Internationales Team beobachtet ultraschnelle Geburt freier Radikale in Wasser

Der Moment des Protontransfers von einem ionisierten zu einem neutralen Wassermolekül. Die blaue, hantelförmige Wolke zeigt das Orbital, aus dem ein Elektron durch Bestrahlung herausgeschlagen wurde. Bild: DESY, Caroline Arnold

Die Studie hat die Radiolyse von Wasser untersucht, so nennen Wissenschaftler die Aufspaltung einer chemischen Verbindung – in diesem Fall Wasser – durch Strahlung.

„Unser Körper besteht im Wesentlichen aus Wasser“, erläutert Santra, der Leitender Wissenschaftler bei DESY und Physikprofessor im Exzellenzcluster „Advanced Imaging of Matter“ an der Universität Hamburg ist. „Wir alle sind im Alltag ionisierender Strahlung ausgesetzt – ob durch Röntgenaufnahmen, natürliche Radioaktivität oder beispielsweise kosmische Strahlung auf Flugreisen. Daher ist das, was hier passiert, von grundlegender Bedeutung.“

Bei der Radiolyse von Wasser schlägt zunächst energiereiche Strahlung ein Elektron aus einem Wassermolekül (H2O), es wird dadurch zu H2O+ ionisiert.

In der Folge kommt es zu einem sogenannten Protonentransfer, bei dem das ionisierte Wassermolekül einen Wasserstoff-Atomkern (Proton) an ein benachbartes Molekül abgibt. Dadurch entstehen ein extrem reaktionsfreudiges Hydroxyl-Radikal (OH), das Schäden im Organismus anrichten kann, und ein Hydronium-Ion (H3O+). Der Prozess selbst ist seit langem bekannt, wie er aber genau abläuft, war bislang nicht im Detail beobachtet worden – unter anderem weil er extrem schnell ist.

„Wir haben die allerschnellste chemische Reaktion in ionisiertem Wasser beobachtet, die zur Geburt des Hydroxyl-Radikals führt“, betont Young. „Das Hydroxyl-Radikal selbst ist von wesentlicher Bedeutung, da es sich in einem Organismus, einschließlich unserer Körper, ausbreiten und nahezu jedes Makromolekül wie DNA, RNA und Proteine beschädigen kann.“ Ein tieferes Verständnis der Radiolyse könnte möglicherweise helfen, Strategien zu entwickeln, um die Entstehung des Hydroxyl-Radikals zu unterdrücken.

Für die Untersuchung hatten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler Wasser per Laser ionisiert und anschließend mit dem Röntgenlaser LCLS des US-Forschungszentrums SLAC in Kalifornien extrem kurze Schnappschüsse der dadurch ausgelösten Prozesse aufgenommen. Der Röntgenlaser ermöglicht ultrakurze Belichtungszeiten von nur rund 30 Femtosekunden (millionstel milliardstel Sekunden).

Die detaillierte Analyse der Messdaten bestätigt die theoretische Modellierung des Protontransfers, die Santra geleitet hat. „Wir konnten zeigen, dass die Röntgendaten tatsächlich Informationen über die Dynamik der Wassermoleküle enthalten, die den Protonentransfer ermöglicht“, berichtet der DESY-Theoretiker.

„In knapp 50 billiardstel Sekunden rücken die umgebenden Wassermoleküle auf das ionisierte Molekül zu und drehen ihm ihre reaktionsfreudigste Seite zu, bis eines von ihnen nah genug ist, um sich in einer Art Handschlag eines der Protonen zu greifen, wodurch es zu Hydronium wird und ein Hydroxyl-Radikal zurücklässt.“ Den Beobachtungen zufolge läuft dieser Protonentransfer typischerweise in nur 46 billiardstel Sekunden ab.

Damit ist den Forscherinnen und Forschern ein erster entscheidender Schritt zur Aufklärung der extrem schnellen Dynamik der Radiolyse von Wasser gelungen. „Unsere Arbeit zeigt, dass die schnellste chemische Reaktion in ionisiertem Wasser auf der Zeitskala von 50 Femtosekunden abläuft“, fasst Loh zusammen.

„Während 50 Femtosekunden nach den meisten Maßstäben schon kurz sind, existieren innerhalb dieser 50 Femtosekunden noch viele physikalische Prozesse, die noch nicht aufgelöst werden konnten. Das Ziel ist letztlich, das komplizierte Netzwerk der physiko-chemischen Prozesse zu enthüllen, die in ionisiertem Wasser stattfinden, angefangen von dem Moment, in dem ionisierende Strahlung auf das Wasser trifft, bis zur Geburt des hochreaktiven OH-Radikals.“

An der Arbeit waren die Technische Universität Nanyang in Singapur, das Argonne National Laboratory in den USA, DESY, die Universität Hamburg, die Universität Uppsala (Schweden), der europäische Röntgenlaser European XFEL, die Northwestern University in Evanston (USA), das französische Forschungszentrum CNRS, die Dänische Technische Universität in Roskilde, die University of Southern California in Los Angeles, das US-Forschungszentrum SLAC und die Universität von Chicago beteiligt.

DESY zählt zu den weltweit führenden Teilchenbeschleuniger-Zentren und erforscht die Struktur und Funktion von Materie – vom Wechselspiel kleinster Elementarteilchen, dem Verhalten neuartiger Nanowerkstoffe und lebenswichtiger Biomoleküle bis hin zu den großen Rätseln des Universums.

Die Teilchenbeschleuniger und die Nachweisinstrumente, die DESY an seinen Standorten in Hamburg und Zeuthen entwickelt und baut, sind einzigartige Werkzeuge für die Forschung: Sie erzeugen das stärkste Röntgenlicht der Welt, bringen Teilchen auf Rekordenergien und öffnen neue Fenster ins Universum. DESY ist Mitglied der Helmholtz-Gemeinschaft, der größten Wissenschaftsorganisation Deutschlands, und wird zu 90 Prozent vom Bundesministerium für Bildung und Forschung und zu 10 Prozent von den Ländern Hamburg und Brandenburg finanziert.

Fachartikel:
Observation of the fastest chemical processes in the radiolysis of water; Z.-H. Loh, G. Doumy, C. Arnold, L. Kjellsson, S.H. Southworth, A. Al Haddad, Y. Kumagai, M.-F. Tu, P.J. Ho, A.M. March, R.D. Schaller, M.S. Bin Mohd Yusof, T. Debnath, M. Simon, R. Welsch, L. Inhester, K. Khalili, K. Nanda, A.I. Krylov, S. Moeller, G. Coslovich, J. Koralek, M.P. Minitti, W.F. Schlotter, J.-E. Rubensson, R. Santra, L. Young; „Science“, 2019; DOI: 10.1126/science.aaz4740

Prof. Robin Santra
CFEL/DESY
+49 40 8998-6300
robin.santra@desy.de

Observation of the fastest chemical processes in the radiolysis of water; Z.-H. Loh, G. Doumy, C. Arnold, L. Kjellsson, S.H. Southworth, A. Al Haddad, Y. Kumagai, M.-F. Tu, P.J. Ho, A.M. March, R.D. Schaller, M.S. Bin Mohd Yusof, T. Debnath, M. Simon, R. Welsch, L. Inhester, K. Khalili, K. Nanda, A.I. Krylov, S. Moeller, G. Coslovich, J. Koralek, M.P. Minitti, W.F. Schlotter, J.-E. Rubensson, R. Santra, L. Young; „Science“, 2019; DOI: 10.1126/science.aaz4740

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