Aus groß wird klein – Umweltveränderungen beeinflussen die Größenentwicklung von Tieren

Die Waldspitzmaus hat eine lange Entwicklungsgeschichte. Zur Eiszeit hatte sie noch einen großen Körper. Mit dem Ende der Eiszeit musste sie sich den veränderten Umweltbedingungen anpassen. Den kleineren Artgenossen gehörte die Zukunft.<br>Foto/Copyright: F. Leo, www.fokus-natur.de<br>

Das Team untersuchte genetische Verwandtschaftsbeziehungen und morphologische Merkmale von viele Jahrtausende alten Spitzmäusen, die in drei Höhlen in Deutschland und Österreich geborgen wurden. Ihre Erkenntnisse über die Evolutionsvorgänge bei Tieren in der jüngeren Vergangenheit veröffentlichten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler im Fachmagazin „Global Change Biology“.

Bisherige Erkenntnisse zeigten, dass es bei der Waldspitzmaus am Ende der Eiszeit in einigen Gebieten Europas zu einer so bedeutenden Größenänderung kam, dass von der Existenz einer eigenen eiszeitlichen Art (mit bisher unbekanntem Ursprung) ausgegangen wurde. „Dabei handelte es sich um eine Größenveränderung innerhalb derselben Art, die durch bestimmte Umweltverhältnisse hervorgerufen wurde“, beschreibt Dr. Robert Sommer von der Kieler Universität die neuen Forschungsergebnisse. „Die Populationen dieser übermäßig großen Waldspitzmäuse sind nach der Eiszeit über natürliche Selektion sofort durch ihre kleineren Artgenossen ersetzt worden, weil die Größe in einer veränderten Umwelt absolut unvorteilhaft war.“ Denn mit der schwindenden Eiszeit boten die Eiszeitmäuse eine zu große Angriffsfläche für die wachsende Zahl an Jägern.

Stefan Prost, University of Otago, Dunedin und University of California, Berkeley ist als Initiator der Studie fasziniert davon, dass die DNA in den Unterkiefern der Spitzmäuse, die er in seiner Studentenzeit am Paläontologischen Institut der Universität Wien ausfindig machte, auch noch nach 13.000 Jahren ihre Geheimnisse preisgeben: „Wir können zeigen, dass nicht die niedrigen Temperaturen während der Eiszeit per se die Arten größer werden ließen. Veränderte Umweltverhältnisse wie die Konkurrenz durch andere Arten, das Vorhandensein einer eiszeitlichen Vegetation, wie sie heute nicht mehr zu finden ist, und das damit verbundene Nahrungsvorkommen spielten ebenso eine wichtige Rolle.“

Dies zeigt sich vor allem dadurch, dass es während der sehr kalten Bedingungen vor zirka 60.000 Jahren zu keiner Größenveränderung bei der Waldspitzmaus kam, wohl aber in der Zeit vor zirka 13.000 Jahren während einer kurzen Klimaerwärmung, weiß Mitautor Johannes Klietmann von der Universität Wien: „Der Größenvergleich der Knochen zeigt deutlich, wie differenziert Organismen in ihrer Ausbreitung und ihren Körpermerkmalen auf Umweltveränderungen reagiert haben.“

Michael Hofreiter, Professor für molekulare Evolution an der Universität York, unter dessen Leitung Prost und Sommer den Umgang mit fossiler DNA erlernten, freut sich darüber, dass sich die Untersuchung alter DNA in Kombination mit anderen Methoden als schlagkräftiges Instrument zum Verständnis von Evolutionsprozessen erwiesen hat: „Wir sollten solche Erkenntnisse nutzen, um auf den bevorstehenden Klimawandel vorbereitet zu sein“, so Hofreiter.

Hintergrund:
Spitzmäuse sind Insekten fressende Kleinsäugetiere und kommen nahezu überall in Europa und Asien vor. Einige Arten wie zum Beispiel die Waldspitzmaus (Sorex araneus) sind in der Lage, sich in ihrem weiten Verbreitungsgebiet verschiedenen ökologischen Bedingungen anzupassen und besiedeln daher mediterrane Gebiete ebenso wie kalte Tundrengebiete. Bei Eulen, den heimlichen Jägern der Nacht, stehen Spitzmäuse ganz oben auf dem Speiseplan. Sie stellen nach wie vor einen wesentlichen Anteil ihrer Nahrung dar. Auch während der letzten Eiszeit, vor zirka 60.000 Jahren, kamen Eulen in Europa vor. Sie versteckten sich tagsüber in Höhlen, in denen auch der Neandertaler und bald darauf der moderne Mensch Zuflucht suchten. Da Eulen die Knochen und Haare der Spitzmäuse nicht verdauen, sondern in Form von „Gewöllen“ wieder auswürgen, gelangten ihre Knochen in die Erdschichten der Höhlen, wo sie von Paläontologinnen und Paläontologen geborgen wurden.
Originalpublikation:
Prost, S., Klietmann, J., van Kolfschoten, T., Guralnick, R. P., Waltari, E., Vrieling, K., Stiller, M., Nagel, D., Rabeder, G., Hofreiter, M. & Sommer, R. S. (2013): Effects of Late Quaternary climate change on Palearctic shrews. Global Change Biology 19 (online early). http://onlinelibrary.wiley.com/doi/10.1111/gcb.12153/abstract

Kontakt:
PD Dr. Robert Sommer
Telefon: 0431-880-1106
E-Mail: rsommer@ecology.uni-kiel.de

Christian-Albrechts-Universität zu Kiel
Presse, Kommunikation und Marketing, Dr. Boris Pawlowski, Text: Claudia Eulitz
Postanschrift: D-24098 Kiel, Telefon: (0431) 880-2104, Telefax: (0431) 880-1355
E-Mail: presse@uv.uni-kiel.de

Media Contact

PD Dr. Robert Sommer Uni Kiel

Alle Nachrichten aus der Kategorie: Biowissenschaften Chemie

Der innovations-report bietet im Bereich der "Life Sciences" Berichte und Artikel über Anwendungen und wissenschaftliche Erkenntnisse der modernen Biologie, der Chemie und der Humanmedizin.

Unter anderem finden Sie Wissenswertes aus den Teilbereichen: Bakteriologie, Biochemie, Bionik, Bioinformatik, Biophysik, Biotechnologie, Genetik, Geobotanik, Humanbiologie, Meeresbiologie, Mikrobiologie, Molekularbiologie, Zellbiologie, Zoologie, Bioanorganische Chemie, Mikrochemie und Umweltchemie.

Zurück zur Startseite

Kommentare (0)

Schreiben Sie einen Kommentar

Neueste Beiträge

Bakterien für klimaneutrale Chemikalien der Zukunft

For­schen­de an der ETH Zü­rich ha­ben Bak­te­ri­en im La­bor so her­an­ge­züch­tet, dass sie Me­tha­nol ef­fi­zi­ent ver­wer­ten kön­nen. Jetzt lässt sich der Stoff­wech­sel die­ser Bak­te­ri­en an­zap­fen, um wert­vol­le Pro­duk­te her­zu­stel­len, die…

Batterien: Heute die Materialien von morgen modellieren

Welche Faktoren bestimmen, wie schnell sich eine Batterie laden lässt? Dieser und weiteren Fragen gehen Forschende am Karlsruher Institut für Technologie (KIT) mit computergestützten Simulationen nach. Mikrostrukturmodelle tragen dazu bei,…

Porosität von Sedimentgestein mit Neutronen untersucht

Forschung am FRM II zu geologischen Lagerstätten. Dauerhafte unterirdische Lagerung von CO2 Poren so klein wie Bakterien Porenmessung mit Neutronen auf den Nanometer genau Ob Sedimentgesteine fossile Kohlenwasserstoffe speichern können…

Partner & Förderer