Auch bei Astrozyten gibt es nicht nur Schwarz und Weiß

Astrozyten (rot) umgeben Nervenzellen (blau) im Gehirn einer Maus.
HHU / Institut für Neurobiologie

Neurobiologie: Konsensus-Veröffentlichung in Nature Neuroscience

Eine Gruppe renommierter Neurowissenschaftlerinnen und -wissenschaftler, darunter Prof. Dr. Christine R. Rose von der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf (HHU), hat in einem umfassenden Artikel die sogenannte Astrozyten im Gehirn umfassend neu bewertet. In Nature Neuroscience beschreiben sie, welche Veränderungen diese Zellen bei Erkrankungen durchlaufen und welche gesundheitlichen Aspekte mit ihrer besonderen Rolle im Gehirn zusammenhängen.

Mehr als die Hälfte der Zellen unseres Gehirns sind keine Nervenzellen („Neuronen“), sondern sogenannte Gliazellen. Zu letzteren gehören auch die aufgrund ihrer Form so benannten Astrozyten, zu Deutsch „Sternzellen“.

Im gesunden Gehirn üben diese Astrozyten vielfältige Funktionen aus. Sie beeinflussen zum Beispiel die Anzahl der Verbindungen zwischen Nervenzellen, oder sie kontrollieren das Milieu – die Nährstoffzusammensetzung, den pH-Wert –, in dem Nervenzellen arbeiten und halten sie dadurch funktionsfähig. Kürzlich wurde entdeckt, dass Astrozyten aktiv an der Signalübertragung mitwirken können. Dieser Zelltyp ist somit ein unentbehrlicher Partner von Nervenzellen, er ist für eine gesunde Gehirnfunktion unerlässlich.

Ebenso lange ist ebenfalls bekannt, dass Astrozyten sehr sensibel und schnell auf Störungen der Gehirnfunktion reagieren. Schon Alois Alzheimer beschrieb zu Beginn des letzten Jahrhunderts eine starke Veränderung in der Gestalt von Astrozyten im Gehirn von Patienten, die unter der später nach ihm benannten demenziellen Erkrankung litten.

Solche Veränderungen von Astrozyten werden schon lange intensiv beforscht und mit verschiedenen Namen wie zum Beispiel Astrozytose, Astrozytenaktivierung oder reaktive Gliose belegt. Darüber hinaus setzte sich mehr und mehr durch, krankheitsbedingt veränderte Astrozyten in zwei Klassen zu unterteilen, die entweder Krankheitsprozesse fördern (neurotoxische „A1-Zellen“) oder diesen entgegenwirken (neuroprotektive „A2-Zellen“).

Ein internationales Autorenteam aus über 80 Neurowissenschaftlerinnen und -wissenschaftlern, darunter Prof. Christine R. Rose vom HHU-Institut für Neurobiologie, schlägt nun in einem Konsensus-Artikel vor, die bisher verfolgte binäre Einteilung in „gute“ oder „schlechte“ Astrozyten hinter sich zu lassen. Das kürzlich in der Zeitschrift Nature Neuroscience erschienene Papier legt dar, dass reaktive Astrozyten abhängig vom jeweiligen Krankheitsbild verschiedene molekulare und funktionelle Veränderungen durchlaufen, die vielfältige funktionelle Auswirkungen haben können.

Auf Basis dieser neuen Erkenntnisse schlagen die Autoren neue Strategien und standardisierte Vorgehensweisen zur Charakterisierung reaktiver Astrozyten in unterschiedlichen Krankheitsmodellen vor, ohne aber diese Zellen in die bisher üblichen Schablonen zu drängen. Prof. Rose: „Nur ein differenzierteres Bild der Zellen wird dazu beitragen, ihre Rolle bei der Entwicklung von Hirnerkrankungen wirklich zu verstehen. Damit lassen sich neue Möglichkeiten identifizieren, mit therapeutischen Ansätzen die neurotoxischen Eigenschaften von Astrozyten zu unterbinden und stattdessen ihre protektiven Funktionen zu fördern.“

Originalpublikation:

Escartin, C., Galea, E., Lakatos, A. et. al., Reactive astrocyte nomenclature, definitions, and future directions, Nature Neuroscience 24, 312-325 (2021)

DOI: 10.1038/s41593-020-00783-4

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Dr.rer.nat. Arne Claussen Stabsstelle Presse und Kommunikation
Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf

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