Chemiker der TU Graz findet neuen Ansatz für die Entwicklung von Medikamenten

Das Wissen von heute ist der Irrtum von morgen, heißt es – Rolf Breinbauer, Leiter des Instituts für Organische Chemie der TU Graz, hat das gemeinsam mit seinen zwei deutschen Kollegen eindrucksvoll bewiesen. Hinter dem Titel ihrer Publikation „Gleichzeitige Bindung beider Enantiomere eines racemischen Wirkstoffs durch das aktive Zentrum eines Enzyms“ verbirgt sich eine revolutionäre Erkenntnis, die die Realität besser abbildet als bisher bekannte Annahmen.

Gefährlicher Doppelgänger

In der Entwicklung von Medikamenten haben Moleküle eines Wirkstoffes häufig einen spiegelgleichen Doppelgänger. Nach bisheriger Meinung konnte an den entsprechenden Rezeptoren, den Bindetaschen einer Zelle, nur eines der beiden Enantiomere – das sind Verbindungen, die sich wie Bild und Spiegelbild verhalten – andocken. Im besten Fall „schwirrt“ das zweite Enantiomer unnütz im Körper herum. In Einzelfällen kann dieses aber sehr gefährlich ausfallen, wie im Fall von Contergan, wo das Spiegelbild eines Enantiomers zu schwersten Missbildungen bei ungeborenen Kindern führte.

Beide Spiegelbilder in der Tasche

Die Wissenschafter haben ein völlig anderes Verhalten von bestimmten Enantiomeren entdeckt: Bei der Forschung an einem Enzym fand das Trio Bindetaschen, in denen beide Enantiomere eines getesteten Hemmstoffs gleichzeitig gebunden waren. Dieser der gängigen Lehrbuchmeinung widersprechende Befund trägt zu einem verbesserten Verständnis der Bindung von spiegelgleichen Verbindungen an Rezeptoren bei, wie er vor allem am Anfang der Medikamentenentwicklung eine Rolle spielt. „Die Entdeckung könnte interessante neue Perspektiven für die Pharmaforschung eröffnen“, sagt Rolf Breinbauer: Zum einen könnte die Entwicklung von Medikamenten beschleunigt werden, was die enormen Kosten von ein bis zwei Milliarden Euro pro Medikament und damit auch den Handelspreis reduzieren würde; zum anderen könnten Medikamente früher auf den Markt kommen und trotzdem sicher sein.

Bildmaterial bei Nennung der angeführten Quelle honorarfrei verfügbar unter
http://www.presse.tugraz.at/webgalleryBDR/data/doppelgaenger/index.htm
Originalarbeit: M. Mentel, W. Blankenfeldt, R. Breinbauer „The Active Site of an Enzyme Can Host Both Enantiomers of a Racemic Ligand Simultaneously“, Angew. Chem. Int. Ed. 2009, 48, 9084-9087.
Rückfragen:
Univ.-Prof. Dipl.-Ing. Dr.rer.nat. Rolf Breinbauer
Institut für Organische Chemie
Email: breinbauer@tugraz.at
Tel: +43 (0) 316 873 8757

Media Contact

Alice Senarclens de Grancy idw

Alle Nachrichten aus der Kategorie: Biowissenschaften Chemie

Der innovations-report bietet im Bereich der "Life Sciences" Berichte und Artikel über Anwendungen und wissenschaftliche Erkenntnisse der modernen Biologie, der Chemie und der Humanmedizin.

Unter anderem finden Sie Wissenswertes aus den Teilbereichen: Bakteriologie, Biochemie, Bionik, Bioinformatik, Biophysik, Biotechnologie, Genetik, Geobotanik, Humanbiologie, Meeresbiologie, Mikrobiologie, Molekularbiologie, Zellbiologie, Zoologie, Bioanorganische Chemie, Mikrochemie und Umweltchemie.

Zurück zur Startseite

Kommentare (0)

Schreiben Sie einen Kommentar

Neueste Beiträge

Nanofasern befreien Wasser von gefährlichen Farbstoffen

Farbstoffe, wie sie zum Beispiel in der Textilindustrie verwendet werden, sind ein großes Umweltproblem. An der TU Wien entwickelte man nun effiziente Filter dafür – mit Hilfe von Zellulose-Abfällen. Abfall…

Entscheidender Durchbruch für die Batterieproduktion

Energie speichern und nutzen mit innovativen Schwefelkathoden. HU-Forschungsteam entwickelt Grundlagen für nachhaltige Batterietechnologie. Elektromobilität und portable elektronische Geräte wie Laptop und Handy sind ohne die Verwendung von Lithium-Ionen-Batterien undenkbar. Das…

Wenn Immunzellen den Körper bewegungsunfähig machen

Weltweit erste Therapie der systemischen Sklerose mit einer onkologischen Immuntherapie am LMU Klinikum München. Es ist ein durchaus spektakulärer Fall: Nach einem mehrwöchigen Behandlungszyklus mit einem immuntherapeutischen Krebsmedikament hat ein…

Partner & Förderer