Speziell beschichtetes Titan verringert Blutgerinnselgefahr auf Prothesen

Die kristallografische Ausrichtung und damit die Anordnung der Oberflächenatome bestimmen die Oberflächenenergie und die Benetzbarkeit des Materials und steuern die zelluläre Reaktion auf blutberührende Biomaterialien. Die Abbildung, die auch das Cover der Fachzeitschrift schmückt, zeigt eine von der kristallografischen Orientierung abhängige Fibrinogenkonformation auf der TiO2-Oberfläche (Titan- und Sauerstoffatome als blaue und gelbe Kugeln markiert) und ihre Auswirkungen auf die Thrombozytenadhäsion und -aktivierung. Der unterschiedliche Aktivierungszustand zeigt sich in der Morphologie der Blutplättchen (nicht aktiv: scheibenförmige und aktiv: gespreizte Zellen). Das unterschiedliche Verhalten der Thrombozyten deutet auf die Möglichkeit hin, das Thromboserisiko auf Implantaten zu minimieren, indem man die entsprechende kristallographische Ausrichtung der Materialoberfläche anpasst.
Abbildung: Maja Struczynska

Ein internationales Forschungsteam unter Leitung der Universität Jena hat einen vielversprechenden Ansatz entwickelt, die Blutgerinnung auf dem Herzklappenmaterial Titan wesentlich zu reduzieren. Auf sogenannten (110)-Titanoxid-Oberflächen sind die Blutplättchen kaum aktiv, was die Blutgerinnung reduziert. Die Ursache hierfür liegt in dem unterschiedlichen Verhalten von Fibrinogen auf den Materialoberflächen.

Etwa 25.000-mal im Jahr werden Menschen in Deutschland künstliche Herzklappen eingesetzt, weil die natürlichen Herzklappen – etwa durch eine Infektion – geschädigt sind. Die mechanischen Herzklappen bestehen u. a. aus Titanoxid und halten viele Jahre. Weil Blut dazu neigt, im Kontakt mit diesen Materialoberflächen zu gerinnen, besteht jedoch die Gefahr, dass sich auf der Oberfläche der mechanischen Herzklappen Blutgerinnsel bilden. Das kann lebensbedrohlich werden, wenn sich diese Blutgerinnsel von den Materialien lösen. Deshalb nehmen die meisten Menschen mit mechanischen Herzklappen ein Leben lang Medikamente, die die Blutgerinnung reduzieren.

Einen vielversprechenden Ansatz, die Blutgerinnung auf dem Herzklappen-material Titan wesentlich zu reduzieren, hat jetzt ein internationales Forschungsteam entwickelt. Die Ergebnisse des Teams von den Universitäten Jena, Leipzig und Illinois Urbana-Champaign (USA) unter Leitung des Jenaer Materialwissenschaftlers Professor Klaus D. Jandt sind jetzt in der Fachzeitschrift Advanced Healthcare Materials veröffentlicht worden. Das Journal würdigt die Bedeutung und das Potenzial dieser Entdeckung auch dadurch, dass sie auf dem Titel der aktuellen Ausgabe abgebildet ist.

Aktivität der Blutplättchen verändert sich je nach Materialbeschichtung

Die Forschenden ließen auf Titanoxid mit kristallografisch verschieden orientierten Oberflächen das Blutprotein Fibrinogen abscheiden. Anschließend wurden die so beschichteten Materialoberflächen Blutplättchen (Thrombozyten) ausgesetzt, deren Aktivität zusammen mit Fibrinogen eine entscheidende Rolle bei der Bildung von Blutgerinnseln spielt. Dabei zeigten sich auf den verschieden orientierten Materialoberflächen deutliche Unterschiede der Aktivität von Blutplättchen. „Während auf sogenannten (001)-Titanoxid-Oberflächen die Blutplättchen sehr aktiv sind und damit die Blutgerinnung fördern, haben wir den gegenteiligen Effekt auf (110)-Oberflächen gefunden“, sagt die Jenaer Doktorandin Maja Struczynská. „Die Ursache hierfür liegt in dem unterschiedlichen Verhalten von Fibrinogen auf den Materialoberflächen“.

„Der Mechanismus für diesen Effekt ist physikalischer Natur,“ sagt Prof. Jandt und ergänzt für die Fachleute: „Fibrinogen nimmt eine bestimmte Faltung auf der hydrophoberen (110)-Fläche mit niedriger Oberflächenenergie an, was wiederum die Zugänglichkeit der von Blutplättchen erkannten primären Aminosäuresequenzen einschränkt und somit ihre Anhaftung minimiert.“ Jandt sieht ein enormes Potenzial darin, diese Materialien bei Herzklappen anzuwenden – dies verringere das Risiko der Blutgerinnselbildung und der damit verbundenen Komplikationen und schone so die Betroffenen.

Wissenschaftliche Ansprechpartner:

Prof. Dr. Klaus D. Jandt
Otto-Schott-Institut für Materialforschung der Friedrich-Schiller-Universität Jena
Löbdergraben 32, 07743 Jena
Tel.: 03641 / 947730
E-Mail: k.jandt@uni-jena.de

Originalpublikation:

Maja Struczynska, Izabela Firkowska-Boden, Nathan Levandovsky, Reinhard Henschler, Nour Kassir, and Klaus D. Jandt: How Crystallographic Orientation-Induced Fibrinogen Conformation Affects Platelet Adhesion and Activation onTiO2, Advanced Healthcare Materials 2023, DOI: 10.1002/adhm.20220250

https://www.uni-jena.de/230519-beschichtete-herzklappen

Media Contact

Axel Burchardt Abteilung Hochschulkommunikation/Bereich Presse und Information
Friedrich-Schiller-Universität Jena

Alle Nachrichten aus der Kategorie: Materialwissenschaften

Die Materialwissenschaft bezeichnet eine Wissenschaft, die sich mit der Erforschung – d. h. der Entwicklung, der Herstellung und Verarbeitung – von Materialien und Werkstoffen beschäftigt. Biologische oder medizinische Facetten gewinnen in der modernen Ausrichtung zunehmend an Gewicht.

Der innovations report bietet Ihnen hierzu interessante Artikel über die Materialentwicklung und deren Anwendungen, sowie über die Struktur und Eigenschaften neuer Werkstoffe.

Zurück zur Startseite

Kommentare (0)

Schreiben Sie einen Kommentar

Neueste Beiträge

KI-basierte Software in der Mammographie

Eine neue Software unterstützt Medizinerinnen und Mediziner, Brustkrebs im frühen Stadium zu entdecken. // Die KI-basierte Mammographie steht allen Patientinnen zur Verfügung und erhöht ihre Überlebenschance. Am Universitätsklinikum Carl Gustav…

Mit integriertem Licht zu den Computern der Zukunft

Während Computerchips Jahr für Jahr kleiner und schneller werden, bleibt bisher eine Herausforderung ungelöst: Das Zusammenbringen von Elektronik und Photonik auf einem einzigen Chip. Zwar gibt es Bauteile wie MikroLEDs…

Antibiotika: Gleicher Angriffspunkt – unterschiedliche Wirkung

Neue antimikrobielle Strategien sind dringend erforderlich, um Krankheitserreger einzudämmen. Das gilt insbesondere für Gram-negative Bakterien, die durch eine dicke zweite Membran vor dem Angriff von Antibiotika geschützt sind. Mikrobiologinnen und…

Partner & Förderer