Genaustausch über Artgrenzen hinweg

Im Wissenschaftsjournal „Genome Biology and Evolution“ berichten die Konstanzer Biologen von einer Übertragung des Genelements Tc1 über einen parasitären Kontakt zwischen Neunaugen und von ihnen befallenen Süßwasserfischen.

Die Beobachtung ist in der Biologie bislang einzigartig: „Mir ist kein anderer Fall bekannt, in dem horizontaler Gentransfer zwischen Wirbeltieren eintritt und ein anderes Wirbeltier der Vektor ist“, berichtet Axel Meyer. Die Konstanzer Studie legt eine Neubewertung der Rolle von horizontalem Gentransfer in der Evolution von Wirbeltieren nahe.

Die Arbeitsgruppe von Axel Meyer ist Teil eines internationalen Forschungsnetzwerks, das das gesamte Genom der Meeresneunaugen (Petromyzon marinus) bestimmt und analysiert hat. Dabei fielen Huan Qiu und Shigehiro Kuraku aus der Konstanzer Arbeitsgruppe eine auffällige Häufigkeit des Tc1-Genelements im Neunaugengenom auf – es wurden über 6.600 Kopien gefunden. „Diese bestimmte Form von Tc1 ist nur in den Genomen von wenigen Tierarten zu finden, und zwar ausschließlich in Neunaugen und in Süßwasserfischen der nördlichen Erdhalbkugel, die regelmäßig Opfer von Neunaugen werden“, schildert Axel Meyer. Neunaugen sind aalähnliche Wirbeltiere und Exoten der Evolutionsbiologie: Vor über 500 Millionen Jahren teilten sie sich zuletzt einen gemeinsamen Vorfahren mit anderen Wirbeltieren.

Die parasitär lebenden Neunaugen saugen sich mit ihrem Rundmaul an Fischen fest und ernähren sich von Blut und Körpersäften ihrer Wirtstiere. Über diesen parasitären Kontakt wird die Übertragung des Tc1-Genelements stattgefunden haben, vermutet Axel Meyer: „Die evolutionär mosaikhafte Verbreitung dieser Gruppe von Tc1-Elementen und die Analyse ihres Alters legen nahe, dass sich diese DNA-Elemente mehrfach zwischen parasitischen Neunaugen und deren Wirtsfischen horizontal verbreitet haben“, erklärt der Evolutionsbiologe. Die Tc1-Elemente scheinen sogar noch nicht einmal ihren Ursprung im Neunauge genommen zu haben: Die Untersuchungen der Konstanzer Biologen legen nahe, dass dieses Genmaterial aus evolutionär weitaus jüngeren Fischarten stammen muss. Demzufolge nahmen die parasitären Neunaugen in diesem beispiellosen Fall von horizontalem Gentransfer eher nur die Rolle des Überträgers ein.

Mit ihren Beobachtungen und Rückschlüssen haben die Konstanzer Biologen erstmalig einen plausiblen Mechanismus für horizontalen Gentransfer zwischen Wirbeltieren gefunden. Nach bisheriger Lehrmeinung spielte horizontaler Gentransfer hauptsächlich nur bei Bakterien und in der Frühphase der Evolution eine Rolle.

Die Auswirkungen des Tc1-Elements auf die Genome der betroffenen Tierarten sind noch nicht bekannt. „Es muss nichts Negatives sein“, beruhigt Axel Meyer: „Es sind Fälle bekannt, in denen solche Transposons – ‚springenden Gene‘ – die Funktion eines benachbarten Gens verändert haben. Dies kann sogar positive evolutionäre Effekte haben“, erklärt der Evolutionsbiologe.

Originalveröffentlichung:
Shigehiro Kuraku, Huan Qiu, Axel Meyer „Horizontal transfers of Tc1 elements between teleost fishes and their vertebrate parasites, lampreys“. Genome Biology and Evolution August 9, 2012 doi:10.1093/gbe/evs069

Kontakt:
Universität Konstanz
Kommunikation und Marketing
Telefon: 07531 / 88-3603
E-Mail: kum@uni-konstanz.de

Prof. Axel Meyer, PhD
Universität Konstanz
Professur für Zoologie/Evolutionsbiologie
Universitätsstraße 10
78464 Konstanz
Telefon: 07531 / 88-4163
E-Mail: Axel.Meyer@uni-konstanz.de

Media Contact

Julia Wandt idw

Weitere Informationen:

http://www.uni-konstanz.de/

Alle Nachrichten aus der Kategorie: Biowissenschaften Chemie

Der innovations-report bietet im Bereich der "Life Sciences" Berichte und Artikel über Anwendungen und wissenschaftliche Erkenntnisse der modernen Biologie, der Chemie und der Humanmedizin.

Unter anderem finden Sie Wissenswertes aus den Teilbereichen: Bakteriologie, Biochemie, Bionik, Bioinformatik, Biophysik, Biotechnologie, Genetik, Geobotanik, Humanbiologie, Meeresbiologie, Mikrobiologie, Molekularbiologie, Zellbiologie, Zoologie, Bioanorganische Chemie, Mikrochemie und Umweltchemie.

Zurück zur Startseite

Kommentare (0)

Schreiben Sie einen Kommentar

Neueste Beiträge

Immunzellen in den Startlöchern: „Allzeit bereit“ ist harte Arbeit

Wenn Krankheitserreger in den Körper eindringen, muss das Immunsystem sofort reagieren und eine Infektion verhindern oder eindämmen. Doch wie halten sich unsere Abwehrzellen bereit, wenn kein Angreifer in Sicht ist?…

Durchbruch bei CRISPR/Cas

Optimierte Genschere erlaubt den stabilen Einbau von großen Genen. Großer Fortschritt an der CRISPR-Front. Wissenschaftlern des Leibniz-Instituts für Pflanzenbiochemie (IPB) ist es erstmals gelungen, sehr effizient große Gen-Abschnitte stabil und…

Rittal TX Colo: Das neue Rack für Colocation Data Center

Rittal TX Colo: Flexibel, skalierbar und zukunftssicher Mit der zunehmenden Digitalisierung und künftig auch immer mehr KI-Anwendungen steigt der Bedarf an Rechenleistung signifikant – und damit boomt der Colocation-Markt. Unternehmen…

Partner & Förderer