Deutsches Forscherteam findet ein Schlüsselprotein der Blutgerinnung

Haben die US-Konkurrenz geschlagen: Die Doktoranden Simone Rost und Andreas Fregin vom Biozentrum der Uni Würzburg entdeckten mit deutschen Forscherkollegen ein lange gesuchtes Schlüsselprotein der Blutgerinnung. Foto: Robert Emmerich

Schneller als die US-Konkurrenz – Bericht in „Nature“

Ein Team von deutschen Forschergruppen unter Federführung von Wissenschaftlern des Biozentrums der Uni Würzburg hat ein Protein entdeckt, das Blutgerinnungsforscher auf der ganzen Welt seit Jahren vergeblich suchen. In Zusammenarbeit mit dem DRK-Blutspendedienst Frankfurt/Main, dem GSF-Forschungszentrum München und der Biologischen Bundesanstalt in Münster konnten sie zeigen, warum das häufig verwendete Blutverdünnungsmittel Marcumar bei manchen Menschen nicht wirkt. Damit haben die deutschen Forscher den Wettlauf gegen eine konkurrierende Arbeitsgruppe aus den USA mit einigen Wochen Vorsprung gewonnen. Die übereinstimmenden Ergebnisse der zwei Gruppen werden am 5. Februar als Titelstory in „Nature“ veröffentlicht.

Wenn das Blut zu schnell gerinnt, bekommt der Mensch Gefäßverschlüsse und Schlaganfälle. Wenn es zu langsam gerinnt, verblutet er. Die Blutgerinnung ist ein hoch komplizierter Prozess, an dem ein gutes Dutzend Gerinnungsfaktoren und enzymatische Schaltkreise beteiligt sind. Zur Entfaltung ihrer vollen Aktivität benötigen gleich mehrere Gerinnungsfaktoren ein Vitamin, nämlich Vitamin K, das der Mensch mit der Nahrung zu sich nimmt.

Wenn die Aufnahme von Vitamin K im Magen-Darm-Trakt gestört ist, gerät auch die Blutgerinnung durcheinander. Erfüllt das Vitamin K seine Funktion zum Beispiel bei einer Lebererkrankung nicht mehr richtig, besteht ebenfalls ein erhöhtes Blutungsrisiko. Es gibt aber auch seltene Erbkrankheiten, bei denen die von Vitamin K abhängigen Gerinnungsfaktoren von Geburt an vermindert sind. Früher starben die betroffenen Kinder kurz nach der Geburt an Gehirnblutungen. Heute werden sie meistens durch eine rechtzeitige Behandlung mit Vitamin K gerettet.

Den Gendefekt, der in diesen Familien zur erhöhten Blutungsneigung führt, haben die Würzburger Diplom-Biologen Simone Rost und Andreas Fregin in Zusammenarbeit mit Tim Strom vom GSF-Forschungszentrum in München jetzt aufgeklärt. Die beiden Doktoranden arbeiten am Biozentrum der Uni Würzburg unter der Leitung des Blutgerinnungsforschers Johannes Oldenburg in der Arbeitsgruppe von Clemens Müller-Reible.

Die Wissenschaftler sind nach jahrelanger Detektivarbeit auf ein bisher unbekanntes Protein gestoßen, das eine zentrale Rolle im Vitamin-K-Stoffwechsel spielt: Es handelt sich um eine Hauptkomponente des seit langem gesuchten Proteinkomplexes Vitamin-K-Epoxid-Reduktase (VKOR). Dessen Aufgabe besteht darin, verbrauchtes, inaktives Vitamin K wieder in seine aktive Form zu überführen. Wenn diese Umwandlung durch Mutationen im VKOR-Gen gestört ist, kommt es unweigerlich zur Blutungsneigung. Das ist der Fall bei den Familien, welche die Würzburger Wissenschaftler untersucht haben.

Den Forschern gelang es gleichzeitig, den Wirkungsmechanismus eines in der Medizin sehr häufig eingesetzten Medikaments zur Blutverflüssigung aufzuklären. Weit mehr als 100.000 Menschen werden allein in Deutschland nach Herzklappenoperationen, Gefäßverschlüssen oder Schlaganfällen mit Blutverflüssigern behandelt. Dabei wird neben Heparin am häufigsten das Medikament Marcumar eingesetzt.

Es ist schon lange bekannt, dass bei einigen Menschen Marcumar in der gängigen Dosierung nicht ausreicht, um die gewünschte Blutverflüssigung zu erzielen. Diese seltenen, gegenüber Marcumar unempfindlichen Patienten wurden als „Marcumar-resistent“ bezeichnet, ohne dass man die Ursache dieser Unempfindlichkeit kannte. In den USA und England wird anstelle von Marcumar das verwandte Medikament Warfarin eingesetzt, weswegen man dort von der „Warfarin-Resistenz“ spricht.

Die Gruppe von Johannes Oldenburg hat nun gezeigt, dass Menschen mit einer Marcumar- oder Warfarin-Unempfindlichkeit ebenfalls Mutationen in dem neu entdeckten VKOR-Gen tragen. Allerdings betreffen die Veränderungen bei diesen Patienten nur jeweils eine der beiden Kopien des VKOR-Gens, während in den Familien mit erhöhter Blutungsneigung beide Kopien mutiert sind.

Diese Erkenntnisse eröffnen wichtige Perspektiven für die klinisch-therapeutische Forschung. Obwohl Marcumar ein seit langem bewährtes Medikament zur Blutverdünnung ist, kommt es bei seiner Anwendung immer wieder zu Problemen: Eine Unterdosierung verdünnt das Blut nicht genügend, eine Überdosierung führt zu einer lebensgefährlichen Blutverdünnung. Daher muss die Dosierung sehr genau eingehalten und ständig kontrolliert werden. Zudem können Lebererkrankungen und Ernährungsprobleme die Wirkung des Medikaments verändern.

Johannes Oldenburg, der inzwischen beim Blutspendedienst des Roten Kreuzes in Frankfurt arbeitet, hofft daher: „Die Entdeckung des für die Blutgerinnung zentralen VKOR-Gens sollte zur Entwicklung von Blutgerinnungs-Medikamenten führen, deren Wirkung, Handhabung und Dosierung spezifischer, einfacher und genauer als die von Marcumar sein wird.“

Ein interessanter Nebenaspekt der Arbeiten betrifft die Schädlingsbekämpfung: Die starke Vermehrung von Ratten führt weltweit zu großen Ernteschäden und, vor allem in Kalifornien, immer wieder zum Auftreten der Pest. Warfarin und ähnliche Präparate werden in den USA, aber auch in Europa, als sehr effektive Nagergifte eingesetzt: Sie lassen die Tiere innerlich verbluten. Verwendet man die Mittel häufig, treten immer wieder resistente Rattenstämme auf, deren Blutgerinnung gegenüber Warfarin unempfindlich geworden ist.

In Zusammenarbeit mit Hans-Joachim Pelz von der Biologischen Bundesanstalt für Land- und Forstwirtschaft in Münster untersuchte die Würzburger Gruppe auch das VKOR-Gen von Warfarin-resistenten Ratten. Dabei zeigte sich, dass die resistenten Tiere, genauso wie Marcumar-unempfindliche Menschen, Mutationen in diesem Gen tragen.

Für ihre Entdeckungen wurde Simone Rost und Andreas Fregin der erstmalig verliehene und mit jeweils 500 Euro dotierte Nachwuchspreis des Würzburger Biozentrums zugesprochen. Wichtige fachliche Unterstützung erhielten die jungen Forscher von den Arbeitsgruppen um Ernst Conzelmann (Biozentrum Würzburg) und Tim Strom (GSF-Forschungzentrum und Technische Uni München).

Weitere Informationen:
PD Dr. Johannes Oldenburg, Tel. 069-6782-177, Fax -204, E-Mail: joldenburg@bsdhessen.de

Prof. Dr. Clemens Müller-Reible, Tel. 0931-888-4063, Fax -4069, E-Mail: crm@biozentrum.uni-wuerzburg.de

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Robert Emmerich idw

Weitere Informationen:

http://www.uni-wuerzburg.de

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