Erstmals nachgewiesen: Angeborene Herzfehler gibt es schon seit Jahrtausenden

3-D-Modell des Mumienherzens in Originalgröße: Die kleine linke Herzkammer ist gut zu erkennen. Diagnose: Hypoplastisches Linksherzsyndrom (HLHS) (Foto: Armin Kühn)

Bad Oeynhausener Herzspezialisten beenden die Spekulationen um die Todesursache der wohl ältesten Mumie auf dem europäischen Kontinent. Der komplexe Herzdefekt der Detmolder Kindermumie kommt heute noch vor. 

Wissenschaftler und Herzspezialisten des Herz- und Diabeteszentrums NRW (HDZ NRW), Bad Oeynhausen, lassen keinen Zweifel an ihrer Diagnose: Die berühmte, im Lippischen Landesmuseum Detmold beheimatete Kindermumie ist vor 6.500 Jahren an einem sehr seltenen angeborenen Herzfehler gestorben, dem sogenannten Hypoplastischen Linksherzsyndrom, kurz HLHS.

Unter Experten weltweit sorgt diese Diagnose für eine kleine Sensation: Denn das HLHS ist ein sehr seltener, besonders schwerwiegender und komplexer Herzdefekt, der heute in nur wenigen Spezialzentren behandelt werden kann. Die Bad Oeynhausener Computertomographie-Aufnahmen weisen zudem erstmals überhaupt nach, dass diese Fehlbildung bereits vor Tausenden von Jahren vorgekommen ist.

Im Rahmen des „Deutschen Mumien-Projekts“ („German Mummy Project“) wurde das Alter der Detmolder Kindermumie bereits vor fünf Jahren auf die Zeit 4.504 bis 4.457 vor Christus datiert, sie ist damit älter als Ötzi.

Die frühen Untersuchungen liessen die Todesursache des etwa acht bis zehn Monate alten Kindes, das aus Südamerika stammt, offen. Es bestand aufgrund der Voruntersuchungen die Vermutung auf einen Vorhofseptumdefekt des Herzens. Diese Todesursache war von den Bad Oeynhausener Spezialisten jedoch angezweifelt worden.

„Der Vorhof- oder auch Atriumseptumdefekt (ASD) ist eine der häufigsten angeborenen Fehlbildungen des Herzens. Aber er ist nicht lebensbedrohlich“, sagt Kinderkardiologe PD Dr. Nikolaus Haas, Oberarzt im Kinderherzzentrum und Zentrum für angeborene Herzfehler am Herz- und Diabeteszentrums NRW, Bad Oeynhausen. „Die Kinder mit diesem Herzfehler müssen zwar behandelt werden, sind jedoch im Alltag gut belastbar.“

In Zusammenarbeit mit dem Leiter des Lippischen Landesmuseums, Dr. Michael Zelle, wurden Untersuchungen mit einem hochauflösenden 128-Zeilen-Computertomographen organisiert, der sich im Institut für Radiologie, Nuklearmedizin und molekulare Bildgebung des HDZ NRW befindet. Institutsdirektor Prof. Dr. Wolfgang Burchert hat mit seinem Team die Computertomographie (Siemens mCT128) durchgeführt.

Die volumetrischen Bilder in sehr hoher Auflösung wurden dann mit einem neuen Verfahren speziell nachverarbeitet. Dies erfolgte in einer Kooperation mit dem Institut für Informatik der Universität Paderborn. Weiterhin konnte in dieser Kooperation ein dreidimensionales Modell des Herzens realisiert werden.

Diagnose mittels moderner Computertomographie

Die Bildgebungsspezialisten haben anschließend die Herzvolumenbestimmungen und die Identifikation der anatomischen Strukturen des angeborenen Herzfehlers gemeinsam mit PD Dr. Haas detailliert ausgewertet. „Wir können mit Sicherheit sagen, dass das Kind an einem Hypoplastischen Linksherz-Syndrom verstorben ist“, bestätigt Prof. Burchert.

Typisch an dieser Erkrankung ist die sehr kleine linke Herzkammer sowie die deutlich vergrößerte rechte Herzkammer. Begleitend findet sich häufiger auch ein Fehlen der Scheidewand zwischen dem rechten und linkenn Herz-Vorhof und eine stark erweiterte Lungenschlagader.

„Unbehandelt führt das Hypoplastische Linksherz-Syndrom bereits im frühen Säuglingsalter zum Tod“, ergänzt Kinderkardiologe Haas. „Es gibt nur sehr wenige Einzelfallberichte, die belegen, dass Kinder mit diesem Herzfehler ohne Behandlung älter als ein Jahr geworden sind.

Heute können bei frühzeitiger Diagnostik die meisten Patienten mit drei Operationen so behandelt werden, dass ein weitgehend normales Leben möglich ist. Die Überlebensrate für alle drei komplizierten Operationen beträgt über 70 Prozent. In seltenen Fällen oder bei einem später auftretenden Herzversagen muss auch eine Herztransplantation in Betracht gezogen werden.

Dr. Michael Zelle hat das Angebot des Herz- und Diabeteszentrums NRW, Bad Oeynhausen, dankbar angenommen, sich mit der Untersuchung der Kindermumie an dem bereits 2007 vom Mannheimer Reiss-Engelhorn-Museum ins Leben gerufene „German-Mummy-Project“ zu beteiligen, das weltweite Beachtung erfährt.

“Archäologisch-historische Forschung zeichnet sich heute durch interdisziplinäre Zusammenarbeit mit vielen verschiedenen Disziplinen aus. Auf diese Weise gewinnen wir wichtige Informationen zur Lebenswelt und Lebensweise der Menschen vergangener Kulturen“, so Zelle.

http://www.hdz-nrw.de

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Anna Reiss idw - Informationsdienst Wissenschaft

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