Das Wesentliche im Blick behalten

Diese Abbildung zeigt, dass sich das Abbild des orangen Clownfisch auf der Netzhaut bei jeder Augenbewegung verschiebt. Vor der Augenbewegung reagieren andere Nervenzellen als nach der Augenbewegung. Abbildung: Tao Yao

Ein gut besuchter Spielplatz, Kinder in der Sandkiste, ringsherum Mütter und Väter auf Parkbänken, die in der Gegend herumschauen und dennoch auf ihren Nachwuchs achten. Was so einfach klingt, ist ein äußerst komplizierter Vorgang, da sich mit jeder Augenbewegung auch das Bild auf unserer Netzhaut bewegt, vergleichbar mit dem Display einer Digitalkamera: Wird die Kamera bewegt, so verändert sich die Position der Objekte auf dem Bildschirm.

Die Neurowissenschaftler Tao Yao, Stefan Treue und B. Suresh Krishna vom Deutschen Primatenzentrum – Leibniz-Institut für Primatenforschung in Göttingen haben die neuronalen Mechanismen untersucht, die es uns ermöglichen, uns auf die wichtigen Dinge zu konzentrieren, auch wenn sich deren Abbild auf der Netzhaut bei jeder Augenbewegung verschiebt.

Ihre Studie an Rhesusaffen zeigt, dass das Gehirn die Aufmerksamkeit schnell und effizient auf die jeweilig relevanten Nervenzellen verlagert. Da das visuelle System von Menschen und Affen sehr ähnlich aufgebaut ist, erwarten die Forscher eine gute Übertragbarkeit auf das menschliche Gehirn und damit wichtige Erkenntnisse über Aufmerksamkeitsstörungen wie Schizophrenie und visuellen Neglect (Nature Communications).

Sehen ist ein komplizierter Vorgang: Licht fällt auf die Netzhaut, wird dort in elektrische Aktivität umgewandelt, die das Gehirn dann in visuelle Wahrnehmung übersetzt. Allerdings kann nur der zentrale Teil der Netzhaut scharf sehen, Licht, das auf die Randbereiche fällt, kann nicht zu einem hochaufgelösten Bild umgerechnet werden.

Daher ist es notwendig, dass wir unsere Augen bewegen, in der Regel zwei bis drei Mal pro Sekunde, damit alle Objekte mal auf den zentralen Bereich der Netzhaut fallen. Gleichzeitig wollen wir aber die wichtigen Dinge kontinuierlich im Fokus unserer Aufmerksamkeit behalten, beispielsweise eine Mutter ihr spielendes Kind, auch wenn sie nebenbei die Umgebung betrachtet. Sich auf das Kind zu konzentrieren bedeutet, dass die Nervenzellen besonders aktiv sind, die auf das Kind reagieren.

Bewegen wir jedoch das Auge, so fällt das Bild des Kindes immer auf einen anderen Bereich der Netzhaut, der jeweils andere Nervenzellen im Gehirn anregt. Vor der Augenbewegung reagieren also andere Nervenzellen auf das Bild des Kindes als nach der Augenbewegung. Das Gehirn muss daher einen schnellen Wechsel bewerkstelligen und zuerst die Aktivität der vor der Augenbewegung für das Kind zuständigen Nervenzellen verstärken und anschließend die Aktivität derjenigen Nervenzellen, die nach der Augenbewegung für das Kind zuständig sind. Wie das funktioniert, war bislang unklar, da der zeitliche Ablauf des Wechsels der Verstärkung der Nervenzellaktivität noch nie gemessen wurde.

Die Neurowissenschaftler Tao Yao, Stefan Treue und Suresh Krishna vom Deutschen Primatenzentrum (DPZ) haben die Aktivitäten mehrerer einzelner Nervenzellen im Gehirn von zwei Rhesusaffen gemessen, während sich die Tiere auf ein Signal auf einem Bildschirm konzentrieren sollten ohne es direkt anzusehen und dann eine Augenbewegung durchführen sollten, ohne die Konzentration auf das Signal zu verlieren.

Die Aktivität der Nervenzellen wurde mit haarfeinen Elektroden gemessen, die in das Gehirn der Affen eingeführt wurden. Dies ist schmerzfrei für die Tiere, da das Gehirn keine Schmerzrezeptoren besitzt. Die Wissenschaftler konnten zeigen, dass die aufmerksamkeitsgesteuerte Verstärkung der Aktivität schnell und synchron mit den Augenbewegungen von der ersten Gruppe von Nervenzellen auf die zweite Gruppe wechselt.

„Die aufmerksamkeitsgesteuerte Verstärkung im Gehirn ist zeitlich präzise getaktet, was es uns ermöglicht, uns auf relevante Objekte zu konzentrieren, auch wenn wir unsere Augen ständig bewegen“, sagt Tao Yao, Erstautor der Studie. Die Forscher konnten zeigen, dass das visuelle Aufmerksamkeitssystem und das Augenbewegungssystem in einer synchronen, gut koordinierten Weise funktionieren.

„Unsere Erkenntnisse beantworten mehrere wichtige Fragen darüber, wie sensorische und motorische Bereiche des Gehirns interagieren. Da Schizophrenie, visueller Neglect und andere Aufmerksamkeitsstörungen auf sensomotorischer Koordination beruhen, könnte unsere Studie dazu beitragen, diese Krankheiten besser zu verstehen“, kommentiert Tao Yao die Ergebnisse.

Originalveröffentlichung

Tao Yao, Stefan Treue and B. Suresh Krishna: Saccade-synchronized rapid attention shifts in macaque visual cortical area MT. Nature Communications, doi 10.1038/s41467-018-03398-3

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