Biowaffen der anderen Art

Die Wespen selber werden dabei nicht infiziert, da sie die Viren im Laufe von Jahrmillionen „zähmen“ konnten. Forschergruppen der Universitäten Bern und Tours haben der Evolution dieser einzigartigen Viren nachgespürt.

Parasitische Wespen sind höchst erfolgreich – sie sind mit etwa 100'000 bekannten Arten weit verbreitet. Sie entwickeln sich an oder in anderen Insekten, wobei die Parasitierung für den Wirt tödlich endet. Parasitische Wespen spielen deshalb eine grosse Rolle im biologischen Landbau, wo sie eingesetzt werden, um die Population ihrer Wirtsinsekten zu regulieren.

Um in einem anderen Insekt zu überleben, setzen parasitische Wespen einzigartige Tricks wie symbiotische Polydnaviren ein. Diese schützen einerseits die Wespenlarve vor dem Immunsystem der Wirtsraupe, beeinflussen aber auch Entwicklung und Stoffwechsel des Wirts zugunsten der Wespenlarve. Insektenforschende der Universität Tours und dem Berner Institut für Zellbiologie haben nun das „Ur-Virus“ entdeckt, mit dem sich die Wespen vor etwa 100 Millionen Jahren angesteckt haben und das ihnen heute zur Fortpflanzung dient.

„Es handelt sich um ein einmaliges Beispiel, wo Viren durch Wespen so domestiziert wurden, dass sie genetische Information in den Wirt übertragen, die nur dem Überleben der Wespen dient“, erklärt Prof. Beatrice Lanzrein vom Berner Institut für Zellbiologie. Die Resultate der Studie wurden im Wissenschaftsmagazin „Science“ publiziert.

Wespe und Virus in Symbiose

Polydnaviren sind Teil eines einzigartigen biologischen Systems, das aus der parasitischen Wespe, dem symbiotischen Virus und einem Wirtsinsekt besteht. Die genetische Information des Virus ist dabei in das Erbgut der Wespe eingebaut. Es wird nur in einem Zelltyp des Eierstocks der Wespe vermehrt und in Viruspartikel verpackt. Von dort gelangen die Viren in den Eileiter. Bei der Eiablage der Wespe werden die Viren zusammen mit Gift und dem Wespenei in den Wirt injiziert.

Das Virus infiziert Zellen des Wirtsinsekts ? meist eine Raupe. Die Infektion führt aber nicht zur Verbreitung des Virus, sondern beeinflusst Immunsystem und Stoffwechsel der Raupe. So wird einerseits das Immunsystem der Raupe manipuliert; es kann das Wespenei nicht zerstören, wodurch sich die Wespenlarve in der Raupe voll entwickeln kann. Zugleich exprimiert das Virus Gene, die die Entwicklung und den Stoffwechsel der Raupe zugunsten des Wachstums der Wespenlarve beeinflussen. So haben die Wespenlarve und das Virus eine symbiotische Beziehung.

Polydnaviren findet man in Vertretern von zwei Familien von parasitischen Wespen, den Schlupfwespen (Ichneumonidae) und den Brackwespen (Braconidae). Aufgrund von stammesgeschichtlicher Untersuchungen war bekannt, dass Polydnaviren-übertragende Brackwespen eine Gruppe mit 17'500 Arten von einheitlicher Abstammung bilden.

Berechnungen zeigten, dass die Verbindung mit dem Vorläufervirus vor etwa 100 Millionen Jahren erfolgt sein musste. Es war aber bisher unklar, was das für ein Virus gewesen sein könnte. Es wurde sogar in Frage gestellt, ob es sich überhaupt um Viren handelt oder um „genetische Sekretionen“ der Wespe.

Gezieltes Platzieren von Genen

Die Untersuchung der Boten-RNS (Ribonukleinsäure, die als Matrize zur Bildung von Proteinen dient) am Produktionsort der Polydnaviren, dem Eierstock der Wespe, half das Rätsel der Herkunft dieser Viren zu lüften. Die Forschenden um Beatrice Lanzrein vom Berner Institut für Zellbiologie und um Jean-Michel Drezen der Universität Tours untersuchten zwei stammesgeschichtlich weit entfernte Polydnaviren-übertragende Brackwespen.

Sie verglichen die Boten-RNS der zwei Arten untereinander und mit bekannten Daten über Viren. Die Befunde weisen darauf hin, dass die „Urwespe“ ein Nudivirus-ähnliches Virus aufgenommen hatte. Nudiviren sind noch wenig erforschte Viren von Wirbellosen. Im Verlauf der Evolution wurden die Gene für die Herstellung der Viruspartikel nicht mehr in die Viren verpackt. Stattdessen wurden Gene platziert, die für das Überleben der Wespenlarve wichtig sind.

Je nach Art und Lebensweise der verschiedenen Wespen findet man entsprechend sehr unterschiedliche Gene in den Viruspartikeln. „Das gezielte Platzieren von Genen in einem anderen Organismus ist beispielsweise das Ziel von Gentherapien; wir können von parasitischen Wespen also sehr viel lernen“, so Beatrice Lanzrein.

Quellenangabe:
Bézier et al.: Polydnaviruses of Braconid Wasps Derive from an Ancestral Nudivirus, Science 13. Februar, Vol. 323. no. 5916, pp. 926 – 930

DOI: 10.1126/science.1166788

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