Entdeckung eines Aminosäure-Schalters

Der schraubenförmige (alpha-helikale) Teil des Peptids CRF mit den Aminosäuren auf der wasserabweisenden Seite. h/rCRF bindet mit einer um den Faktor 3 höheren Bindungsstärke an das Bindungsprotein als an den Rezeptor (CRF Rezeptor, Subtyp 1). Der Austausch der Aminosäure Alanin (Ala) gegen Glutaminsäure (Glu) vermindert die Bindungsstärke zum Bindungsprotein um den Faktor 150 und erhöht die Bindungstärke zum Rezeptor um den Faktor 3. <br> <br>

Eine einzige Aminosäure entscheidet über das Bindungsverhalten des Stresshormons CRF / Gezielte Herstellung von Hemmstoffen für die Angst- und Gedächtnisforschung möglich

In der jüngsten Veröffentlichung der Zeitschrift Proceedings of the National Academy of Sciences (25. September 2001, Vol. 98) berichten Wissenschaftler aus der Abteilung von Joachim Spiess vom Max-Planck-Institut für experimentelle Medizin in Göttingen über die Entdeckung eines Aminosäure-Schalters im Stresshormon CRF: Mit dem Austausch einer einzigen Aminosäure ist es ihnen gelungen, die Bindungseigenschaften des Moleküls gezielt zu verändern. Auf der Grundlage dieser Beobachtung sollte es zukünftig möglich sein, selektive CRF-artige Peptide (kurze Proteinabschnitte), die in spezifischer Weise anregen oder hemmen, zu entwickeln und damit die Erforschung der CRF-Wirkungen entscheidend voranzutreiben.

Stress ist eine Erfahrung, die jeder kennt. Es gibt eine ganze Reihe Stress oder auch Angst auslösender Reize. Doch so unterschiedlich die von außen kommenden stressvollen Reize auch sein mögen – die chemischen Reaktionen, die sie in unserem Körper auslösen, folgen zunächst einmal einem sehr grundlegenden Muster: In Beantwortung eines stressvollen Reizes setzen Menschen wie auch andere Säugetiere ein chemisches Signalmolekül im Gehirn frei – das aus 41 Aminosäurebausteinen bestehende Corticotropin-Freisetzungshormon (corticotropin releasing factor CRF), welches über die Nervenfasern zunächst zu einem venösen Gefäßknäuel oberhalb der Hirnanhangdrüse gelangt und mit dem Blutstrom dieses Gefäßknäuels in den vorderen Teil der Hirnanhangdrüse (Hypophyse). Hier wird nun das Hormon Corticotropin ausgeschüttet, welches die Freisetzung so genannter Glucocorticoide in der Nebennierenrinde bewirkt. Die Wissenschaftler bezeichnen diese komplexe Aktivierungskette als Hypothalamus-Hypophysen-Nebennierenrinden-Achse oder einfach als Stressachse. Bei der spezifischen Anpassung des Körpers an Stresssituationen spielt diese Achse eine sehr wichtige Rolle. Unter pathologischen, also krankmachenden Bedingungen, wie depressiven Erkrankungen und Angststörungen, kann die normale Funktion dieser Stressachse erheblich gestört sein.

Über seine Rolle bei der Aktivierung der Stressachse hinaus wirkt das Signalmolekül CRF auch bei der Bildung von Gedächtnis, Angst und Essverhalten im Gehirn mit. Diese Wirkungen von CRF werden durch verschiedene in den Zellwänden verankerte Rezeptoren vermittelt. Das sind quasi Antennenmoleküle, die das CRF binden und auf diese Weise weitere Signalketten im Inneren der Zelle auslösen. Interessanterweise kann CRF Gedächtnis und Angst sowohl verstärken als auch schwächen, je nach dem, an welche Rezeptoren einer Hirnregion es gebunden hat. Darüber hinaus wird CRF nicht nur an verschiedene Rezeptoren der Gehirnzellen gebunden, sondern auch an ein so genanntes CRF-Bindungsprotein. Dieses Protein bindet im menschlichen Gehirn etwa 50% des vorhandenen Signalmoleküls und das mit größerer Festigkeit bzw. Affinität als die erwähnten Rezeptoren. Noch haben die Wissenschaftler die biologische Funktion dieses Bindungsproteins nicht vollständig verstanden, aber es stellt ohne Zweifel ein pharmakologisch wichtiges Reservoir von CRF dar, das beispielsweise für die Verbesserung von Gedächtnisleistung benutzt werden könnte.


Um die durch die CRF-Rezeptoren vermittelten Gehirnfunktionen besser zu verstehen, versuchen die Wissenschaftler CRF analoge Signalmoleküle herzustellen, die bevorzugt von einem der Rezeptoren oder aber dem Bindungsprotein gebunden werden. Bereits 1995 konnten Andreas Rühmann, Ines Bonk und Joachim Spiess aus der Abteilung Molekulare Neuroendokrinologie des Göttinger Max-Planck-Instituts für experimentelle Medizin in Zusammenarbeit mit Chijen Lin und Michael Rosenfeld vom Howard Hughes Institute in San Diego einen solchen selektiv bindenden Hemmstoff, das Peptid Anti-Sauvagine-30, herstellen.

In ihrer jüngsten Veröffentlichung in PNAS haben Wissenschaftler derselben Abteilung, Klaus Eckart, Olaf Jahn, Jelena Radulovic, Hossein Tezval, Lars van Werven und Joachim Spiess, nun gezeigt, dass der Austausch einer einzigen Aminosäure im CRF-Molekül darüber entscheidet, ob CRF an sein Bindungsprotein gebunden wird oder nicht. Wird die Aminosäure Alanin gegen die Aminosäure Glutaminsäure ausgetauscht, so wird das Molekül nicht mehr an das Bindungsprotein, sondern lediglich an den CRF-Rezeptor gebunden. Damit halten die Wissenschaftler sozusagen einen molekularen Schalter in den Händen, mit dem sie die Bindungseigenschaften des Signalmoleküls gezielt verändern können. Der Aminosäureaustausch findet in einem schraubenförmig gewundenen Bereich des CRF-Moleküls statt, der sehr wasserabstoßend ist (Abbildung).

Den Göttinger Wissenschaftlern ist es bereits gelungen, diesen wissenschaftlichen Befund bei der Entwicklung von Hemmstoffen umzusetzen: Sie veränderten einen Hemmstoff, das Astressin, der wegen seiner geringen Löslichkeit bisher nur begrenzt in Tierversuchen eingesetzt werden konnte und der eine schwache Bindung an das CRF-Bindungsprotein zeigte, durch die Einführung der „Schalteraminosäure“ Glutaminsäure. Dadurch erhöhte sich die Bindungsfestigkeit an den CRF-Rezeptor, während die Fähigkeit, an das Bindungsprotein zu binden, verloren ging. Zugleich wurde durch diese Veränderungen die Wasserlöslichkeit des sauren Astressins so gesteigert, dass es im Tierexperiment wirksam werden konnte – Angstreaktionen bei Mäusen ließen sich mit saurem Astressin jetzt ohne Schwierigkeiten unterdrücken. Zur Zeit arbeiten die Wissenschaftler des Göttinger Max-Planck-Instituts an Hemmstoffen mit größerer Selektivität für Untergruppen des CRF-Rezeptors.

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