Koboldmakis: Fenster in die Vergangenheit

So stellt man sich einen Kobold vor: klein und gedrungen, aber riesige Augen und ein wacher, schelmischer Blick, lange dünne Finger und spitzige Ohren – Koboldmakis könnten dem Aussehen nach die perfekten Kobolde sei, aber auch ohne diese Ähnlichkeit umgibt die kleinen Äffchen etwas Geheimnisvolles.

Sie gehören zu den Primaten, wie Schimpansen und Menschen auch, haben sich aber seit mindestens 60 Millionen Jahren völlig eigenständig entwickelt. Ihre Einzigartigkeit und besondere Stammesgeschichte gibt den Wissenschaftlern viele Rätsel auf. Mit genetischen Untersuchungen konnten Forscher der Johannes Gutenberg-Universität Mainz nun einige Geheimnisse der Koboldmakis lüften. Damit bekommt das Bild über die frühe Aufspaltung der Primaten ein neues Puzzle-Teilchen dazu.

Erstaunlich wenig ist über sie bekannt, man weiß nicht einmal genau, wie viele Arten es gibt, dabei sind es die einzigen noch lebenden Vertreter einer der ältesten Stammlinien der Primaten überhaupt. Wie Fossilienfunde zeigen, waren nahe Verwandte der heute lebenden Koboldmakis im Eozän über Nordamerika, Europa und Asien verbreitet, sind aber fast überall verschwunden. Koboldmakis kommen heute nur noch auf einigen Inseln Südostasiens vor: auf den südlichen Philippinen, auf Sumatra und Borneo und der indonesischen Insel Sulawesi. Die nachtaktiven Tiere leben vorzugsweise in Regenwäldern, wo sie Insekten und andere Kleintiere als Nahrung finden und tagsüber in den Bäumen und dichten Büschen schlafen können. Sie sind etwa 12 Zentimeter groß und haben einen 25 Zentimeter langen Schwanz, den sie zum Steuern beim Sprung von Ast zu Ast und von Stamm zu Stamm verwenden.

Bisher sind neun Arten beschrieben, sieben davon leben ausschließlich auf Sulawesi. „Sulawesi hat enorm viele Besonderheiten, ähnlich wie Madagaskar. Die meisten Säugetiere auf der Insel sind endemisch, sie kommen nur dort vor und an keinem anderen Ort der Welt. Die Insel ist ein absoluter Hotspot in der Entwicklung und Artbildung der Koboldmakis“, erklärt Dr. Stefan Merker, der die Affen seit über zehn Jahren erforscht. Seine jüngste Studie, in Zusammenarbeit mit Christine Driller, Hans Zischler und indonesischen Kollegen am Institut für Anthropologie der Johannes Gutenberg-Universität Mainz durchgeführt, erforscht die Aufspaltung der sulawesischen Tarsier, wie die Tiere wegen ihrer langen Fußwurzelknochen (Tarsi) wissenschaftlich genannt werden. Die Ergebnisse hat das Fachmagazin Proceedings of the National Academy of Sciences (PNAS) im Mai veröffentlicht.

Sulawesische Koboldmakis führen Duett-Gesänge auf. Die Tiere, jeweils ein männliches und ein weibliches Tier und oft auch deren Nachwuchs, rufen die Familie damit am Morgen zusammen, um gemeinsam die Schlafbäume aufzusuchen. Die Duett-Gesänge dienen so der Paarbindung, aber auch der Verteidigung eines Territoriums. Die Rufe sind nicht nur geschlechtsspezifisch, sondern unterscheiden sich zudem von Art zu Art. Erstaunlicherweise, so ist an den unterschiedlichen Duett-Gesängen zu hören, haben sich die bisher beschriebenen sieben Koboldmaki-Arten nicht auf der ganzen Insel verteilt. Vielmehr leben sie recht streng getrennt auf kleinen, der Hauptinsel vorgelagerten Eilanden sowie an unterschiedlichen Orten Sulawesis, das mit einer Fläche von 189.000 Quadratkilometern etwa halb so groß ist wie die Bundesrepublik und aus dem Zusammendriften von Teilen der eurasischen, der australischen und der pazifischen Platte entstanden ist.

„Es wird angenommen, dass sich die Verbreitung der Koboldmakis an den Grenzen der Mikroplatten orientiert, aus denen sich Sulawesi zusammensetzt.“ Merker ging dieser Vermutung an einer ganz bestimmten Stelle im Zentrum der Insel auf den Grund „Hier gibt es eine Art-Grenze mitten im Wald, ohne irgendeine Barriere wie beispielsweise einen Gebirgszug, der die beiden Arten Tarsius lariang und Tarsius dentatus, also den Lariang-Koboldmaki und den Diana-Koboldmaki, getrennt hätte.“ Gen-Analysen bestätigten nun, dass zwischen den beiden Arten große genetische Unterschiede bestehen und dass die Duett-Gesänge tatsächlich artspezifisch sind. „Unsere Ergebnisse zeigen zudem, dass die Art-Grenze ziemlich genau entlang einer Mikroplatten-Grenze verläuft“, erläutert Merker. Die geologische Geschichte der Insel und die Veränderungen des Meeresspiegels in den letzten 1,6 Millionen Jahren haben zu der sensationellen Ausprägung der verschiedenen Koboldmaki-Arten geführt. Dabei wird es nicht bei den sieben bekannten Arten bleiben, denn ständig werden noch neue Spezies entdeckt und beschrieben. Merker selbst hat bereits 2006 eine neue Art identifiziert und wird voraussichtlich im nächsten Jahr eine weitere vorstellen.

Nach dem aktuellen Wissensstand ist anzunehmen, dass sich der Urahn der sulawesischen Tarsier vor etwa elf Millionen Jahren von den anderen Arten auf Sumatra, Borneo und den Philippinen abgespalten hat und den damaligen sulawesischen Archipel besiedelte. Eine eiszeitliche Meeresspiegelabsenkung ließ vor 1,6 Millionen Jahren vermutlich Landbrücken entstehen und machte eine Ausbreitung der Tiere möglich, das Verschwinden dieser Brücken führte danach zu ihrer eigenständigen Evolution. Als sich aufgrund der Plattentektonik die Insel in ihrer heutigen Form gebildet hat, waren die Arten bereits zu stark isoliert, als dass es wieder zu einer Vermischung hätte kommen können.

Koboldmakis, die mit uns Menschen näher verwandt sind als mit den Lemuren, zu denen sie aufgrund ihres Aussehens früher gezählt wurden, konnten 60 Millionen Jahre oder noch mehr überleben, weil in Südostasien die Regenwälder vermutlich auch während der Eiszeiten als Lebensraum erhalten blieben. Dieses Refugium ist heute stark bedroht und manche Koboldmaki-Arten sind in ihrer Existenz gefährdet. „Von den Siau-Koboldmakis auf einer kleinen Insel nördlich Sulawesis“, so Merker, „gibt es vermutlich nur noch wenige hundert Tiere.“

Originalveröffentlichung:
Stefan Merker, Christine Driller, Dyah Perwitasari-Farajallah, Joko Pamungkas and Hans Zischler
Elucidating geological and biological processes underlying the diversification of Sulawesi tarsiers
Proceedings of the National Academy of Sciences (PNAS), Online-Veröffentlichung am 18. Mai 2009

doi: 10.1073/pnas.0900319106

Kontakt und Informationen:
Dr. Stefan Merker
Institut für Anthropologie
Johannes Gutenberg-Universität Mainz
Tel. +49 1522 1678405
E-Mail: merker@uni-mainz.de
Univ.-Prof. Dr. Hans Zischler
Institut für Anthropologie
Johannes Gutenberg-Universität Mainz
Tel. +49 6131 39-24354
Fax +49 6131 39-23799
E-Mail: zischler@uni-mainz.de

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