Gesundheitssystem für alternde Nervenzellen
Wenn Nervenzellen im Gehirn unkontrolliert sterben, drohen neurodegenerative Erkrankungen wie die Parkinson- oder die Alzheimer-Krankheit. Wie lange Neuronen leben, hängt unter anderem davon ab, ob bestimmte Nervenwachstumsfaktoren vorhanden sind. Wissenschaftler vom Max-Planck-Institut für Neurobiologie in Martinsried lieferten nun einen eindeutigen Beleg, dass GDNF zu diesen wichtigen Wachstumsfaktoren gehört; und auch sein Rezeptor Ret ist notwendig, um bestimmten Nervenzellen ein langes Überleben zu ermöglichen. Für den Nachweis schalteten die Forscher das Gen für den Ret-Rezeptor in den Gehirnen von Mäusen aus. Und zwar in der Substantia Nigra, wo ein früher Nervenzelltod beim Menschen Parkinson auslöst. Die Gehirne der Mäuse entwickelten sich dann zwar normal, im fortgeschrittenen Alter nahm die Zahl ihrer dopaminergen Nervenzellen in diesem Areal jedoch ab – genauso wie es auch in Parkinson-Patienten zu beobachten ist (PLoS Biology, 5. März 2007).
Parkinson-Patienten verlieren in der Substantia Nigra Nervenzellen, die Dopamin produzieren. Verschiedene Experimente deuteten bislang schon an, dass der Nervenwachstumsfaktor GDNF und sein Rezeptor Ret möglicherweise den frühen Tod dieser Neurone verhindern könnte. Nun hat ein Wissenschaftlerteam um Edgar Kramer, Liviu Aron, Sabine Seitz und Rüdiger Klein vom Max-Planck-Institut für Neurobiologie in Martinsried nachgewiesen, dass die Nervenzellen in der Substantia Nigra, genauer gesagt im Nigro-Striatalen System, tatsächlich früher sterben, wenn ihnen der Ret-Rezeptor fehlt.
Den Schwund der Nervenzellen haben die Wissenschaftler erstmals in Mäusen beobachtet. Ihnen ist es jetzt nämlich gelungen, den Rezeptor gezielt in der Substantia Nigra auszuschalten. Diese Mäuse leben genauso lang wie gesunde Artgenossen. „So war es uns erstmals möglich, die Auswirkungen von fehlenden GDNF Signalen auf die Entwicklung und langfristige Erhaltung des Nigro-Striatalen Systems zu untersuchen“, sagt Rüdiger Klein, Direktor am Max-Planck-Institut für Neurobiologie und Leiter der Forschungsarbeiten. Tiere, denen der Nervenwachstumsfaktor oder sein Rezeptor in allen Zellen fehlt, sind nicht lebensfähig. Die Folgen für das erwachsene und alternde Gehirn ließen sich daher bislang nicht aufklären.
„Erstaunlicherweise entwickelte sich das Nigro-Striatale System auch ohne Ret Rezeptor ganz normal“, sagt Edgar Kramer, der an der Studie maßgeblich mitwirkte. Dass GDNF an den rezeptorlosen Neuronen nicht andocken kann, macht sich erst im Erwachsenenalter drastisch bemerkbar: Die Nervenzellen sterben früh. Und je älter die Tiere wurden, desto mehr Nervenzellen und Fasern verlieren sie.
Weltweit leiden nahezu 100 Millionen vor allem ältere Menschen an der Parkinson-Krankheit und anderen Gehirnerkrankungen, die sich durch einen fortschreitenden Verlust von Nervenzellen auszeichnen. Je nach betroffenem Gehirnbereich können die Symptome recht unterschiedlich sein: Zum Beispiel steht bei der Alzheimer-Krankheit der Verlust des Erinnerungsvermögens im Vordergrund, während sich die Parkinson-Krankheit vor allem in motorischen Störungen ausdrückt. Das charakteristische Muskelzittern und die Bewegungsarmut der Parkinson-Krankheit, an der auch solch bekannte Persönlichkeiten wie Muhammad Ali und Michael J. Fox leiden, treten jedoch erst auf, wenn bereits mehr als die Hälfte der Nervenzellen abgestorben sind.
„Unsere Ergebnisse helfen uns zu verstehen, welche Faktoren die Nervenzellen zum Überleben brauchen, die bei Parkinson Patienten absterben“, sagt Klein. Unter anderem sollten die Erkenntnisse auch die Entwicklung besserer Therapieformen der Parkinson-Krankheit vorantreiben.
Originalveröffentlichung:
Edgar R. Kramer, Liviu Aron, Geert M.J. Ramakers, Sabine Seitz, Xiaoxi Zhuang, Klaus Beyer, Marten P. Schmidt und Rüdiger Klein
Absence of Ret signaling in mice causes progressive and late degeneration of the Nigrostriatal system
PLOS Biology, 5. März 2007
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