Experimenteller Wirkstoff lindert Beschwerden neurodegenerativer Hirnerkrankung im Laborversuch

Blick ins Gehirn einer Maus: In den magenta leuchtenden Bereichen haben sich Tau-Proteine angesammelt. In einigen Nervenzellen (helle Flecken) ist die Konzentration besonders hoch. Zum Teil sind die Fortsätze (Dendriten) der Nervenzellen zu erkennen. Quelle: DZNE/Jens Wagner

„Wir haben festgestellt, dass dieser Wirkstoff das Verklumpen der Tau-Proteine verhindert. Dieses Zusammenkleben ist typisch für Alzheimer und andere Hirnerkrankungen aus der Gruppe der Tauopathien“, erläutert DZNE-Forscher Dr. Martin Fuhrmann, der für die aktuelle Studie unter anderem mit Fachkollegen der Ludwig-Maximilians-Universität München (LMU) und des Max-Planck-Instituts für biophysikalische Chemie in Göttingen kooperierte. „Die Behandlung mit anle138b bietet eine Möglichkeit, um in das Krankheitsgeschehen einzugreifen.“

Effekt auf krankhaft verändertes Protein
Im Normalzustand festigen die Tau-Proteine das Grundgerüst von Nervenzellen des Gehirns. Dieses Skelett verleiht der Zelle mechanische Stabilität und dient zugleich als Verkehrsnetz für Substanzen, die für den Stoffwechsel erforderlich sind. Bei Alzheimer und anderen Tauopathien sind die Tau-Proteine jedoch verändert: Sie lösen sich vom Zellgerüst und legen sich zu Klumpen zusammen. Infolgedessen zerfällt das zelluläre Skelett allmählich und die Versorgung innerhalb der Zelle gerät ins Stocken. Die Hirnzelle verkümmert und kann sogar absterben.

Linderung von Krankheitssymptomen
„Anlass für die Untersuchungen waren unsere vorausgehenden Studien, in denen wir eine hohe Wirksamkeit auf die Bildung krankhafter Eiweißablagerungen zeigen konnten“, so Prof. Armin Giese vom Zentrum für Neuropathologie und Prionforschung der LMU. „Diese haben uns vermuten lassen, anle138b könnte die Aggregation von Tau-Proteinen unterbinden.“

Die von den Wissenschaftlern behandelten Mäuse zeigten aufgrund eines Gendefektes diverse Merkmale einer Tauopathie, wie sie auch bei Menschen auftreten. Dazu gehörten neben verklumpenden Tau-Proteinen kognitive Störungen und eine verkürzte Lebensdauer. Wie sich nun zeigte, wirkt die über die Nahrung verabreichte Substanz nicht nur auf molekularer Ebene. Sie beeinflusst auch Krankheitssymptome.

„Das Gedächtnis- und Orientierungsvermögen der Mäuse verbessert sich. Außerdem verlängert sich die Lebenszeit“, sagt Fuhrmann. Darüber hinaus stellten die Wissenschaftler fest, dass die therapierten Mäuse im Vergleich zu unbehandelten Tieren weniger Nervenzellschäden aufwiesen.

Krankheitsentwicklung offenbar verlangsamt

„Im Gegensatz zu anderen Wirkstoffen ist Anle138b aufgrund seiner chemischen und metabolischen Eigenschaften oral verfügbar, verbleibt über Stunden im Körper und wirkt gezielt auf das Verklumpen der Proteine“, so Prof. Christian Griesinger vom Max-Planck-Institut für biophysikalische Chemie, in dessen Team der Wirkstoff synthetisiert wurde.

„Anle138b kann die Erkrankung im untersuchten Tiermodell zwar nicht aufhalten. Aber er scheint den Krankheitsverlauf zu verlangsamen“, meint DZNE-Wissenschaftler Fuhrmann.

„Insofern ist anle138b ein möglicher Ausgangspunkt für die Entwicklung von Medikamenten, die die Aggregation von Tau-Proteinen verhindern.“ Ob daraus ein für den Menschen wirksames Medikament wird, bleibt abzuwarten und wird sicherlich mehrere Jahre in Anspruch nehmen. Derzeit wird der Wirkstoff anle138b in einer gemeinsamen Ausgründung der LMU und der Max-Planck-Gesellschaft weiterentwickelt.

Originalveröffentlichung
Reducing tau aggregates with anle138b delays disease progression in a mouse model of tauopathies
Jens Wagner, Sybille Krauss, Song Shi, Sergey Ryazanov, Julia Steffen, Carolin Miklitz, Andrei Leonov, Alexander Kleinknecht, Bettina Göricke, Jochen H. Weishaupt, Daniel Weckbecker, Anne M. Reiner, Wolfgang Zinth, Johannes Levin, Dan Ehninger, Stefan Remy, Hans A. Kretzschmar, Christian Griesinger, Armin Giese, Martin Fuhrmann.
Acta Neuropathologica, DOI:10.1007/s00401-015-1483-3.

https://www.dzne.de/pm-17 Link zur PM
http://link.springer.com/article/10.1007%2Fs00401-015-1483-3 Link zum Paper

Media Contact

Dr. Marcus Neitzert idw - Informationsdienst Wissenschaft

Alle Nachrichten aus der Kategorie: Biowissenschaften Chemie

Der innovations-report bietet im Bereich der "Life Sciences" Berichte und Artikel über Anwendungen und wissenschaftliche Erkenntnisse der modernen Biologie, der Chemie und der Humanmedizin.

Unter anderem finden Sie Wissenswertes aus den Teilbereichen: Bakteriologie, Biochemie, Bionik, Bioinformatik, Biophysik, Biotechnologie, Genetik, Geobotanik, Humanbiologie, Meeresbiologie, Mikrobiologie, Molekularbiologie, Zellbiologie, Zoologie, Bioanorganische Chemie, Mikrochemie und Umweltchemie.

Zurück zur Startseite

Kommentare (0)

Schreiben Sie einen Kommentar

Neueste Beiträge

Nanofasern befreien Wasser von gefährlichen Farbstoffen

Farbstoffe, wie sie zum Beispiel in der Textilindustrie verwendet werden, sind ein großes Umweltproblem. An der TU Wien entwickelte man nun effiziente Filter dafür – mit Hilfe von Zellulose-Abfällen. Abfall…

Entscheidender Durchbruch für die Batterieproduktion

Energie speichern und nutzen mit innovativen Schwefelkathoden. HU-Forschungsteam entwickelt Grundlagen für nachhaltige Batterietechnologie. Elektromobilität und portable elektronische Geräte wie Laptop und Handy sind ohne die Verwendung von Lithium-Ionen-Batterien undenkbar. Das…

Wenn Immunzellen den Körper bewegungsunfähig machen

Weltweit erste Therapie der systemischen Sklerose mit einer onkologischen Immuntherapie am LMU Klinikum München. Es ist ein durchaus spektakulärer Fall: Nach einem mehrwöchigen Behandlungszyklus mit einem immuntherapeutischen Krebsmedikament hat ein…

Partner & Förderer