Auch das Huhn weiß sich zu wehren

Forscher und Forscherinnen der Charité – Universitätsmedizin Berlin haben in Kooperation mit Wissenschaftlern des Max Delbrück Centrums und der Freien Universität sowie dem Beckman Forschungsinstitut in Kalifornien ein Protein im Immunsystem des Huhns entschlüsselt, das die Möglichkeiten der körpereigenen Abwehr deutlich erweitert.

„Es ist aufgebaut wie ein klassisches Abwehr-Molekül, so wie es unter anderem beim Menschen vorkommt. Aber ganz anders als bei anderen Organismen ist es in der Lage, Fette – so genannte Lipide – anstelle von Eiweißen zu erkennen“, erklärt Prof. Andreas Ziegler, Direktor des Instituts für Immungenetik der Charité. Die in der aktuellen Ausgabe der renommierten wissenschaftlichen Zeitschrift „PloS Biology“* veröffentlichte Studie zeigt, dass das Immunsystem des Huhns aus diesem Grund leistungsfähiger ist, als man es aufgrund der – im Vergleich zum Menschen – wesentlich geringeren Anzahl an Abwehrmolekülen vermuten würde.

Ein gemeinsames Merkmal des Immunsystems aller Wirbeltiere besteht im Vorhandensein des so genannten Haupthistokompatibilitätskomplexes (major histocompatibility complex, MHC). Der MHC produziert eine Gruppe von Molekülen, die für die Unterscheidung zwischen körperfremden und körpereigenen Stoffen zuständig sind. Sie haben die Aufgabe, dem Immunsystem fremdes Eiweiß (zum Beispiel von Viren oder Bakterien), das in eine Körperzelle eingedrungen ist, zu „melden“. Das Fremdeiweiß, das zuvor in seine Teilstücke, die so genannten Peptide, zerlegt wurde, dockt dabei gewissermaßen als „Bindungspartner“ an einer speziellen Stelle des MHC-Moleküls an. Daraufhin transportiert dieses Molekül das eingefangene Peptid an die Zelloberfläche und präsentiert es den dort vorbeiströmenden Immunzellen, unter anderem den so genannten T-Zellen.

Wenn diese das Peptid als körperfremd erkennen, kommt es zu einer Reihe von Reaktionen, an deren Ende die Vernichtung der erkrankten Zelle steht.

Die MHC-Gene des Huhns verteilen sich auf zwei Regionen (MHC-B und MHC-Y) desselben Chromosoms. Die MHC-B-Region weist Ähnlichkeit mit dem MHC bei Säugetieren auf, ist allerdings viel kleiner. Dennoch besitzen die Produkte dieser Gene die typische Struktur von klassischen MHC-Molekülen mit einer Bindungsstelle für Peptide. Die Wissenschaftler um Prof. Ziegler untersuchten nun Struktur und Bindungseigenschaften eines Proteins (YF1*7.1) aus der MHC-Y-Region. Mittels Röntgenkristallographie, einem Verfahren, mit dem man das molekulare Baugerüst eines Moleküls sichtbar machen kann, wurde zunächst gezeigt, dass das YF1*7.1 Protein ebenfalls die für klassische MHC-Moleküle charakteristische Struktur aufweist. Allerdings besitzt es eine atypische Bindungsstelle, in der Lipide, nicht jedoch Peptide, gebunden werden. Diese Fähigkeit kennt man bislang lediglich von bestimmten „nicht-klassischen“ MHC-Proteinen (sog. CD1-Proteinen).

Die neuartige Bindung von Lipiden an das YF1*7.1-Protein schließt in struktureller Hinsicht die existierende Lücke zwischen klassischen und nicht-klassischen MHC-Molekültypen. Die Lipide bindenden YF1-Proteine dienen dem Huhn möglicherweise dazu, sein im Vergleich zu Säugern sehr schmales Repertoire an MHC-Molekülen zu vergrößern, um auch diese Spezies effizient vor einer Vielzahl von Erregern zu schützen.

*Chee Seng Hee et al.: Structure of a Classical MHC Class I Molecule That Binds “Non-Classical” Ligands. In: PloS Biology, 07 Dezember 2010. DOI: 10.1371/journal.pbio.1000557

Kontakt:
Prof. Andreas Ziegler
Direktor des Instituts für Immungenetik
Campus Virchow-Klinikum
t: +49 30 450 564731
andreas.ziegler@charite.de

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Stefanie Winde idw

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