Neuer Wirkstoff gegen Kraut und Knollenfäule

Gegen Phytophthora infestans, den Erreger der Knollenfäule bei Kartoffeln, ist bis heute kein Kraut gewachsen. Der Mikroorganismus gehört zur Klasse der Oomyceten, deren Vertreter eine Übergangsform zwischen Braunalgen und Pilzen darstellen.

Phytophthora verbreitet sich über Sporen, die mit Hilfe eines Keimschlauches in das Blattgewebe der Pflanzen eindringen. Erste Anzeichen des Phytophthora-Befalls zeigen sich an bräunlichen Flecken der Blätter. Im Laufe der Infektion verfaulen oder vertrocknen die Blätter und fallen schließlich ab. Werden die Sporen bei Regen in den Boden gespült, befallen sie auch die Knollen, deren Fleisch sich blau-grau verfärbt und ungenießbar wird. Wenn Phytophthora in den Knollen überwintert, kann eine einzige infizierte Knolle, die im Frühjahr ausgebracht wird, den gesamten Kartoffelbestand vernichten.

Dies geschah beispielsweise Mitte des 19. Jahrhunderts in Irland, als der Erreger über mehrere Jahre hinweg die Kartoffelernte zerstörte und damit eine Hungersnot auslöste in deren Konsequenz etwa eine Millionen Iren starben und weitere zwei Millionen nach Amerika auswanderten. Heute versucht man dem Krankheitserreger mit verschiedenen antimikrobiellen, pilzabtötenden Wirkstoffen (Fungiziden) zu begegnen. Da der Oomycet jedoch nur wenige Eigenschaften von Pilzen aufweist und den Braunalgen näher verwandt ist, ist seine Bekämpfung mit Antipilzmitteln wenig effizient. Deren Wirkung wird in der Regel schnell umgangen, indem der Erreger entsprechende Resistenzmechanismen entwickelt. So sorgt Phytophthora noch immer für weltweite Ernteeinbußen von etwa 20 Prozent.

Jetzt wurde am IPB unter Leitung von Dr. Norbert Arnold eine Substanz in Höheren Pilzen entdeckt, die den Erreger bereits in sehr niedrigen Konzentrationen abtötet. Die Produzenten des Wirkstoffes, die sogenannten Schnecklinge, sind in heimischen Wäldern, wie zum Beispiel dem Harz, häufig zu finden. „Während meiner vielen Pilzexkursionen ist mir aufgefallen, dass Schnecklinge fast nie von Krankheitserregern oder Parasiten zersetzt werden“, erzählt der Leiter der AG Naturstoffe. Deshalb hat Arnold vor über zehn Jahren angefangen, Schnecklinge zu sammeln und deren Inhaltsstoffe zu analysieren.

Das Ergebnis war vielversprechend. Die Biotests ergaben, dass Schnecklinge eine Vielzahl von antibiotischen Substanzen produzieren, die gegen Bakterien und parasitische Pilze aktiv sind. Die jüngst gefundenen Naturstoffe gehören zur Gruppe der Oxocrotonatfettsäuren und wirken gegen Oomyceten, zu denen Phytophthora gehört. Den Befunden zufolge, hemmen die Wirkstoffe in starkem Maße die Sporenkeimung aber auch das Myzelwachstum des Erregers. Dies wurde zunächst im Reagenzglas und später auch an Pflanzen demonstriert. So wie¬sen Kartoffelpflanzen, deren Blätter man mit einer bestimmten Menge an Oxocrotonatfettsäuren spritzte und anschließend mit Sporen von Phytophthora infizierte, keinerlei Krankheitszeichen der Kraut- und Knollenfäule auf. Auf die Pflanzen selbst hatte der Wirkstoff, auch in hohen Konzentrationen appliziert, keinen negativen Effekt.

Deshalb ist diese Stoffgruppe für die Entwicklung neuer Agrochemikalien zur Bekämpfung der Kraut- und Knollenfäule besonders interessant. Durch die Synthese von modifizierten Derivaten des Naturstoffes erhofft man sich, neue Substanzen zu finden, die noch effizienter wirken als ihre natürlichen Vorbilder. Interessant und noch zu beantworten ist auch die Frage nach dem Wirkprinzip der Oxocrotonatfettsäuren. Da Pilze in der Regel nicht von Phytophthora befallen werden, vermutet man, dass die Stoffgruppe unspezifisch gegen eine Vielzahl von Mikroorganismen wirkt. Erste Untersuchungen bestätigen das: So wirken Oxocrotonatfettsäuren auch gegen Colletotrichum coccodes, den Erreger der Welkekrankheit bei Kartoffeln. Im Gegensatz zu Phytophthora gehört Colletotrichum jedoch nicht zu den Oomyceten, sondern zu den mikrobiellen Pilzen.

Die Suche nach biologisch aktiven Wirkstoffen in Pflanzen und Pilzen ist ein wichtiger Forschungsbereich der Abteilung Natur- und Wirkstoffchemie des IPB. Besonders Pilze erweisen sich dabei als lohnenswerte Objekte, denn diese Organismen sind im Vergleich zu Pflanzen kaum untersucht. Bisher kennt man etwa 70.000 Pilzarten. Schätzungen zufolge gibt es jedoch über eine Millionen weitere noch unentdeckte Arten. Zudem sind Pilze für ihre enorme Produktion an Giftstoffen bekannt. Die Ursache liegt möglicherweise an der großen Empfindlichkeit des Pilzgewebes. Pflanzen wehren sich gegen Fraßfeinde, indem sie Schutzschichten, wie z.B. die Rinde oder eine feste Cuticula an den Blattoberflächen ausbilden. Zusätzlich produzieren sie chemische Abwehrstoffe gegen Parasiten und Krankheitserreger. Bei Pilzen hingegen sind diese mechanischen Barrieren gegen hungrige Invasoren kaum vorhanden. Deshalb wehren sie sich, mehr noch als Pflanzen, auf chemischem Wege, indem sie Stoffe produzieren, die den arglosen Essern nicht schmecken oder giftig sind. Auch für den Menschen ungiftige Pilze enthalten oft wirksame Substanzen gegen Bakterien und andere Pilze.

Wie aber kommt man überhaupt dazu, Pilze nach einem Wirkstoff gegen einen Erreger von Pflanzenkrankheiten zu durchforsten? Die Antwort liegt in den sich überlappenden Aktionsradien verschiedener Expertenkreise am IPB. Während die Chemiker Pflanzen und Pilze nach allen möglichen biologisch aktiven Wirkstoffen durchforsten, beschäftigen sich die Biologen der Abteilung Stress- und Entwicklungsbiologie intensiv mit den Ursachen von Pflanzenkrankheiten. So erforschen die Wissenschaftler unter Leitung von Dr. Sabine Rosahl die molekularen Entstehungsmechanismen der Kraut- und Knollen¬fäule. Hier geht man u.a. der Frage nach, auf welchem Wege der Erreger die Kartoffeln krank macht und wie sich dessen Wirtspflanzen dagegen wehren.

Nach einem Wirkstoff gegen Phytophthora außerhalb der Pflanzen würde man bei der Bearbeitung dieser Fragestellungen nicht explizit suchen. „Aber: Wir hatten die Erreger und ihre Wirtspflanzen und auch die Erfahrung und das benötigte Equipment, um beide Organismen zu untersuchen“, konstatiert Frau Rosahl. „Und im Labor nebenan suchten die Chemiker nach biologisch aktiven Substanzen. Also lag es nahe, die isolierten Naturstoffe auf ihre Wirkung auf Phytophthora zu überprüfen.“ Der Blick über die Grenzen der eigenen Laborbank brachte den erwünschten Erfolg, der jüngst im Journal of Agricultural and Food Chemistry (J. Agric. Food Chem. 2009, 57, 9607-9612) publiziert wurde. Dieser interdisziplinäre Ansatz, das Spezialwissen aus verschiedenen Richtungen unter einem Dach zu vereinen, ist seit seiner Gründung ein Markenzeichen des IPB und sorgt bis heute für beachtliche Ergebnisse von internationalem Rang.

Hintergrund:
Das Leibniz-Institut für Pflanzenbiochemie wurde 1958 als Forschungsstätte der Aka-demie der Wissenschaften der DDR von dem berühmten Pharmazeuten Kurt Mothes gegründet. Nach der Wende wurde es als außeruniversitäre Forschungseinrichtung in die Reihe der sogenannten Blaue-Liste-Institute aufgenommen, aus denen später die Leibniz-Gemeinschaft hervorging. Bis heute ist das Institut eine renommierte Forschungseinrichtung auf dem Gebiet der Pflanzenforschung. Am IPB gibt es vier wissenschaftliche Abteilungen: Natur- und Wirkstoffchemie, Stress- und Entwicklungsbiologie, Sekundärstoffwechsel sowie die Abteilung Molekulare Signalverarbeitung. Zurzeit arbeiten etwa 180 Beschäftigte, darunter 100 Wissenschaftler, am Institut.

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