Reiserouten expansiver Proteinpartikel

Nervenzellen unter dem Mikroskop: Vermehrung von Eiweißpartikeln von Zelle zu Zelle. Der Kontakt von Zellen, welche Eiweißpartikel produzieren (hier türkis gefärbt), führt in Nachbarzellen ebenfalls zu Ablagerungen desselben Proteins (grün gefärbt). In blau ist der Zellkern erkennbar. Quelle: J. Hofmann<br>

Bei Erkrankungen wie Alzheimer und Parkinson sammeln sich körpereigene Eiweißmoleküle im Gehirn an, was schließlich zum Absterben von Nervenzellen führt. Es wird angenommen, dass diese Partikel aus verformten Proteinen entlang miteinander verbundener Hirnregionen wandern und somit zur Krankheitsentwicklung beitragen. Nun beweisen neueste Laboruntersuchungen einer deutsch-amerikanischen Forschergruppe, dass bestimmte Eiweißpartikel sich tatsächlich vermehren und von Zelle zu Zelle fortzupflanzen können.

Die Studie wurde von Wissenschaftlern des Deutschen Zentrums für Neurodegenerative Erkrankungen (DZNE) in Bonn und München in Zusammenarbeit mit weiteren Forschern aus Deutschland und den USA durchgeführt. Die Ergebnisse sind jetzt im Fachjournal „PNAS“ (Proceedings of the National Academy of Sciences of the USA) erschienen.

Können Partikel aus deformierten Eiweißmolekülen vom Inneren einer Zelle in die nächste gelangen, sich vermehren und in einer Kettenreaktion immer weiter ausbreiten? Die Forscher um Ina Vorberg, Gruppenleiterin am Bonner Standort des DZNE und Professorin an der Universität Bonn, untersuchten diese Hypothese. Sie nutzten dafür Zellkulturen, was es ihnen ermöglichte, Experimente auf spezifische Fragen zuzuschneiden.
Die Wissenschaftler verwendeten Nervenzellen, die ursprünglich aus der Maus stammten und die sie im Labor kultivierten. In diese Zellen schleusten sie den Bauplan eines Modellproteins ein, wodurch sie die Produktion des Eiweißmoleküls gezielt steuern konnten.

Teilchen aus der Hefe
Die Wahl fiel auf ein bestimmtes Molekül aus dem Erbgut der Hefe, das zwar beim Menschen nicht vorkommt, aber Eigenschaften besitzt, die für die Studie relevant waren: Das Protein ist in seiner natürlichen Umgebung – der Hefezelle – in der Lage, sich zu großen Eiweißpartikeln (sogenannten Aggregaten) zusammen zu lagern, die sich innerhalb der Zelle vermehren. Das Protein nimmt dabei eine abnorme Gestalt an. Nun war die Frage, ob in der Zelle eines Säugetieres ein ähnlicher Vorgang stattfinden würde.

„Zunächst stellten unsere Mauszellen das Protein zwar her, aber es bildete keine Partikel“, berichtet Vorberg. „Dies änderte sich jedoch, wenn wir Eiweißaggregate desselben Proteins von außen zugaben. Plötzlich begann unser lösliches Protein in der Zelle zu verklumpen.“

Diffundierende Aggregate
War diese Reaktion einmal ausgelöst, produzierten die Zellen kontinuierlich neue Eiweißaggregate. Die Forscher stellten fest, dass diese Klumpen auch auf Nachbarzellen übergriffen und in diesen die Produktion der gleichen Aggregate in Gang setzten.

„Damit haben wir experimentell bewiesen, dass bestimmte Eiweißpartikel, die aus dem Zytosol, also aus dem Innenraum von Säugetierzellen stammen, sich vermehren und von Zelle zu Zelle ausbreiten können. Demnach gibt es bei Säugetieren Mechanismen, die eine solche Kettenreaktion grundsätzlich auslösen können. Was wir hier im Model gezeigt haben, könnte daher in ähnlicher Form bei neurodegenerativen Erkrankungen stattfinden“, kommentiert Vorberg die Ergebnisse.

Die Übertragung der Eiweißaggregate war am effektivsten, grenzten Zellen direkt aneinander. „Zumindest in unserem Modell werden die Proteinpartikel nicht effizient in die Umgebung abgegeben und von den Nachbarzellen aufgenommen. Die effektivste Übertragung geschieht über direkten Zellkontakt. Es könnte sein, dass eine Zelle Fortsätze ausbildet und die Aggregate über diese Verbindung von einer Zelle zur nächsten gelangen“, sagt die Neurowissenschaftlerin. Was hier geschieht, will ihr Team nun weiter untersuchen.

Grundlagen möglicher Therapien
„Es ist wichtig zu wissen, wie sich Eiweißpartikel verbreiten“, betont Vorberg. „Krankheitsrelevante Proteinpartikel könnten sich in ähnlicher Weise ausbreiten, wie das Modellprotein, das wir untersucht haben.“
Einblicke in den Mechanismus der Übertragung von einer Zelle zur nächsten könnten neue Behandlungsmethoden erschließen. „Finden wir einen Weg, um die Ausbreitung krankheitsrelevanter Eisweißklumpen zu verhindern, dann könnten wir möglicherweise auf das Voranschreiten der Erkrankung einwirken“, sagt Vorberg.

Originalveröffentlichung
„Cell-to-cell propagation of infectious cytosolic protein aggregates”, Julia P. Hofmann, Philip Denner, Carmen Nussbaum-Krammer, Peer-Hendrik Kuhn, Michael H. Suhre, Thomas Scheibel, Stefan F. Lichtenthaler, Hermann M. Schätzl, Daniele Bano, Ina M. Vorberg, PNAS, online unter: http://www.pnas.org/content/early/2013/03/15/1217321110.abstract

Das Deutsche Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen (DZNE) erforscht die Ursachen von Erkrankungen des Nervensystems und entwickelt Strategien zur Prävention, Therapie und Pflege. Es ist eine Einrichtung in der Helmholtz-Gemeinschaft Deutscher Forschungszentren mit Standorten in Berlin, Bonn, Dresden, Göttingen, Magdeburg, München, Rostock/Greifswald, Tübingen und Witten. Das DZNE kooperiert eng mit Universitäten, deren Kliniken und außeruniversitären Einrichtungen. Website: www.dzne.de

Pressekontakt
Prof. Dr. Ina M. Vorberg
Gruppenleiterin
DZNE, Bonn
Tel.: 0228/43302-560
E-Mail: ina.vorberg@dzne.de

Dr. Dirk Förger
Leiter Presse- und Öffentlichkeitsarbeit des DZNE
DZNE, Bonn
Tel.: 0228/43302-260
E-Mail: dirk.foerger@dzne.de

Media Contact

Sonja Jülich-Abbas idw

Weitere Informationen:

http://www.dzne.de

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