Zell-Entwicklung auf Knopfdruck

Schematische Darstellung einer Polymerbürste. Oben: Nur die Molekülketten der abstoßenden Polymerart sind ausgestreckt, die Partikel bleiben auf Abstand. Unten: Die Umgebungsbedingungen wurden verändert, die Molekülketten der anziehenden Polymerart strecken sich und die Partikel können an ihr haften bleiben.<br><br>Grafik: ISAS, alle Rechte frei<br>

Oberflächen, die auf Kommando ihre Eigenschaften ändern – das klingt zunächst nach einer netten Spielerei. Doch ein amerikanisch-deutsches Forscherteam mit Beteiligung des Leibniz-Instituts für Analytische Wissenschaften (ISAS) hat große Pläne für die so genannten „schaltbaren Polymerbürsten“:

Sie wollen smarte Oberflächen entwickeln, die eines Tages in der Stammzellforschung eingesetzt werden können, um Zellen zu stimulieren und ihre Entwicklung zu kontrollieren. Dazu haben die Wissenschaftler ein Projekt bei der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) eingeworben, das Anfang Mai gestartet ist. Am 4. Mai traf sich das Konsortium zu einem Kick-off-Meeting.

Die schaltbaren Bürsten bestehen aus langkettigen Molekülen – so genannten Polymeren –, die auf einer Oberfläche befestigt sind und wie die Borsten einer Bürste nebeneinander stehen. Je nach Art des Polymers können sie verschiedene Stoffe binden oder abstoßen, und sie können ihre Eigenschaften verändern, wenn sich die Umgebungsbedingungen verändern. So gibt es zum Beispiel pH-empfindliche Polymere, die in saurer Umgebung eine wasserabweisende Form annehmen und bei steigendem pH-Wert auf „wasserliebend“ umschalten. Diese einfachen Polymerbürsten wurden bereits vor einigen Jahren entwickelt und seither intensiv untersucht. „Mit ihnen kann man zum Beispiel Proteine binden und auf Kommando wieder von der Oberfläche lösen. Denkbare Anwendungen dafür wären etwa einfache Biosensoren“, meint Dr. Karsten Hinrichs vom ISAS, der für die optische Analyse der Polymerbürsten zuständig ist.
Doch das Potenzial, das in der Entwicklung steckt, ist mit solchen Anwendungen noch lange nicht ausgeschöpft. Das Wissenschaftlerteam (neben dem ISAS sind beteiligt: die Clarkson University in Potsdam, New York, die Clemson University in Clemson, South Carolina, die University of California in Davis, Kalifornien, die TU Dresden, die Universität Göttingen sowie das Leibniz-Institut für Polymerforschung in Dresden) will komplexe Bürsten entwickeln, die zwischen mehr als nur zwei Zuständen umschalten können. Dank einer Mischung aus verschiedenen Polymeren, die gezielt bestimmte Moleküle anbieten können, sollen Oberflächen entstehen, die die einzelnen Stufen der Stammzellentwicklung unterstützen und stimulieren. Die Polymere könnten im richtigen Moment die Substanzen an der Oberfläche präsentieren, die für den nächsten Entwicklungsschritt der Zellen benötigt werden. „Das würde es uns auch erlauben, die zeitlichen Effekte von Wachstumsfaktoren auf die Stammzell-Differenzierung zu untersuchen“, erklären die Forscher.

Ein erster Schritt in Richtung komplexer Polymerbürsten ist bereits gemacht: Die Wissenschaftler haben eine so genannte binäre Bürste mit zwei verschiedenen Polymertypen entwickelt, die nicht einfach nur von wasserliebend auf wasserabweisend umschaltet, sondern dabei graduell reguliert werden kann. So können sie kontrollieren, wie stark Moleküle an der Bürste haften.

In den kommenden Jahren will das Team nun mit verschiedenen Polymermaterialien experimentieren, die auf unterschiedliche Stimuli reagieren, um die Bürsten umzuschalten: etwa mit Temperatur, Magnetfeld oder elektrischen Signalen. Außerdem soll mit den unterschiedlichen Polymeren getestet werden, wie man die benötigten Wachstumsfaktoren am besten binden und an der Oberfläche exponieren kann. Ergänzt werden diese Experimente durch kinetische Studien und theoretische Modelle. Die beteiligten Arbeitsgruppen bilden ein interdisziplinäres Netzwerk: Während das Leibniz-Institut für Polymerforschung (IPF), die Clemson University und die Clarkson University die verschiedenen Bürstensysteme entwickeln und die Universität Göttingen die theoretischen Modelle erstellt, übernimmt das ISAS die Analyse der Oberflächen mit Hilfe von Eigenentwicklungen im Bereich der Infrarotspektroskopie und -ellipsometrie, mit denen die Bürsten in wässriger Umgebung untersucht werden können.

Anfang Mai haben die Arbeiten im Rahmen des Projekts „Switchable Polymer Interfaces for Bottom-up Stimulation of Mammalian Cells“ begonnen. Das Projekt wird drei Jahre lang gefördert und vom IPF in Dresden koordiniert.

Hintergrundinfos:

Bereits veröffentlichte Forschungsergebnisse zu den Polymerbürsten sind zu finden in:

Hoy, O.; Zdyrko, B.; Lupitsky, R.; Sheparovych, R.; Aulich, D.; Wang, J.; Bittrich, E.; Eichhorn, K.; Uhlmann, P.; Hinrichs, K.; Müller, M.; Stamm, M.; Minko, S.; Luzinov, I.: Synthetic Hydrophilic Materials with Tunable Strength and a Range of Hydrophobic Interactions (Advanced Functional Materials 2010, 20, 2240-2247)

Hinrichs, K.; Aulich, D.; Ionov, L., Esser N., Eichhorn K.-J., Motornov, M.; Stamm, M. and Minko S.: Chemical and Structural Changes in pH-Responsive Mixed Polyelectrolyte Brush Studied by Infrared Ellipsometry (Langmuir 2009, 25,1445-1452)

Aulich, D.; Hoy, O.; Luzinov, I.; Brücher, M.; Hergenröder, R.; Bittrich, E.; Eichhorn, K.-J.; Uhlmann, P.; Stamm, M.; Esser, N.; Hinrichs, K.: In situ studies on the switching behavior of ultrathin poly(acrylic acid) polyelectrolyte brushes in different aqueous environments (Langmuir 26 (2010) 12926-12932)

ISAS und IPF sind Mitglieder der Leibniz-Gemeinschaft, zu der zurzeit 87 Forschungsinstitute und wissenschaftliche Infrastruktureinrichtungen für die Forschung sowie zwei assoziierte Mitglieder gehören. Die Ausrichtung der Leibniz-Institute reicht von den Natur-, Ingenieur- und Umweltwissenschaften über die Wirtschafts-, Sozial- und Raumwissenschaften bis hin zu den Geisteswissenschaften. Leibniz-Institute arbeiten strategisch und themenorientiert an Fragestellungen von gesamtgesellschaftlicher Bedeutung. Bund und Länder fördern die Institute der Leibniz-Gemeinschaft daher gemeinsam. Die Leibniz-Institute beschäftigen etwa 16.800 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, davon sind ca. 7.800 Wissenschaftler, davon wiederum 3.300 Nachwuchswissenschaftler.

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Tinka Wolf Leibniz-Institut

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