Ist die Riesenseerose Victoria eine Seerose? Neue Ergebnisse über die Evolution der Seerosen

Neue Forschungsergebnisse basierend auf DNA-Sequenzen und einer detaillierten Analyse morphologisch-anatomischer Befunde stellen dies jetzt in Frage.

In den nächsten Tagen werden die Ergebnisse in einem Sonderband der englischsprachigen Fachzeitschrift Taxon publiziert unter dem Titel „Nymphaeales – systematics and evolution of the water lily clade“. Mit diesem Sonderband wird der aktuelle Wissensstand über die Systematik und Evolution der Seerosenordnung Nymphaeales veröffentlicht.

Herausgeber des Sonderbandes und Mitautoren sind Prof. Dr. Thomas Borsch, Direktor des Botanischen Gartens und Botanischen Museums Berlin-Dahlem der Freien Universität Berlin und Dr. Pamela S. Soltis, Kuratorin am Naturkundemuseum der Universität von Florida/USA.

Victoria oder Nymphaea: Ist die Riesenseerose eine Seerose?
Die Einbeziehung aller der etwa 80 Arten der Ordnung Nymphaeales (Seerosenartige) in morphologische und molekulargenetische Analysen legt nahe, dass die Gattung Victoria erst im Miozän vor ca. 20 Mio. Jahren aus gemeinsamen Vorfahren der übrigen Seerosen Nymphaea entstanden ist. Ergebnisse einer Stammbaumrekonstruktion, für die etwa 8.000 Nukleotide der jeweiligen Seerosen-Arten sequenziert und analysiert wurden, sprechen für diese Hypothese. Die Evolution morphologischer Daten ist allerdings bisher noch nicht ganz verstanden. Je nachdem, welche Merkmale analysiert werden, bestätigt sich die Hypothese oder es wird ein Schwestergruppen-Verhältnis der Gattungen Nymphaea und Victoria gefunden. Grund für die schwierige Interpretation sind starke Konvergenzen (unabhängige Mehrfach-Entwicklungen) in der Blütenbiologie.

Verschiedene Seerosen, unter anderem Victoria, haben sich während ihrer Evolution an die Bestäubung durch Käfer angepasst. Würde sich die Hypothese der Abstammung von Victoria von Seerosen der Gattung Nymphaea behaupten, so bedeutet dieses, dass die Gattung Victoria nicht als eigene Gattung aufrecht zu erhalten ist. Es müsste dann eine Umbenennung der Arten zu Vertretern der Gattung Nymphaea erfolgen. Also würde die Riesenseerose tatsächlich eine Seerose sein. An der weiteren Klärung dieser spannenden Frage forscht jetzt das Team um Thomas Borsch am Botanischen Garten und Botanischen Museum Berlin-Dahlem.

Die Seerosen (Ordnung Nymphaeales) sind eine der ältesten Entwicklungslinien der Blütenpflanzen. Im Stammbaum der Blütenpflanzen zweigen sie direkt nach der urtümlichen neu-kaledonischen Amborella als zweiter Ast ab. Mit dieser frühen Abspaltung vor ca. 110 Mio. Jahren und der heute fast weltweiten Verbreitung sind die Nymphaeales eine Modellgruppe, an der wichtige Erkenntnisse über die frühe Evolution von Blütenpflanzen gewonnen werden. Seerosen haben in schrittweiser Anpassung an den aquatischen Lebensraum „schwimmen gelernt“. Eine bemerkenswerte Koevolution mit Bestäubern förderte die Evolution großer Blüten. Die Modellgruppe Nymphaeales erlaubt daher die Analyse von Evolutionsprozessen in Anpassung an neue Lebensräume in Raum und Zeit.

Seerosen sind heute auf der ganzen Welt beheimatete krautige Wasserpflanzen. Die größte Gattung ist Nymphaea mit ca. 50 Arten. Auch die nordhemisphärischen Mummeln (Nuphar) gehören mit einem Dutzend Arten zur Entwicklungslinie der Seerosen.

Riesenseerosen (Gattung Victoria) sind nur in Südamerika heimisch. Es sind nur zwei Arten bekannt: Victoria amazonica mit Hauptvorkommen im Amazonas und Orinoko und Victoria cruziana mit Hauptverbreitung im Rio Parana. Die meisten Botanischen Gärten zeigen den Besuchern die Riesenseerose Victoria in einem eigenen Gewächshaus: Die bis zu 2 Meter großen, kreisrunden Schwimmblätter sind eine Attraktion. Sie sind insbesondere durch ihre Stabilität bekannt, da sie bei gleichmäßiger Belastung bis zu 50 kg tragen können. Bilder von auf den Schwimmblättern der Riesenseerose sitzenden Kindern oder stehenden Erwachsenen sind weltberühmt. Die bis zu 30 cm großen Blüten von Victoria gehen an zwei aufeinanderfolgenden Nächten auf, zuerst weiß, dann rosa.

Entdeckt wurde Victoria im amazonischen Guayana Anfang des 19. Jahrhunderts. Sie wurde dann 1837 von dem Forschungsreisenden und Botaniker Richard Schomburgk zu Ehren der englischen Königin Victoria als Victoria regalis benannt. Kurz darauf beschrieb der französische Forschungsreisende Alcide d'Orbigny eine weitere Art, Victoria cruziana, aus dem heutigen Bolivien.

Artikel der Mitautoren des Botanischen Gartens und Botanischen Museums Berlin-Dahlem:

Borsch, T., Löhne, C. & Wiersema, J. H. (2008): Phylogeny and evolutionary
patterns in Nymphaeales: integrating genes, genomes and morphology. Taxon
57 (4): 1052 – 1081.
Löhne, C., Yoo, M.-J., Borsch, T., Wiersema, J. H., Wilde, V., Bell, C. D.,
Barthlott, W., Soltis, D. E. & Soltis, P. S. (2008): Biogeography of
Nymphaeales: Extant patterns and historical events. Taxon 57 (4): 1123-1146.
Weitere Auskünfte erteilen Ihnen gern:
Prof. Dr. Thomas Borsch, Tel. 030 / 838 50 133, E-Mail: direktor@bgbm.org
Dr. Cornelia Löhne, Tel. 030 / 838 50 135, E-Mail: c.loehne@bgbm.org
Botanischer Garten und Botanisches Museum Berlin-Dahlem, Freie Universität Berlin

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