Röntgenstrahlen: Wie lassen sich gesunde Zellen schützen?

Eine gesunde Leber ist unempfindlicher gegen ionisierende Strahlung als bisher angenommen. Allerdings ändert sich diese Eigenschaft, sobald zusätzlich belastende Medikamente verabreicht werden. Dies ist das bisher wichtigste Ergebnis eines interdisziplinären Forschungsprojekts an der Universitätsmedizin Göttingen.

Dabei arbeiten Forscher der Abteilung Strahlentherapie und Radioonkologie (Direktor: Prof. Dr. Dr. Clemens F. Hess) und der Abteilung Gastroenterologie und Endokrinologie (Direktor: Prof. Dr. Giuliano Ramadori) eng zusammen. Die Deutsche Krebshilfe (DKH) unterstützt die Arbeiten für weitere zwei Jahre mit rund 166.000 Euro. Damit hat die DKH das Projekt seit 2005 mit insgesamt 289.000 Euro unterstützt. Die Göttinger Mediziner untersuchen die Auswirkungen von Röntgenstrahlen auf gesunde Zellen und Tumorzellen in Leber, Magen und Darm. Sie wollen zum einen genauere Erkenntnisse über mögliche Schädigungen der Leber durch Strahlenbehandlungen gewinnen. Ein weiteres, wichtiges Ziel der Forschung ist: Es werden Ansatzpunkte für neue Behandlungsstrategien gesucht, die gesunde Zellen vor Strahlen schützen können.

Seit dem Jahr 2002 beschäftigen sich die Forscher der Universitätsmedizin Göttingen mit bisher nicht erforschten Nebenwirkungen hochenergetischer Röntgenstrahlen. Diese Strahlen werden gegen bösartige Tumoren eingesetzt und gehören damit zur Standardtherapie bei Prostatakrebs, Brust- oder Enddarmkrebs. Ziel des Krebsforschungs-Projekts ist es, die Auswirkungen von Röntgenstrahlen auf normales, also „gesundes“ Gewebe zu untersuchen. Denn Röntgenstrahlen wirken nicht nur direkt am Tumor, sondern auch in den benachbarten Körperregionen. Die Reichweite der Strahlen führt z.B. vom bestrahlten Bauchraum aus bis ins Knochenmark. Die Forscher der Universitätsmedizin Göttingen wollen wissen, welche biologischen Prozesse dabei ablaufen. Die Erkenntnisse über die molekularen Vorgänge sollen die Grundlage liefern, zukünftig Schutzmechanismen für das gesunde Gewebe zu entwickeln. Die Hoffnung der Mediziner: So könnten sich auch weitere Anwendungsmöglichkeiten der Tumortherapie, zum Beispiel für Lebertumoren, erschließen lassen.

Erste Ergebnisse lassen Folgendes vermuten: Verursachen Röntgenstrahlen früh festzustellende Gewebeschädigungen, spielt die Kommunikation zwischen verschiedenen Zellen über bestimmte Botenstoffe – so genannte Cyto- und Chemokine – eine wichtige Rolle. Es zeigte sich auch, dass eine Bestrahlung nur einen geringen Teil der Leberzellen abtötet. In den anderen Leberzellen wirken die Strahlen auf die Erbsubstanz und auf die so genannte Genexpression und verändern diese: Auf molekularer Ebene werden in der Zelle verschiedenste molekulare Abläufe ein- und ausgeschaltet. „Es sieht so aus, dass die Strahlung auf solche Gene wirkt, die unter anderem den Stoffwechsel in der Leber und das blutbildende System beeinflussen“, sagt Professor Clemens Hess, Direktor der Abteilung Strahlentherapie und Radioonkologie.

Weiterführende experimentelle Ergebnisse der Arbeitsgruppe weisen darauf hin, dass Strahlen nicht nur im behandelten Organ wirken: Wird beispielsweise die Lunge bestrahlt, kann dies auch räumlich weiter entfernte Organe, wie die Leber, beeinflussen.

Zu den Auswirkungen von Röntgenstrahlen auf die Leber hat die Forschergruppe neben experimentellen Daten auch erste klinische Studien ausgewertet. Danach kommt es nach Strahlentherapie in der Leber zu Veränderungen der Genexpression. Diese traten auch dann auf, wenn die Strahlung nicht direkt auf das Organ gerichtet war: Bei Patienten, die wegen eines Prostatakarzinoms im Bereich des Beckens bestrahlt wurden, konnten ebenfalls Veränderungen in der Leber nachgewiesen werden. „Diese indirekten Auswirkungen ionisierender Strahlung über Botenstoffe auf die Leber könnten von großer klinischer Bedeutung sein,“ sagt Prof. Giuliano Ramadori, Direktor der Abteilung Gastroenterologie und Endokrinologie. „Denn bei einer kombinierten Radiochemotherapie spielen auch Stoffwechselvorgänge in der Leber eine wichtige Rolle.“

Die bisher gewonnenen Erkenntnisse über die Auswirkungen der Strahlentherapie nutzt die Arbeitsgruppe, um neue Behandlungsstrategien gegen Krebszellen zu entwickeln. Das Ziel dieser Forschung sollen neue Therapien sein, die Tumorzellen gezielt bekämpfen, gleichzeitig aber normales und gesundes Gewebe schonen. Die Forscher der Universitätsmedizin Göttingen kombinieren im Experiment deshalb Röntgenstrahlung mit speziellen Botenstoffen, den Cyto- und Chemokinen. Diese Botenstoffe sollen die gesunden Gewebezellen vor Strahlung schützen, Tumorzellen hingegen aber empfänglicher machen.

Die bisherigen Ergebnisse der Arbeitsgruppe wurden bereits in mehreren wissenschaftlichen Aufsätzen in renommierten Fachjournalen veröffentlicht und von anderen Arbeitsgruppen bestätigt. „Die weitere Förderung durch die Deutsche Krebshilfe erlaubt uns, das bisher erfolgreiche Forschungsprojekt weiterzuführen“, sagt Privatdozent Dr. Hans Christiansen. Weitere Ergebnisse des Krebsforschungsprojekts sollen Krebs-Patienten schon bald in der täglichen Klinikroutine zu Gute kommen.

WEITERE INFORMATIONEN:
Universitätsmedizin Göttingen, Georg-August-Universität
Abteilung Strahlentherapie und Radioonkologie
Direktor: Prof. Dr. Dr. Clemens F. Hess
PD Dr. Hans Christiansen
Telefon 0551 / 39-6182
cfhess@med.uni-goettingen.de
hans.christiansen@medizin.uni-goettingen.de
Abteilung Gastroenterologie und Endokrinologie
Dierktor: Prof. Dr. Dr. h.c. Giuliano Ramadori
Telefon: 0551 / 39-6300
gramado@med.uni-goettingen.de
Robert-Koch-Straße 40, 37075 Göttingen

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