Zitternde Hände und ein molekularer Handschlag

Das erst vor kurzem beschriebene Fragile X Tremor/Ataxie Syndrom (FXTAS) ist eine der häufigsten erblichen neurodegenerativen Krankheiten. Man geht davon aus, dass die Krankheit durch einen Mangel an dem Protein Pur-alpha ausgelöst wird, welches für die normale Nervenfunktion unerlässlich ist.

Nun ist es Strukturbiologen um Dr. Dierk Niessing vom Helmholtz Zentrum München und dem Genzentrum der Ludwigs-Maximilians-Universtität (LMU) München gelungen, die Röntgenkristallstruktur von Pur-alpha zu entschlüsseln (PNAS, 21. Oktober 2009) und somit Einblicke in die molekulare Funktionsweise dieses Proteins zu gewinnen und damit Ansatzpunkte für Therapien zu bieten.

Bei den meist männlichen FXTAS-Patienten treten die Symptome etwa ab dem 55. Lebensjahr auf. Dabei führt das sich fortschreitend verstärkende Nervenleiden zu einem Zittern der Hände (Tremor) und zu Gleichgewichtsstörung sowie Fallneigung beim Gehen (Ataxie). Häufig wird auch eine Beeinträchtigung der kognitiven Fähigkeiten und Demenz beobachtet.

Ursache des FXTAS ist eine Mutation im FMRP-Gen. Diese tritt ungefähr bei einem von 800 Männern auf. Dabei zeigen sich abnorm verlängerte Wiederholungen der Basensequenz CGG: Gesunde Menschen haben 5 bis 54 dieser Wiederholungen, FXTAS-Träger haben 55 bis 200. Bei einer weiteren Verlängerung mit über 200 Wiederholungen tritt schließlich das Fragile X -Syndrom (FXS) auf, welches nach dem Down-Syndrom die zweithäufigste Ursache erblicher geistiger Behinderung ist. FXTAS wird durch einen Mangel an dem Protein Pur-alpha ausgelöst: das Protein bindet an die CGG-Sequenzen der Boten-RNA (mRNA). Weil durch die abnorme Zahl der Wiederholungen viel mehr Pur-alpha gebunden wird. steht es nicht mehr für seine normale zelluläre Funktion zur Verfügung.

Wie die Forscher in der Online „Early Edition“ der Fachzeitschrift „Proceedings of the National Academy of Sciences USA“ (PNAS) jetzt berichten, besteht das Pur-alpha aus drei sich wiederholenden Einheiten, den PUR-Repeats. „Die Kristallstruktur von Pur-alpha ermöglicht ein tieferes Verständnis der Funktionsweise des Proteins und könnte zur Entwicklung einer Therapie gegen FXTAS beitragen“, sagt Dierk Niessing, der eine gemeinsam vom Helmholtz Zentrum München, der Helmholtz-Gemeinschaft und dem Genzentrum der LMU geförderte Nachwuchsgruppe leitet. „Derzeit ist nur eine Linderung der Symptome, aber keine Behandlung der Ursachen möglich.“

„Ein PUR-Repeat sieht wie eine Hand aus – das aus vier Strängen bestehende Beta-Faltblatt entspricht den vier Fingern und die Alpha-Helix ähnelt einem Daumen“, erklärt Almut Graebsch aus der Arbeitsgruppe Niessing. Zwei PUR-Repeats binden dabei auf eine ganz bestimmte, einem molekularen Händedruck gleichende Weise aneinander und formen so eine funktionelle Einheit. Die Forscher ergänzten ihre Röntgenstrukturanalyse mit einer weiteren Technik, dem sogenannten Small Angle X-Ray Scattering, und fanden heraus, dass Pur-alpha Dimere bildet, also immer zwei Protein-Moleküle aneinander binden. Deren Entstehung verläuft wahrscheinlich über einen sehr ähnlichen molekularen Händedruck wie die Bindung der PUR-Repeats aneinander.

Im Tierversuch konnte gezeigt werden, dass die FXTAS-Symptome verschwinden, wenn zusätzliches Pur-alpha zugegeben wird. „Vielleicht ist FXTAS heilbar, wenn man die Bindung von Pur-alpha an die Wiederholungen der Wiederholungen der Basensequenz CGG der mRNA verhindern kann“, sagt Niessing. Erste Hinweise, welche Aminosäuren von Pur-alpha an der Bindung beteiligt sind, konnte die Arbeitsgruppe bereits durch Mutationsstudien finden. Im nächsten Schritt wollen die Forscher im Detail aufklären, wie Pur-alpha an die RNA bindet. Mit diesem Wissen könnten die krank machenden Interaktionen verhindert werden.

Weitere Informationen

Publikation:

Almut Graebsch, Stephane Roche, and Dierk Niessing: Pur-alpha like proteins are members of the Whirly class of nucleic acid binding proteins.

Proc. Natl. Acad. Sci. USA, In press – Direct Submission.

Über das Helmholtz Zentrum München

Das Helmholtz Zentrum München ist das deutsche Forschungszentrum für Gesundheit und Umwelt. Als führendes Zentrum mit der Ausrichtung auf Environmental Health erforscht es chronische und komplexe Krankheiten, die aus dem Zusammenwirken von Umweltfaktoren und individueller genetischer Disposition entstehen. Das Helmholtz Zentrum München beschäftigt rund 1680 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Der Hauptsitz des Zentrums liegt in Neuherberg im Norden Münchens auf einem 50 Hektar großen Forschungscampus. Das Helmholtz Zentrum München gehört der größten deutschen Wissenschaftsorganisation, der Helmholtz-Gemeinschaft an, in der sich 16 naturwissenschaftlich-technische und medizinisch-biologische Forschungszentren mit insgesamt 26500 Beschäftigten

zusammengeschlossen haben.

Im Institut für Strukturbiologie werden mit Hilfe der NMR-Spektroskopie und Röntgenstrukturananalyse Raumstrukturen verschiedener biologisch relevanter Proteine und Nukleinsäuren aufgeklärt und deren Verhalten in Lösung untersucht. In Kombination mit biochemischen Experimenten gibt die dreidimensionale Struktur eines Proteins Einblick in die molekularen Grundlagen der biologischen Funktion. Dazu sollen auch NMR-Methoden so optimiert werden, dass gerade auch größere Proteine und Proteinkomplexe (bestehend aus mehreren Untereinheiten) untersucht werden können.

Über das Das Genzentrum der LMU

Das Genzentrum der Universität München verbindet interdisziplinäre Forschung und Lehre in Schlüsselgebieten der modernen Biologie. Das Ziel der Forschung ist es, mechanistischen Einblick in die Funktionen der Zelle und der Organismen in normalen und pathologischen Zuständen zu erhalten. Die Forschungsrichtung ist dabei die Genregulation und beinhaltet Strukturbiologie, molekulare Zellbiologie, Genetik, Entwicklungsbiologie und Virologie. Modernste Techniken und Modellorganismen werden genutzt um die molekularen Mechanismen in den zugrundeliegenden biologischen Prozessen zu enträtseln.

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