Das rätselhafte Liebesleben der Grillen

Zoologen vergleichen ihre Laborgrillen mit einer Population in Freiheit

Wenn es draußen warm und trocken war, konnte man Zoologen der Universität Leipzig auf einem sonnigen Hang bei Leipzig herumkraxeln sehen. Die Wissenschaftler haben Grillen markiert und beobachtet. Den Hintergrund für diese Exkursionen erläutert Prof. Klaus Schildberger vom Institut für Zoologie der Fakultät für Biowissenschaften, Pharmazie und Psychologie.

Es wimmelt von Grillen und Schaben …

Im Keller des Instituts, dem frisch sanierten Gebäude in der Leipziger Talstaße, wimmelt es nur so von Grillen, Schaben und sonstigem Krabbelgetier. Aber die Insekten treten hier nicht als Ungeziefer auf, sondern als Forschungsobjekt. Sie bewegen sich auch nicht in Ecken und Ritzen, sondern wohlsortiert, naturnah beleuchtet und fürsorglich gefüttert in speziellen Behältnissen. In einem gesonderten Raum sind Hunderte Grillenmännchen versammelt und veranstalten ein ohrenbetäubendes Zirpen. Was aber suchen die Forscher in der freien Natur, wo sie doch genügend Tiere in Reichweite haben?

„Die Untersuchungen draußen sind eigentlich ein Begleitprojekt zu dem, was wir hier drinnen machen“, erklärt Prof. Schildberger die Zweigleisigkeit. In den Labors untersuchen die Zoologen die Funktionsweise des Nervensystems und das daraus resultierende Verhalten der Lebewesen. Dazu eignen sich Grillen besonders, da ihre Verhaltensweisen relativ einfach und überschaubar sind und ihr Nervensystem entsprechend weniger komplex. Dennoch zeigen diese Insekten Verhaltensweisen, die denen der Säugetiere nahe kommen: Sie kommunizieren akustisch miteinander und sie zeigen Aggressionen innerhalb der eigenen Art. So funktionieren die Zweikämpfe der Grillen-Männchen nach einem ähnlichem Muster wie die der Hirsche in der Brunftzeit. Bei den einen wie den anderen geht es nur um eines: die Weibchen zu beeindrucken und die Rivalen aus dem Wege zu räumen – und letztlich sich zu vermehren.

Was löst Aggressionen aus?

„Aggression bei Grillen ist ein stereotypes und unter Laborbedingungen leicht anzuregendes Verhalten“, so Prof. Schildberger zum Herangehen. „Was aber löst sie aus und steuert sie? Welche Substanzen und welche Schaltkreise spielen eine Rolle? In Verdacht haben wir vor allem die biogenen Amine, also körpereigene organische Stickstoffverbindungen. Bewiesen ist ja bereits, dass solche aus der Humanmedizin bekannten Substanzen wie das anregende Adrenalin und das beruhigende Amin Serotonin bei vielen Tierarten ähnliche Reaktionen hervorrufen. Dies spricht für einen evolutiv sehr alten Kontrollmechanismus. Zur Zeit wird mittels pharmakologischer Methoden untersucht, wie Serotonin und Oktopamin Einfluss auf die Abfolge und die Intensität des Verhaltens nehmen. Auf anatomischem Wege untersuchen wir die rund einen Kubikmillimeter großen Gehirne der Grillen. Wir sind hier noch absolut in der Grundlagenforschung; aber es ist nicht auszuschließen, dass die Grille irgendwann bei der Entwicklung neuer Psychopharmaka voranhilft.“

Vergleich der Versuchstiere mit denen aus freier Wildbahn

Um eindeutige Aussagen zu treffen, müssen sich die Uni-Zoologen aber sicher sein, dass sich ihre Grillen auch im Labor artgemäß verhalten. Dazu benötigen die Forscher den Vergleich der Populationsdynamik ihrer Versuchstiere mit der in freier Wildbahn. Um solch eine Gegenüberstellung zu ermöglichen, machte sich Schildberger vor einigen Jahren auf die Suche nach in der Nähe freilebenden Grillenpopulationen. „Dass ich hier in der Leipziger Tieflandsbucht welche finde, war relativ unwahrscheinlich. Aber trotz der nördlichen Lage dieser Region konnte ich einen sonnenbeschienenen Südhang entdecken, auf dem sich Grillen angesiedelt hatten.“

Die Zoologen sind dann mit einer langen Liste Fragen an die freihüpfenden Tierchen herangetreten. Gibt es – im Labor schwierig zu garantierende – Territorien? Wie werden die verteidigt? Wechseln die Männchen ihre Höhlen? Um das alles zu ermitteln, wurden rund 200 Exemplare vorsichtig gefangen, mit mehrfarbigen Mustern markiert, im Forschungsprotokoll registriert und wieder frei gelassen. Es begann die aufmerksame Beo-bachtung aller „Teilnehmer“ dieser Studie. Zieht die Grille jeden Abend wieder in die gleiche Höhle ein? Wer paart sich mit wem? Was voll alledem wird durch welche Kom-munikation und Aggression untereinander geregelt?

Interessantes aus dem Grillen-Alltag

So manches können die Zoologen bereits über den Grillen-Alltag erzählen. Zum Beispiel dass 90 Prozent der Männchen täglich umziehen. Nur die komfortableren Erdhöhlen, also die mit dem besseren Wärmeausgleich, werden länger von demselben Männchen be-wohnt als die eher provisorischen Behausungen. Ob allerdings die Männer mit der besseren Immobilie auch mehr Nachwuchs zeugen dürfen, ist ohne genetische Tests noch nicht zu sagen. Erst nach den anstehenden DNA-Untersuchungen wird es klar sein: Wer ist – bei bekannter Mutter – der Vater welcher Eiablage? Es ist nämlich auch noch unbe-kannt, ob das Weibchen ihre Eier automatisch in der Höhle des Männchens ablegt, das sie begattet hat.

Die Kämpfe der Männchen ähneln sich sehr

„Was wir aber vor allem wissen wollten, nämlich ob sich unsere Labor-Grillen artgerecht verhalten oder ob wir Artefakte untersu-chen“, so Schildberger, „haben wir erfahren. Die Gemeinsamkeiten überwiegen. So ähneln sich die Kämpfe der Männchen mit ihren Drohgebärden und Kopfstößen sehr. Zu den wenigen Unterschieden zählt die Heftigkeit der Kämpfe. In Freiheit sind es meisten Schaukämpfe und der Besiegte flieht. Im Labor geht es rabiater zu. Aber wenn wir um diese Einzelheiten wissen, können wir sie in die Interpretation der Ergebnisse einbeziehen.“

Übrigens, das was im Sommer auf mitteldeutschen Wiesen zirpt und springt, sind keine Grillen, sondern Heuschrecken, eine ebenfalls zur Familie der Geradflügler gehörende helle-re und zartere Schwester der dicken, dunklen Grille. Die Grille ist hierzulande sehr selten, weshalb Prof. Schildberger den Wohnort „seiner“ Population auch nicht verrät. „In diesem Frühling sind wir ohnehin nicht drau-ßen gewesen. Bei solchem Wetter haben die Tiere wenig Lust auf intensives Liebesleben.“

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Dr. Bärbel Adams idw

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