Ein Gesichtsausdruck sagt mehr als tausend Worte

Auch in der digitalisierten Welt findet ein Großteil unserer Kommunikation im direkten Austausch mit unserem Gegenüber statt. Damit uns der andere versteht, setzen wir nicht nur unsere Stimme, sondern zusätzlich ein vielfältiges Repertoire an Gestik und Mimik ein.

Auch wenn letzteres meist mehr oder weniger unbewusst geschieht, ist es essentiell, damit sich unser Gesprächspartner in uns hinein versetzen kann. Wissenschaftler vom Max-Planck-Institut für biologische Kybernetik in Tübingen haben jetzt gezeigt, dass wir einen Gesichtsausdruck live oder in einem Film viel besser erkennen als auf einem Foto. Um die Stimmung der jeweiligen Personen zuverlässig deuten zu können, muss ein Film jedoch mindestens eine zehntel Sekunde lang sein. Diese Forschungsergebnisse könnten dazu beitragen, dass uns computeranimierte Wesen in Zukunft noch realistischer und glaubwürdiger vorkommen. (Journal of Vision, Dezember 2009)

Die Mimik hat einen starken Einfluss auf die Qualität eines Gesprächs. Ihre Abwesenheit gefährdet das Verständnis und den Gesprächsfluss. Ein Gesichtsausdruck kann viel aussagen: Ein Nicken bedeutet Zustimmung, ein Stirnrunzeln sagt: „Bitte erklären Sie mir das noch mal“. Tübinger Forscher vom Max-Planck-Institut für biologische Kybernetik haben nun festgestellt, dass wir einen Gesichtsausdruck besser erkennen, wenn sich dieser natürlich bewegt, als wenn er auf einem Foto „eingefroren“ ist. Allerdings können wir erst nach 100 Millisekunden die Stimmung unseres Gegenübers gut erkennen. Ist die Aufnahme kürzer, ist unser Gehirn nicht in der Lage, den Ausdruck des anderen zuverlässig zu deuten. Die dynamischen Informationen, die in den unterschiedlichen Mimiken vorkommen, beruhen auf unterschiedlichen Bewegungsabläufen. Manche Gesichtsausdrücke entstehen durch eine Kopfbewegung, wie zum Beispiel ein Nicken oder Kopfschütteln, andere durch komplexe Verformungen unseres Gesichts, beispielsweise einem Naserümpfen um Ekel zu signalisieren oder einem Runzeln der Stirn.

Um zu untersuchen, in wie weit man die Stimmungen eines Gesprächspartners an Hand der Mimik erkennen kann, zeigte man Testpersonen Bilder von Menschen mit unterschiedlichen Gesichtsausdrücken, darunter einfache emotionale Ausdrücke wie glücklich und traurig, aber auch komplexere wie Zustimmung, Verwirrung oder Überraschung, die der Betonung von Worten in der Unterhaltung dienen. Um zu vergleichen, ob bewegte oder statische Bilder besser erkannt werden, wurde den Testpersonen sowohl eine kurze Videosequenz der Mimik vorgespielt als auch ein Bild derselben gezeigt. Die Testpersonen mussten dann jeweils eine Emotion dem Bild oder der Videosequenz zuordnen. In weiteren Versuchsreihen wurde ihnen eine Bilderreihe einer Mimik gezeigt. Obwohl die Testpersonen diesmal nicht nur ein Bild, sondern den ganzen Verlauf als Fotocollage sehen konnten, erkannten die Probanden die Gestik auf der Filmsequenz besser. Um heraus zu finden, in wiefern das Erkennen der Mimik von der Bewegung abhängig ist, zeigte man den Probanden diesmal wieder eine Videosequenz. Diese bestanden aus 25 Bildern pro Sekunde, womit der Eindruck einer fließenden Bewegung vermittelt wurde. In dieser Versuchsreihe jedoch wurden die einzelnen Bilder durcheinander gewürfelt und erneut abgespielt. Auch diesmal erkannten die Testpersonen die Mimik in den Originalvideosequenzen besser. Dies zeigt, dass weder mehrere Bilder noch die Bewegung allein von Bedeutung sind, sondern die Kombination der richtigen Reihenfolge und der dynamische Ablauf der Gesichtsbewegungen. Auch die zeitliche Richtung muss stimmen. Spielt man die Filmsequenzen rückwärts ab, erkannten die Probanden die Stimmungen deutlich schlechter.

„Gesichtsausdrücke sind ein dynamisches Phänomen umd müssen, genauso wie Körperbewegungen oder Gesten, mit Hilfe von Videos untersucht werden, um ein genaues Bild von der Verarbeitung dieser wichtigen kommunikativen Signale erstellen zu können“, sagte Christian Wallraven, Leiter der Studie. „Unsere Ergebnisse haben auch für die Computeranimation eine große Bedeutung, da es deren Ziel ist, künstliche Avatare und Gesichtsanimationen zu schaffen, die vollkommen realistisch und glaubwürdig kommunizieren können“, so der Physiker und Wahrnehmungswissenschaftler.

Originalveröffentlichung:
Cunningham, D. W., & Wallraven, C. (2009). Dynamic information for the recognition of conversational expressions. Journal of Vision, 9(13):7, 1-17, http://journalofvision.org/9/13/7/, doi:10.1167/9.13.7.
Kontakt:
Douglas W. Cunningham
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E-Mail: douglas.cunningham@tuebingen.mpg.de
Christian Wallraven
Tel.: 07071 601-1717
E-Mail: christian.wallraven@tuebingen.mpg.de
Susanne Diederich (Presse- & Öffentlichkeitsarbeit)
Tel.: 07071 601-333
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Das Max-Planck-Institut für biologische Kybernetik forscht an der Aufklärung von kognitiven Prozessen auf experimentellem, theoretischem und methodischem Gebiet. Es beschäftigt rund 325 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aus über 40 Ländern und hat seinen Sitz auf dem Max-Planck-Campus in Tübingen. Das MPI für biologische Kybernetik ist eines der 80 Institute und Forschungseinrichtungen der Max-Planck-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften e.V.

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Dr. Susanne Diederich idw

Weitere Informationen:

http://www.kyb.mpg.de/de/~walli

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