Wirkungsweise von Krebsmedikament entschlüsselt

Wissenschaftler vom Deutschen Krebsforschungszentrum und vom Universitätsklinikum Heidelberg fanden nun heraus, dass die Medikamente in den Tumorzellen die Produktion eines krebshemmenden RNA-Moleküls ankurbeln und so das bösartige Wachstum der Tumorzellen bremsen.

Neuroblastome, Tumoren des Kindesalters, entstehen aus Zellen des embryonalen Nervensystems. Die Erkrankungen verlaufen extrem unterschiedlich, sie können sich spontan zurückbilden, aber auch einen tödlichem Ausgang nehmen. Die besonders aggressiven Tumoren sind durch eine bis zu hundertfache Vervielfältigung des Krebsgens MYCN gekennzeichnet.

Seit einigen Jahren setzen Ärzte gegen verschiedene Krebserkrankungen Wirkstoffe ein, die die Aktivität der HDAC-Enzyme hemmen, sogenannte HDAC-Inhibitoren. In der Kulturschale und in tumortragenden Mäusen wirken diese Medikamente auch gegen das Neuroblastom. Unter der Leitung von Dr. Hedwig Deubzer untersuchte nun eine Gruppe von Wissenschaftlern im Deutschen Krebsforschungszentrum und im Universitätsklinikum Heidelberg, auf welche zellulären Strukturen der Neuroblastomzellen die Medikamente genau wirken. „Nur etwa 20 bis 40 Prozent der Patienten mit einem Hochrisiko-Neuroblastom überleben die Erkrankung langfristig. Daher müssen wir dringend bessere Behandlungen gegen diese aggressive Form der Erkrankung finden. Um die Wirksamkeit von Medikamenten zu verbessern, ist es extrem wichtig, dass wir genau verstehen, wo sie in der Zelle ansetzen“, sagt die Kinderärztin.

Die Heidelberger Forscher untersuchten, ob sich die HDAC-Inhibitoren auf die so genannten mikro-RNAs auswirken, kleine Steuermoleküle, die in der Zelle vielfältige Funktionen ausüben. Tatsächlich führte der Wirkstoff zu einem deutlich veränderten mikro-RNA-Profil. „Vor allem steigerten die Medikamente die Produktion der mikro-RNA 183“, berichtet Dr. Marco Lodrini, Erstautor der Arbeit.

Um herausfinden, ob die mikro-RNA 183 tatsächlich das bösartige Verhalten des Neuroblastoms beeinflusst, steigerten die Forscher in den Krebszellen experimentell die Produktion des kleinen RNA-Moleküls. Daraufhin lösten die Zellen das Todesprogramm Apoptose aus und wuchsen außerdem nach Übertragung auf Mäuse nicht mehr zu Tumoren aus. „Das entspricht der Wirkung, die wir auch mit den HDAC-Inhibitoren erzielen“, erklärt Hedwig Deubzer.

In jeder Zelle gibt es 18 verschiedene HDAC-Enzyme. Unterdrücken sie alle gleichermaßen die Produktion der mikro-RNA183? Um diese Frage zu beantworten, schalteten die Forscher in Neuroblastom-Zellen mit molekularbiologischen Methoden systematisch die einzelnen Vertreter der Enzymfamilie aus. Anschließend beobachteten sie den Effekt auf die mikro-RNA 183-Produktion. Eine Blockade von HDAC2 allein erzielte eine ähnliche Wirkung wie das Medikament, dass die gesamte Enzymfamilie ausschaltet.

HDAC2 ist also offensichtlich aktiv daran beteiligt, die krebshemmende mikro-RNA 183 in Neuroblastomzellen zu unterdrücken – aber nicht allein verantwortlich: „Offenbar tun sich das Krebsgen MYCN und HDAC2 zusammen, um den Schalter des Gens für mikro-RNA183 lahmzulegen“, erklärt die Wissenschaftlerin und ergänzt: „Das Ergebnis sagt aber nicht aus, dass ein selektiver Hemmstoff gegen HDAC2 das bessere Krebsmedikament wäre. Denn die anderen Mitglieder der HDAC-Familie tragen möglicherweise auch zum bösartigen Verhalten des Neuroblastoms bei.“ Die Abteilung von Professor Olaf Witt im Deutschen Krebsforschungszentrum arbeitet seit einigen Jahren an der Frage, wie HDAC-Enzyme die die Bösartigkeit der Krebszellen fördern.

Offenbar beeinflussen die verschiedenen Mitglieder der HDAC-Familie das Krebsgeschehen auf ganz unterschiedliche Weise. Die Heidelberger Kinderonkologen um Olaf Witt und Hedwig Deubzer sind besonders daran interessiert, die genaue Wirkungsweise dieser Medikamente zu verstehen: Seit einem Jahr prüfen sie in einer klinischen Studie, ob HDAC-Inhibitoren Kindern mit fortgeschrittenen Krebserkrankungen helfen können.

Marco Lodrini, Ina Oehme, Christina Schroeder, Till Milde, Marie C. Schier, Annette Kopp-Schneider, Johannes H. Schulte, Matthias Fischer, Katleen De Preter, Filip Pattyn, Mirco Castoldi, Martina U. Muckenthaler, Andreas E. Kulozik, Frank Westermann, Olaf Witt und Hedwig E. Deubzer: MYCN and HDAC2 cooperate to repress miR-183 signaling in neuroblastoma. Nucleic Acid Research 2013, DOI: 10.1093/nar/gkt346

Das Deutsche Krebsforschungszentrum (DKFZ) ist mit mehr als 2.500 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern die größte biomedizinische Forschungseinrichtung in Deutschland. Über 1000 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler erforschen im DKFZ, wie Krebs entsteht, erfassen Krebsrisikofaktoren und suchen nach neuen Strategien, die verhindern, dass Menschen an Krebs erkranken. Sie entwickeln neue Methoden, mit denen Tumoren präziser diagnostiziert und Krebspatienten erfolgreicher behandelt werden können. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Krebsinformationsdienstes (KID) klären Betroffene, Angehörige und interessierte Bürger über die Volkskrankheit Krebs auf. Gemeinsam mit dem Universitätsklinikum Heidelberg hat das DKFZ das Nationale Centrum für Tumorerkrankungen (NCT) Heidelberg eingerichtet, in dem vielversprechende Ansätze aus der Krebsforschung in die Klinik übertragen werden. Im Deutschen Konsortium für Translationale Krebsforschung (DKTK), einem der sechs Deutschen Zentren für Gesundheitsforschung, unterhält das DKFZ Translationszentren an sieben universitären Partnerstandorten. Die Verbindung von exzellenter Hochschulmedizin mit der hochkarätigen Forschung eines Helmholtz-Zentrums ist ein wichtiger Beitrag, um die Chancen von Krebspatienten zu verbessern. Das DKFZ wird zu 90 Prozent vom Bundesministerium für Bildung und Forschung und zu 10 Prozent vom Land Baden-Württemberg finanziert und ist Mitglied in der Helmholtz-Gemeinschaft deutscher Forschungszentren.

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