Forscher der Universität Bonn wandeln Haut- und Nabelschnurzellen direkt in Nervenzellen um

Nervenzellen, die direkt aus Hautzellen hergestellt wurden: Sie sind mit einem Antikörper gegen das neuronale Protein ßIII-Tubulin (grün) gefärbt. Der Zellkern erscheint durch die Färbung blau. Foto: Julia Ladewig/Uni Bonn<br>

Mittlerweile ist es möglich geworden, Körperzellen direkt ineinander umzuwandeln – ohne den zeitaufwändigen Umweg über ein pluripotentes Zwischenstadium. Allerdings war diese Methode bislang wenig effizient.

Nun haben Wissenschaftler vom Bonner Institut für Rekonstruktive Neurobiologie (Direktor: Prof. Dr. Oliver Brüstle) das Verfahren so weit entwickelt, dass die Methode für biomedizinische Anwendungen eingesetzt werden kann. Die Wissenschaftler stellen ihre Ergebnisse in der Fachzeitschrift „Nature Methods“ vor.

Mit dem Durchbruch von Shinya Yamanaka stieß die Zellreprogrammierung auf große Begeisterung. Im Jahr 2006 war dem japanischen Wissenschaftler erstmals gelungen, Hautzellen mit Hilfe weniger Steuerungsfaktoren in so genannte induziert pluripotente Stammzellen (iPS-Zellen) umzuprogrammieren – „Alleskönner“, aus denen sich im Prinzip alle Körperzellen herstellen lassen. Im Jahr 2010 spann Marius Wernig, ehemaliger Postdoktorand von Prof. Brüstle und zwischenzeitlich selbst Institutsleiter an der Stanford University in Kalifornien, die Idee weiter: Mit Hilfe von nur drei so genannten Transkriptionsfaktoren gelang seinem Team die direkte Umwandlung von Hautzellen in so genannte induzierte Neurone (iN). Allerdings war die Methode bislang wenig effizient: Nur wenige Prozent der Hautzellen verwandelten sich in die begehrten Nervenzellen.

Forscher steigern die Ausbeute bei der Umwandlung der Zellen

Für die Wissenschaftler am LIFE & BRAIN-Zentrum der Universität Bonn war das zu wenig. Sie interessieren sich für die biomedizinische Nutzung von künstlich hergestellten menschlichen Nervenzellen für Krankheitsforschung, Zellersatz und Wirkstoffentwicklung. Da lag ein Gedanke nahe: Warum nicht niedermolekulare Wirkstoffe – so genannte small molecules – einsetzen, um den Prozess zu optimieren? Julia Ladewig, Postdoktorandin und Erstautorin der Studie, machte sich daran, mit solchen Wirkstoffen gleich mehrere für die Zellentwicklung wichtigen Signalwege zu beeinflussen.

Durch Blockade des so genannten SMAD-Signalwegs und eine Hemmung der Glykogen Synthase Kinase 3 beta (GSK3ß) steigerten sie die Umwandlungseffizienz auf ein Vielfaches – und konnten dabei den Weg der Gewinnung sogar vereinfachen. Mit Hilfe von nur zwei statt zuvor drei Transkriptionsfaktoren und drei Wirkstoffen gelang es den Bonner Forschern, den Großteil der Hautzellen in Neurone umzuwandeln. Am Ende enthielten ihre Zellkulturen bis zu mehr als 80 Prozent menschliche Neurone. Und da sich die Zellen während des Umwandlungsprozesses noch weiter teilen, liegt die tatsächliche Effizienz sogar noch höher.

Aus einer Hautzelle entstehen zwei Nervenzellen

„Umgerechnet können wir aus 100.000 Hautzellen auf diese Weise bis zu mehr als 200.000 Nervenzellen gewinnen“, so Julia Ladewig. Um die richtige Kombination von Wirkstoffen herauszufinden, orientierten sich die Bonner an Signalwegen, die für die Zellspezialisierung besonders wichtig sind. „Sowohl der SMAD-Signalweg als auch GSK3ß standen im Verdacht, die Umwandlung von Bindegewebszellen und pluripotenten Stammzellen in neurale Zellen zu hemmen. Da lag es nahe, beide mit Hilfe entsprechender Wirkstoffe zu blockieren“, sagt Philipp Koch, Teamleiter und gemeinsam mit Prof. Brüstle verantwortlicher Letztautor der Studie. Mit faszinierenden Ergebnissen: „Wir konnten zeigen, wie während der Zellumwandlung nach und nach die für Hautfibroblasten typischen Gene herunterreguliert und nervenzell-spezifische Gene hochgefahren wurden. Zudem waren die so gewonnenen Nervenzellen funktionell aktiv, was sie auch als Quelle für den Zellersatz interessant macht“, so Ladewig.

Wissenschaftler übertragen das Verfahren jetzt auf andere Zelltypen

Die Bonner haben das Verfahren bereits auf andere Zelltypen wie zum Beispiel Nabelschnurzellen übertragen. Brüstle sieht die nächsten Schritte klar voraus: „Als Erstes wollen wir so gewonnene Nervenzellen für die Krankheits- und Wirkstoffforschung einsetzen. Langfristiges Ziel wird es sein, Zellen direkt im Körper in Nervenzellen umzuwandeln.“

Publikation: Ladewig, J., Mertens, J., Kesavan, J., Doerr, J., Poppe, D., Glaue, F., Herms, S., Wernet, P., Kögler, G., Müller, F.-J., Koch, P., Brüstle, O. (2012) Small molecules enable highly efficient neuronal conversion of human fibroblasts. Nature Methods (DOI: 10.1038/nmeth.1972)

Kontakt:

Dr. Philipp Koch & Prof. Dr. Oliver Brüstle
Institut für Rekonstruktive Neurobiologie
LIFE & BRAIN Center
Universität Bonn
Telefon: +49-228-6885-500
E-Mail: r.neuro@uni-bonn.de

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Dr. Andreas Archut idw

Weitere Informationen:

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