Energie für chemische Barrieren

Glanduläre Trichome der Kulturtomate Solanum lycopersicum (A) und einer wildwachsenden Art, Solanum habrochaites (C). Rechts: mikroskopische Aufnahmen. Foto: IPB

Die Brennnessel lehrt es uns schmerzhaft: Pflanzen können eine Vielzahl an Wirkstoffen bilden, mit denen sie Fraßfeinde und Insekten vertreiben. Die Biosynthese der Abwehrstoffe erfolgt bei etwa 30 Prozent aller Landpflanzen in kleinen Drüsenhaaren auf Blättern und Stängeln, den sogenannten glandulären Trichomen. Glanduläre Trichome sind hocheffiziente pflanzliche Wirkstofffabriken.

Für die Produktion ihrer Inhaltsstoffe benötigen sie sehr viel Energie und einen großen Pool an Kohlenstoffverbindungen, die als Ausgangsstoffe in die Biosynthesereaktionen fließen. Wissenschaftlern des Hallenser Leibniz-Instituts für Pflanzenbiochemie ist es nun gelungen, die Energie- und Stoffwechselflüsse innerhalb der glandulären Trichome von Tomatenpflanzen aufzuklären.

Das Ergebnis ihrer Arbeiten, jüngst in Plant Cell veröffentlicht, mündete in ein erstes allgemeines Modell des zentralen Energie- und Kohlenstoffwechsels in Trichomen. Dabei fanden sich auch erste Hinweise auf genetische Unterschiede zwischen Kultur- und Wildtomaten, die sich offenbar während der Züchtung etablierten und die eingeschränkte Produktion von Abwehrstoffen in Trichomen von Kulturtomaten erklären können.

Auch Minze, Rosmarin und Salbei verfügen neben vielen anderen Pflanzenarten über die produktiven Drüsenhaare. Viele Substanzen, die diesen Pflanzen als Abwehrstoffe dienen, haben für den Menschen einen hohen ökonomischen Wert als pharmazeutische Wirkstoffe, aber auch als Aroma- und Duftstoffe in der Nahrungsmittel- und Kosmetikindustrie. Da diese bioaktiven Substanzen für das direkte Überleben der Pflanze nicht zwingend notwendig sind, zählt man sie zu den sekundären Pflanzenstoffen; ihre Biosynthese erfolgt entsprechend im pflanzlichen Sekundärstoffwechsel. Alle Sekundärstoffe – auch jene, die in Trichomen produziert werden – weisen eine große stoffliche Vielfalt auf; das Spektrum der Inhaltsstoffe kann je nach Pflanzenart stark variieren.

Während es bereits einige Studien gibt zu artspezifischer Zusammensetzung und Synthesewegen der Trichom-Sekundärstoffe, wurde bisher nie geklärt, aus welchen Quellen die Drüsenhaare die Energie und auch die nötigen Kohlenstoff-Grundbausteine für ihre extreme Stoffwechselaktivität beziehen. Diese Lücke wurde nun durch die Hallenser Pflanzenexperten um Professor Alain Tissier geschlossen. In ihrer umfassenden Analyse fanden die Wissenschaftler einige Gegebenheiten, die für Trichome spezifisch sind und für den Rest der Pflanze nicht gelten.

Im Experiment wurden generelle Bestandsaufnahmen der aktivierten Gene (Transcriptomics), der vorhandenen Proteine, allem voran der benötigten Stoffwechselenzyme (Proteomics) und der entsprechend produzierten Substanzen (Metaboliten → Metabolomics) an isolierten glandulären Trichomen der Tomate im Vergleich zu normalen Blattzellen ohne Tri­chome durchgeführt. Das Ergebnis dieses Multi-Omics-Ansatzes: Einen Großteil der benötigten Energie produzieren die Trichome selbst mit Hilfe der Photosynthese. Die Energie des Sonnenlichts fließt hier demnach direkt in die Biosynthesewege des Sekundär- und Abwehrstoffwechsels. In den normalen Blattzellen hingegen wird die Energie aus der Photosynthese eher genutzt, um damit das Kohlendioxid aus der Luft in organische Grundverbindungen des Primärstoffwechsels einzubauen.

Grüne Zellen ohne Trichome bauen also mit Hilfe der Photosynthese Zucker, Stärke und Zellwandbestandteile auf. In der Folge produziert die Pflanze Biomasse und wächst. Dieser Beitrag zum Wachstum, die Produktion der organischen Grundverbindungen Zucker und Stärke, ist in den Trichomen stark herabgesetzt. Die Hallenser Pflanzenexperten konnten beweisen, dass die dafür benötigten Enzyme in den Haardrüsen deutlich weniger produziert werden. Zucker wird jedoch auch in Trichomen dringend gebraucht: aus seiner Spaltung gewinnen die Trichomzellen weitere Energie und zudem alle Ausgangsstoffe für die speziellen Biosynthesewege ihres Sekundärstoffwechsels. Mit Hilfe von 13C-Kohlenstoffisotopen wiesen die Wissenschaftler nach, dass die Trichome aus den angrenzenden Blattzellen stetig mit Zucker versorgt werden.

Typisch für Zellen mit hoher metabolischer Aktivität ist zudem die vermehrte Entstehung von reaktiven Sauerstoffverbindungen (ROS), die aufgrund ihrer Reaktionsfreude Zellen und Membranen schädigen. Die Entschärfung dieser Oxidantien erfolgt durch die Oxidation von sehr langkettigen und von mehrfach ungesättigten Fettsäuren, die in glandulären Trichomen in großer Menge hergestellt werden. Dieser Entgiftungsmechanismus scheint für die Haardrüsen spezifisch zu sein. Ein zweiter Neutralisierungsmechanismus über die zentrale Entgiftungssubstanz Glutathion ist sowohl aus Blattzellen als auch aus Trichomzellen bekannt. In Blattzellen wird er allerdings nur nach oxidativem Stress angeschaltet, während er in den Trichomen immer aktiv ist.

Wildtomate versus Kulturtomate
Zusätzlich zu den Analysen von Trichomen und normalen Blattzellen hat man auch den Trichom-Stoffwechsel von Kultur- und Wildtomaten miteinander verglichen. Wildtomaten produzieren in ihren Trichomen sehr viel mehr und etwas andere Sekundärmetaboliten als ihre kultivierten Verwandten. Sie bilden weniger und kleinere Früchte aus als Kulturtomaten, sind aber andererseits wesentlich resistenter gegen Insektenfraß. Im Laufe der Züchtung, die auf Ertrag selektierte, scheint die Kulturtomate jenes Erbgut, das zur Produktion bestimmter Abwehrstoffe führt, verloren zu haben. Im Vergleich der erhobenen Daten fanden sich erste Hinweise auf entsprechende Gene, die bei Wildtomaten noch, bei Kulturtomaten hingegen nicht mehr vorhanden oder weniger aktiv sind. Diese Gene codieren beispielsweise für bestimmte trichominterne Transportproteine, die die zeitnahe Bereitstellung von Ausgangsstoffen am Biosyntheseort erlauben.

Ein besseres Verständnis des trichomalen Stoffwechsels ist erste Voraussetzung für die Züchtung neuer Kultursorten mit erhöhter Resistenz gegen Aggressoren und für die biotechnologische Produktion von wirtschaftlich wichtigen sekundären Pflanzenstoffen in Bakterien oder Hefen.

Originalpublikation:
Gerd U. Balcke, Stefan Bennewitz, Nick Bergau, Benedikt Athmer, Anja Henning, Petra Majovsky, José M. Jiménez-Gómez, Wolfgang Hoehenwarter & Alain Tissier: Multiomics of Tomato Glandular Trichomes Reveals Distinct Features of Central Carbon Metabolism Supporting High Productivity of Specialized Metabolites, Plant Cell 2017, doi:10.1105/tpc.17.00060.

Ansprechpartner:
Prof. Alain Tissier
Leiter der Abteilung Stoffwechsel- und Zellbiologie
Tel.: 0345 5582 1500
alain.tissier@ipb-halle.de

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