Ein Wettlauf mit krankheitserregenden Bakterien

Mikrobiologie

Krankheitserregende Bakterien entwickeln häufig relativ schnell eine Unempfindlichkeit gegen neue Antibiotika. In der Forschung müssen daher immer wieder neue wirksame Mittel gefunden werden, im besten Fall schneller, als die Bakterien Resistenzen ausbilden können. Um in dem Wettlauf die Nase vorn zu behalten, erforscht der Tübinger Mikrobiologe Prof. Wolfgang Wohlleben grundsätzliche Mechanismen der Antibiotikabildung und -wirkung.

Ein Wettlauf mit krankheitserregenden Bakterien
Tübinger Mikrobiologie erforscht grundlegende Mechanismen von Antibiotika

Verschiedene Antibiotika macht sich der Mensch seit der Entdeckung des Penicillins 1928 gegen krankheitserregende Bakterien zu Nutze. Antibiotika werden von bestimmten Bakterien und Pilzen natürlicherweise gebildet, die damit die Vermehrung oder das Wachstum von Konkurrenten, das heißt wiederum anderen Mikroorganismen, unterdrücken. So unscheinbar und mikroskopisch klein Bakterien auch sind, kann ihr Stoffwechsel manche ungewöhnlichen Substanzen herstellen und auf neue Umweltbedingungen häufig sehr flexibel reagieren. Daher schaffen es Bakterien auch immer wieder, der Hemmung durch Antibiotika zu entgehen und resistent zu werden. Auch als Medikamente gegen bakterielle Infektionen wirken die Antibiotika dann nicht mehr. Der Mikrobiologe Prof. Wolfgang Wohlleben von der Universität Tübingen untersucht mit seiner Arbeitsgruppe grundsätzliche Mechanismen der Antibiotikabildung und -wirkung, um Resistenzen von Bakterien zu umgehen.

„Wir versuchen zu verstehen, wie die Herstellung von Antibiotika in den Bakterien abläuft, um gezielt eingreifen und die Produktion optimieren zu können“, erklärt Wohlleben. Als Untersuchungsobjekt haben die Mikrobiologen die Synthese des Antibiotikums Balhimycin gewählt. Dieses ähnelt dem Vancomycin, das bereits als Medikament eingesetzt wird. „Vancomycin gilt als so genanntes Reserveantibiotikum, das gebraucht wird, wenn andere Antibiotika versagen. Das ist zum Beispiel bei multiresistenten Staphylo- und Enterokokken der Fall, die schwere Infektionen verursachen können“, erklärt der Mikrobiologe. Das Medikament werde auch deswegen nur im Notfall eingesetzt, weil es Nebenwirkungen haben kann. Balhimycin eignet sich als Forschungsmodell jedoch besonders gut, da der Resistenzmechanismus bei den Bakterien auch auf molekularer Ebene bekannt ist. „Theoretisch wissen wir daher auch, was wir verändern müssen, um die Resistenzen zu umgehen“, sagt Wohlleben.

Natürlicherweise wird das Antibiotikum Balhimycin von Amycolatopsis mediterranei produziert, einem Bakterium aus der Gruppe der Actinomyceten. Die Kolonien dieser Bakterien bilden ähnlich wie Pilze eine Art Geflecht, ein Mycel, aus. „Actinomyceten sind Bodenbakterien, sie sind zum Beispiel in jedem Blumentopf zu finden“, sagt der Mikrobiologe. Zwei Drittel der heutzutage genutzten Antibiotika werden von Actinomyceten produziert. Diese Bakterien bilden Sporen, eine besonders widerstandsfähige Überdauerungsform. Dabei gibt es eine empfindliche Phase, in der die Actinomyceten leicht von anderen Bakterien „gefressen“ werden könnten, zu dieser Zeit bilden sie jedoch Antibiotika. Die Forscher vermuten, dass Antibiotika generell dazu dienen, die „Fressfeinde“ unter den Bakterien fern zu halten.

Balhimycin ist ein Glykopeptid, das heißt, dass das Molekül ein Rückgrat aus sieben Aminosäuren enthält, den Bausteinen der Eiweiße, und zusätzliche Zuckeranteile. Fünf der sieben Aminosäuren haben eine ungewöhnliche Struktur, von anderen Organismen werden sie normalerweise nicht hergestellt. Die Tübinger haben die Gene isoliert, die für die Herstellung der Antibiotika gebraucht werden. Sie liegen auf einem so genannten Gencluster zusammen. Damit hatten die Forscher auch das Werkzeug, um Amycolatopsis gentechnisch zu verändern. Das Antibiotikum Balhimycin kann eingreifen, wenn Bakterien wachsen und eine neue Zellwand ausbilden. Dabei werden erst Vorstufen des Gerüsts produziert, die anschließend vernetzt werden. Das Glykopeptid Balhimycin lagert sich an die Vorstufen der Zellwand an. Die fünf ungewöhnlichen Aminosäuren hängen sich an Aminosäuren der Zellwandvorstufen an, so dass keine Vernetzung der Zellwand mehr möglich ist, die Bakterien platzen“, erläutert Wohlleben.

Doch wie umgehen die Bakterien diese Hemmung, wenn sie resistent gegen Balhimycin werden? „Sie bauen einfach eine andere Vorstufe der Zellwand, an die das Antibiotikum nicht mehr binden kann“, sagt der Mikrobiologe. Er hält es für unwahrscheinlich, dass diese List gegen das Antibiotikum immer wieder neu durch einzelne Veränderungen der Gene entsteht, da gleich mehrere Gene und Enzyme für die Resistenz reguliert werden müssen. Vielmehr nimmt er an, dass die Bakterien den kompletten Gensatz von anderen Organismen übernehmen. Eine Resistenz gegen ein Antibiotikum entwickelt sich in der Regel in dem Organismus, der das Antibiotikum bildet, sonst würden sich die Produzenten selbst umbringen. Diese Resistenzgene könnten dann theoretisch durch Gentransfer auf andere Organismen übertragen werden.

„Wenn wir die Resistenz der Bakterien gegen Balhimycin umgehen wollen, könnten wir zum Beispiel andere Aminosäuren einsetzen, die wieder an die Zellwandvorstufen binden können“, erklärt Wohlleben. In der Praxis müssten die Forscher dafür bestimmte Gene aus dem Cluster entfernen und neue einsetzen. Möglicherweise könnte auch das Anhängen von anderen Zuckerbausteinen zum Erfolg führen. „Die Experimente können langwierig sein, weil es sechs bis acht Wochen dauern kann, genveränderte Bakterien zu gewinnen“, sagt der Mikrobiologe. Wohlleben will nun systematisch im Projekt Bakteriengenomforschung nach geeigneten Genen suchen. „Wir wollen dabei kein Genom sequenzieren, sondern greifen gezielt bestimmte Gencluster heraus“, betont er. Einen geeigneten Genbaukasten finden die Forscher gleich bei den Actinomyceten. „Wir haben festgestellt, dass in jedem der Bakterienstämme vier bis zehn Gencluster existieren, deren Produkt wir nie zu sehen bekommen. Das bedeutet, dass in den Bakterien viel mehr Information vorhanden ist als realisiert wird“, erläutert Wohlleben. Er will untersuchen, wie sich die „stillen“ Gene aktivieren lassen und welche biologische Bedeutung ihnen zukommt. Ziel der Forscher ist es, neue Antibiotika von den Bakterien produzieren zu lassen. Dabei könnten sie möglicherweise auch auf neue, natürliche Antibiotika stoßen.

In der „kombinatorischen Biosynthese“ lassen sich auch bekannte Gencluster nutzen: „Sie werden zerlegt, gemischt und zusammengewürfelt. Wir prüfen dann, was dabei Neues herauskommt. Um mit diesem Ansatz Erfolg zu haben, muss man das im großen Maßstab anlegen und die Ergebnisse sorgfältig in einem Screening überprüfen“, sagt Wohlleben. Ein solches Projekt läuft als Firmenausgründung aus seiner Abteilung. Meistens, so der Forscher, seien Antibiotika Naturstoffe, die dann nachträglich verändert werden, um etwa Nebenwirkungen zu verringern oder die Substanz für eine pharmazeutische Anwendung zu optimieren. „Die Bakterien, die die Substanz natürlich herstellen, produzieren oft so wenig, dass das Antibiotikum fast unbezahlbar ist. Klassisches Beispiel ist das Penicillin, das bei seiner Entdeckung sehr wertvoll war und heute billig hergestellt werden kann“, sagt er. Die Optimierung der Produktion laufe bisher häufig nach Versuch und Irrtum. „Wir hoffen, die Regulation der Antibiotikabildung aufzuklären und über genetische Veränderungen den Prozess stark abzukürzen“, beschreibt Wohlleben ein weiteres Ziel. 

Nähere Informationen:

Prof. Wolfgang Wohlleben
Mikrobiologisches Institut mit interdisziplinären Bereichen
Mikrobiologie/Biotechnologie
Auf der Morgenstelle 28
72076 Tübingen
Tel. 0 70 71/2 97 69 44
Fax 0 70 71/29 59 79
E-Mail: wolfgang.wohlleben@uni-tuebingen.de

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Michael Seifert idw

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