Johanson-Blizzard Syndrom genetisch entschlüsselt

Ein äußerlich auffälliges, aber ansonsten harmloses Merkmal des Johanson-Blizzard Syndroms ist das Fehlen der Nasenflügel, wie bei diesem Kind.

„Nature genetics“ veröffentlicht wissenschaftlichen Durchbruch bei der Aufklärung einer Erbkrankheit der Bauchspeicheldrüse

Wissenschaftlern an den Universitäten Erlangen und Greifswald ist die Entschlüsselung des Johanson-Blizzard Syndroms (JBS) gelungen, wie das Fachblatt Nature Genetics in der aktuellen Dezember-Ausgabe berichtet. Diese Erbkrankheit wurde 1971 erstmals beschrieben. Auf 250.000 Menschen kommt durchschnittlich ein Patient, der mit dieser seltenen Erkrankung mit vielfältigen Begleiterscheinungen betroffen ist. Das Johanson-Blizzard Syndrom, bei dem bislang lediglich eine fettgewebige Degeneration des Pankreas nachweisbar war, führt zu zahlreichen körperlichen Veränderungen, von denen das Fehlen der Nasenflügel das auffälligste Zeichen ist (Foto).

Im Rahmen einer mehrjährigen von der Deutschen Forschungsgemeinschaft geförderten Studie, an der 13 Familien mit JBS-Patienten teilgenommen haben, gelang der Arbeitsgruppe um Dr. Martin Zenker und Prof. André Reis an der Universität Erlangen jetzt erstmalig die genetische Entschlüsselung. Somit sind die Voraussetzungen gegeben, um die Therapiemöglichkeiten dieser unheilbaren Erbkrankheit zu verbessern.

Zelluläres „Entsorgungssystem“ gestört

Die Spezialisten für erbliche Bauchspeicheldrüsenerkrankungen haben in Zusammenarbeit mit Greifswalder Pankreas-Experten den Genort der Vererbung auf dem langen Arm von Chromosom 15 (15q14-21.1) ausfindig gemacht und definieren können. In weiteren Untersuchungen fanden die Forscher heraus, dass bei praktisch allen Patienten eine Störung in der Erbanlage des UBR1-Gens vorliegt. Bei normaler Funktionsweise sorgt dieses Enzym dafür, dass andere Eiweiße in den Körperzellen, die entweder fehlerhaft zusammengesetzt oder nach ihrer Nutzung verbraucht sind, für die zelluläre Eiweißverdauungsanlage markiert und somit für den organischen Abbau vorbereitet werden. Somit handelt es sich beim UBR1-System um eine Art molekularen „Grünen Punkt“, einem Mechanismus zur Kennzeichnung von zellulären Abfällen. Genau hier liegt die entscheidende Störung des Johanson-Blizzard Syndroms begründet.

Die gravierendste Folge für betroffene Patienten ist, dass ausgerechnet das wichtigste Verdauungsorgan des Körpers, die Bauchspeicheldrüse (Pankreas) dann nicht mehr richtig funktioniert. So entdeckte die Arbeitsgruppe um Dr. Julia Mayerle und Prof. Markus Lerch an der Universität Greifswald, dass Mäuse ohne das besagte UBR1-Gen des Johanson-Blizzard Syndroms an einer erblichen Unterfunktion der Bauspeicheldrüse mit entsprechenden Gedeihstörungen leiden.

Bei Menschen hat die Bauchspeicheldrüse, ein Organ von der Größe und Form einer Weißwurst, zwei Funktionen. Zum einen gibt sie Hormone wie das Insulin ins Blut ab. Bei einem Mangel an Insulin kommt es zur Zuckerkrankheit (Diabetes Mellitus). Darüber hinaus produziert die Bauchspeicheldrüse täglich bis zu 1,5 Liter Bauchspeichelsäfte, die in den Dünndarm geleitet werden und ohne die eine Verdauung von Fett, Eiweiß und Kohlenhydraten praktisch unmöglich ist. Interessanter Weise ist bei Patienten mit Johanson-Blizzard Syndrom nur die Verdauungsfunktion des Pankreas gestört, während ein Diabetes in der Regel nicht auftritt. Die Insulin-Produktion ist also nicht beeinträchtigt. Wie die Wissenschaftler aus Greifswald jetzt belegen konnten, entsteht dieser Funktionsverlust durch eine starke Entzündungsanfälligkeit der Bauchspeicheldrüse, die schon vor der Geburt und im Mutterleib zur starken Schädigung des Pankreas führt.

Die Entdeckung des Forscherteams aus Erlangen und Greifswald ermöglicht künftig einen sicheren diagnostischen Test, mit dem Betroffene Gewissheit über ihre Erkrankung erhalten und auch klinische Zweifelsfälle aufgeklärt werden können – gerade im Hinblick auf eine genetische Beratung. Zum anderen scheint es sich beim Verdauungssystem der Zelle über UBR1 und den Markierungspfad um einen fundamentalen Krankheitsmechanismus zu handeln, dem möglicherweise auch andere, weitaus häufigere Erkrankungen als das Johanson-Blizzard Syndrom zu Grunde liegen.

www.nature.com/ng/journal/v37/n12/index.html

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