Evolutionsmodell sagt Aufteilung von Molekülen in Zellen voraus

Schematische Darstellung von dicht gepackten Molekülen in einer Zelle. Wechselwirkungen zwischen vielen verschiedenen Molekülen führen zu zwei Arten von Tröpfchen (gelb und rot), eingebettet in die Hintergrundflüssigkeit (weiß). Die Abbildung wurde mit cellPAINT erstellt.
© MPIDS, Zwicker

Forschende des Max-Planck-Instituts für Dynamik und Selbstorganisation (MPI-DS) in Göttingen und der Technischen Universität Delft (Niederlande) haben eine neue theoretische Methode zur Untersuchung von aus vielen verschiedenen Molekülen bestehenden Gemischen entwickelt. Sie analysierten die Interaktionen, durch welche die Moleküle zuverlässig verschiedene Tröpfchen bilden, wie es in lebenden Zellen ständig geschieht. Mit diesem Modell kann zum ersten Mal eine bestimmte Tröpfchenbildung auf der Grundlage vieler interagierender Moleküle vorhergesagt werden. Die Ergebnisse wurden kürzlich in der Fachzeitschrift PNAS veröffentlicht.

Der theoretische Physiker David Zwicker und die Biophysikerin Liedewij Laan interessieren sich für die Geheimnisse des Lebens, insbesondere für die grundlegende Funktionsweise von lebenden Zellen. „Ich bin immer wieder erstaunt, dass zelluläre Prozesse überhaupt funktionieren, denn eine Zelle besteht aus Tausenden von verschiedenen Molekülen, die alle zusammenarbeiten müssen, ohne sich gegenseitig zu behindern“, sagt Zwicker. Die Wissenschaftler*innen haben ein Computermodell entwickelt, mit dem sich komplexe Flüssigkeiten, wie die Flüssigkeit im Inneren einer Zelle, untersuchen lassen. „Trotz ihrer komplexen chemischen und physikalischen Natur sind Moleküle in Zellen oft als Tröpfchen organisiert“, fügt Laan hinzu. „Mit unserem Ansatz sind wir in der Lage, die Bildung dieser Tröpfchen zu reproduzieren, und haben damit neue Wege zur Erforschung der Funktionsweise dieses Mechanismus eröffnet“, fährt sie fort.

Eine komplexe Vinaigrette

Biologische Zellen sind unglaublich komplexe Maschinen, die auf Tausende verschiedener Moleküle angewiesen sind, um zuverlässig zu funktionieren und zusammenzuwirken. Um diese Moleküle zu koordinieren, sind sie in verschiedene Kompartimente innerhalb der Zellen aufgeteilt. Da sich die Umgebung und der innere Zustand der Zellen ständig ändern, müssen diese speziellen Bereiche stabilisiert und erhalten werden. Die meisten bekannten Kompartimente, darunter der Zellkern und die Mitochondrien, sind von Membranen umschlossen, die als Barrieren dienen, welche ihre Form bestimmen und ihre Zusammensetzung kontrollieren. Viele kleinere Kompartimente verfügen jedoch nicht über eine Membran und verhalten sich daher oft dynamischer; Beispiele hierfür wurden in tierischen, pflanzlichen und bakteriellen Zellen gleichermaßen gefunden. Sie können sich spontan bilden, wobei die Wechselwirkungen zwischen den beteiligten Molekülen ihre Zusammensetzung steuern.

Um zu verstehen, wie sich eine Fülle unterschiedlicher Moleküle in solchen membranlosen Kompartimenten organisiert, haben Zwicker und Laan den physikalischen Prozess der Tröpfchenbildung theoretisch untersucht. Bisher wurde die zugrundeliegende Theorie nur für den einfachen Fall von zwei Partikeltypen beschrieben, wie z.B. bei der Trennung von Öl und Wasser in einer Vinaigrette. Um eine realistischere zelluläre Umgebung mit einer größeren Anzahl von molekularen Wechselwirkungen zu untersuchen, führten die Forschenden eine numerische Methode ein, welche die Zusammensetzung der Tröpfchen vorhersagt.

Die Geheimnisse des Lebens

Der neue numerische Ansatz eröffnet die Möglichkeit, Schlüsselfragen zu beantworten, darunter die Frage, wie viele verschiedene Tröpfchen auf stabile Weise gebildet werden. „Die wichtigste Erkenntnis ist, dass die Wechselwirkungen zwischen den Zellmolekülen in Milliarden von Jahren der Evolution optimiert wurden, um die richtigen Tröpfchen zu bilden“, erklärt Zwicker. Um dies im Computer nachzuahmen, passten die Forscher die Wechselwirkungen durch mehrere Generationen von Mutation und Selektion an, bis sich eine bestimmte Anzahl von Tröpfchen bildet. Interessant ist, dass viele verschiedene Interaktionssätze fast perfekt auf die vorgegebene Anzahl verschiedener Tröpfchen hinauslaufen. Laan kommentiert: „Wir waren begeistert, als wir feststellten, dass wir diese Mischungen tatsächlich reproduzieren können. Wissenschaftlich noch spannender ist aber vielleicht die Tatsache, dass wir nicht verstehen, wie das genau funktioniert. Aber jetzt sind wir dem Versuch, die Geheimnisse des Lebens zu entschlüsseln, ein gutes Stück nähergekommen.“

Zwicker betont, dass diese Forschungsarbeit Teil eines größeren Paradigmenwechsels in der Biologie ist: „Bisher wurden eher starke Wechselwirkungen untersucht, wie etwa solche zwischen zwei Proteinen, da diese recht robust und damit leichter zu analysieren sind. Heutzutage werden auch Tröpfchen, die sich aufgrund viel schwächerer Wechselwirkungen bilden, sowohl theoretisch als auch experimentell vermehrt untersucht, da sie eine wichtige Rolle innerhalb von Zellen zu spielen scheinen. Deren Analyse ist jedoch sehr viel schwieriger, da diese schwachen Wechselwirkungen durch Temperatur, Säuregehalt, Salzkonzentration und viele andere Faktoren gestört werden können.“
Die vorliegende Arbeit zeigt jedoch, dass komplexe Phänomene, wie die stabile Bildung von Tröpfchen, selbst aus solchen schwachen Wechselwirkungen hervorgehen können.

Diese Pressmitteilung wurde in Zusammenarbeit mit der TU Delft verfasst.

Originalpublikation:

https://www.pnas.org/doi/abs/10.1073/pnas.2201250119

Weitere Informationen:

https://www.ds.mpg.de/3950004/220726_EvolutionaryModelCel

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Dr. Manuel Maidorn Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
Max-Planck-Institut für Dynamik und Selbstorganisation

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