männern zu Unfruchtbarkeit führen könnten“, erläutert Pausch. Bei der Untersuchung von Spermien unfruchtbarer Zuchtbullen arbeiteten die TUM-Wissenschaftler mit Prof. Sabine Kölle und Dr. Matthias Trottmann vom Klinikum Großhadern (LMU München) zusammen. Trottmann betreut Paare mit unerfülltem Kinderwunsch.

Genanalysen fördern Tiergesundheit

Seit 2009 wird das Genom von Rindern systematisch untersucht. Im Vergleich zum Menschen erklären einige wenige Genorte einen großen Anteil der Merkmale. „Das genetische Profil von Zuchtbullen kann so punktgenau charakterisiert werden – individuelle Schwachpunkte lassen sich dann in der Zucht berücksichtigen“, so Pausch.

Fries ergänzt: „Genanalysen zeigen, welche erwünschten Merkmale, aber auch welche Krankheiten die Tiere vererben. So können nicht nur Ertrag und Qualität verbessert werden: Wir können auch die Tiergesundheit fördern, indem wir krankmachende Genvarianten finden – und dafür sorgen, dass sie sich nicht weitervererben.“ Ein Beispiel dafür ist ein Gendefekt, der im reinerbigen Zustand eine Störung der Blutgerinnung verursacht

Die Forschungsarbeit ist im Rahmen des Synbreed-Forschungsverbundes entstanden (http://www.synbreed.tum.de). Die Publikation wurde über den Open Access-Publikationsfonds der TUM finanziert.

Publikation:
A nonsense mutation in TMEM95 encoding a nondescript transmembrane protein causes idiopathic male subfertility in cattle; Hubert Pausch, Sabine Kölle, Christine Wurmser, Hermann Schwarzenbacher, Reiner Emmerling, Sandra Jansen, Matthias Trottmann, Christian Fürst, Kay-Uwe Götz, Ruedi Fries, PLOS Genetics, 2013, DOI: 10.1371/journal.pgen.1004044
Kontakt:
Technische Universität München
Lehrstuhl für Tierzucht
www.tierzucht.tum.de
Dr. Hubert Pausch
Tel.:+49 8161 71-3743
hubert.pausch@tierzucht.tum.de
Prof. Dr. Ruedi Fries
Tel.: + 49 8161 71-3229
ruedi.fries@tum.de
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