"Chamäleon-Proteine" im neuen Licht
Intrinsisch ungefaltete Proteine, kurz IDP, sind die Verwandlungskünstler unter den Eiweißmolekülen. In wässriger Lösung nehmen sie keine klar festgelegte Struktur an und können sich sehr flexibel verbiegen. Wo herkömmliche Methoden versagen, konnten Jülicher Neutronenforscher dank eines neuartigen Ansatzes nun neue Erkenntnisse über diese chamäleonhaften Proteine gewinnen. Die Ergebnisse brechen mit gängigen Vorstellungen zur biomolekularen Funktionsweise eines wesentlichen Bausteins des zentralen Nervensystems und wurden in der Fachzeitschrift “JACS” veröffentlicht.
Das Basische Myelinprotein (MBP) ist ein wichtiger Bestandteil des Myelins, das die Nervenzellen im Hirn von Wirbeltieren umhüllt. Sie bilden eine elektrische Isolationsschicht, deren Beschädigung mit zahlreichen schweren Krankheiten wie etwa Multiple Sklerose in Verbindung gebracht wird. Im Gegensatz zu den steiferen globulären Proteinen können sich intrinsisch ungefaltete Proteine wie MBP in wässriger Lösung stark verformen. Dies ist vermutlich der Grund, warum sie an verschiedene Molekülsorten binden und so vielfältige Aufgaben in biologischen Prozessen übernehmen können.
Mit herkömmlichen Methoden sind IDP nur schwer zu erforschen. Diese benötigen üblicherweise kristallisierte Proteine, wobei IDP-Kristalle nur schwer herzustellen sind. Die Forscher um Dr. Andreas Stadler vom Jülich Centre for Neutron Science nutzten nun einen neuen Ansatz, für den keine Kristalle notwendig sind. Dabei fanden sie heraus, dass das Protein einen kompakten zentralen Kern besitzt und nur an den Enden frei beweglich ist. Die dennoch hohe Flexibilität entsteht durch kollektive Streck- und Beugebewegungen großer Teile des Proteins. “Unsere Daten zeigen deutlich, dass die gängigen Modellvorstellungen zur Dynamik von intrinsisch ungefalteten Proteinen falsch sind”, betont Stadler. Diese Modelle wurden aus der Polymerphysik abgeleitet und können den kompakten Kern nicht hinreichend abbilden.
Für ihre Messungen nutzten die Wissenschaftler Röntgenkleinwinkelstreuung an der European Synchrotron Radiation Facility (ESRF) im französischen Grenoble und Neutronenstreuung am Heinz Maier-Leibnitz Zentrum in Garching bei München. Die Messergebnisse allein lassen allerdings noch keine direkten Rückschlüsse auf die Moleküldynamik zu. Erst nachdem die Jülicher Forscher die ermittelten Werte über verschiedene Größenbereiche mit am Computer erzeugten Strukturmodellen kombiniert hatten, konnten sie die Bewegungen der einzelnen Molekülbestandteile rekonstruieren.
Originalveröffentlichung:
Internal Nanosecond Dynamics in the Intrinsically Disordered Myelin Basic Protein;
A. M. Stadler et al.;
J. Am. Chem. Soc., Publication Date (Web): April 23, 2014;
DOI: 10.1021/ja502343b
Ansprechpartner:
Dr. Andreas M. Stadler, Forschungszentrum Jülich,
Jülich Centre for Neutron Science,
Tel. 02461 61-4502,
E-Mail: a.stadler@fz-juelich.de
Pressekontakt:
Angela Wenzik, Wissenschaftsjournalistin,
Forschungszentrum Jülich,
Tel. 02461 61-6048,
E-Mail: a.wenzik@fz-juelich.de
http://www.fz-juelich.de/SharedDocs/Pressemitteilungen/UK/DE/2014/14-05-21myelin… – Pressemittelung des Forschungszentrums Jülich
http://www.fz-juelich.de/jcns/EN/Home/home_node.html – Jülich Centre for Neutron Science (JCNS)
http://www.mlz-garching.de – Heinz Maier-Leibnitz Zentrum
http://www.esrf.eu – European Synchrotron Radiation Facility
Media Contact
Alle Nachrichten aus der Kategorie: Biowissenschaften Chemie
Der innovations-report bietet im Bereich der "Life Sciences" Berichte und Artikel über Anwendungen und wissenschaftliche Erkenntnisse der modernen Biologie, der Chemie und der Humanmedizin.
Unter anderem finden Sie Wissenswertes aus den Teilbereichen: Bakteriologie, Biochemie, Bionik, Bioinformatik, Biophysik, Biotechnologie, Genetik, Geobotanik, Humanbiologie, Meeresbiologie, Mikrobiologie, Molekularbiologie, Zellbiologie, Zoologie, Bioanorganische Chemie, Mikrochemie und Umweltchemie.
Neueste Beiträge
»PASAWIS« – System für eine vollständige manuelle Prüfung von Bahnradsätzen
Fraunhofer IZFP auf der InnoTrans 2024: Die Materialprüfung bei Radsätzen von Schienenfahrzeugen ist integraler Bestandteil eines sicheren Schienenverkehrs. In kleineren Werkstätten wird eine solche Prüfung zumeist händisch durchgeführt. Eine Speicherung…
Ein Shaker für die Bauforschung: Geschüttelt, nicht gerührt
Mehrstöckige Holzbauten liegen im Trend. Damit ihnen starker Wind oder ein Erdbeben nichts anhaben können, müssen genügend Aussteifungen im Tragwerk vorhanden sein. Die Grundlagen hierzu liefern Computerberechnungen. Um diese in…
Drucken mit Erdmaterialien
ETH-Forschende haben ein schnelles, robotergestütztes Druckverfahren für Erdmaterialien entwickelt, das ohne Zement auskommt. Ganze Häuser können aus Lehm oder Erde gebaut werden. Das Material ist billig, fast überall verfügbar und…