Nützlinge reagieren unterschiedlich auf Parasiten-Medikament

Der Stoff Ivermectin wird seit mehr als dreissig Jahren auf der ganzen Welt zur Bekämpfung von Parasiten wie Fadenwürmern, Läusen und Milben bei Menschen, Nutz- und Haustieren eingesetzt. Der Wirkstoff zählt zur chemischen Gruppe der Avermectine, die generell den Zelltransport stören und so die Schädlinge angreifen. Wird Ivermectin mit dem Kot der behandelten Tiere ausgeschieden, vernichtet er bei zu hoher Dosierung in kurzer Zeit auch Dung abbauende Nützlinge wie Dungkäfer und
-fliegen. Dadurch werden Funktionen des Ökosystems beeinträchtigt: Im Extremfall kann der Dung gar nicht mehr abgebaut werden und die Weide wird zerstört.

Empfindlichkeit gegenüber Ivermectin variiert stark
Ungefähr seit 2000 verlangen daher die Behörden vieler Länder standardisierte Unbedenklichkeitsprüfungen für den Einsatz von neuen Avermectin-Derivaten. Jetzt zeigt ein internationales Forschungsteam unter der Leitung von Wolf Blanckenhorn, Evolutionsbiologe an der Universität Zürich, dass die heute angewandten Unbedenklichkeitsprüfungen die Umweltschäden nicht ausreichend verhindern können: Selbst einander nah verwandte Dung-Organismen reagieren unterschiedlich empfindlich auf dasselbe Tiermedikament.

Blanckenhorn und seine Kollegen untersuchten dreiundzwanzig typischerweise als Larven in Kuhdung lebende Schwingfliegen-Arten. «Die einzelnen Arten unterscheiden sich bis zu einem Faktor 500 in ihrer Empfindlichkeit gegenüber Ivermectin», erläutert der Evolutionsbiologe die Resultate. Die heute in der Toxikologie im Labor praktizierten standardisierten Unbedenklichkeitsprüfungen stützen sich dagegen nur auf einzelne, willkürlich gewählte Dung-Organismen ab. «Das Risiko ist gross, dass die empfindlicheren Arten weiterhin durch Ivermectin geschädigt werden und dadurch wichtige Ökosystem-Funktionen langfristig Schaden nehmen», gibt Blanckenhorn zu bedenken. Um dies zu verhindern, sollten Unbedenklichkeitsprüfungen zumindest auf eine repräsentative Auswahl aller Dung abbauenden Organismen ausgedehnt werden. «Doch solche Tests würden den Zulassungsprozess neuer Medikamente massiv verteuern und von den ausführenden Personen spezialisierte biologische Fachkenntnisse verlangen», so der Biologe. Aus diesem Grund sollte ein Freilandtest entwickelt werden, der auf einer genetischen Methode zur Artenbestimmung basiert, dem sogenannten DNA-Barcoding.

Evolutionsbiologische Erkenntnisse
In ihrer neuen Studie bestätigen die Autoren zudem, dass sich im Laufe der Evolution durch bereits vorhandene genetische Änderungen zuerst die Empfindlichkeit von Häutungstieren und später auch die Unempfindlichkeit einzelner Arten gegenüber Avermectinen entwickelt hat, also schon lange vor dem Kontakt mit dem Medikament. Somit bestätigt ihre Arbeit auch die immer noch umstrittene molekulargenetische Einordnung der Rundwürmer (Nematoden) und Gliederfüsser (Arthropoden) zu den Häutungstieren, da nur diese empfindlich auf Avermectine reagieren.

Das Medikament Ivermectin
Ivermectin wurde in den späten 1970er Jahren in Japan entdeckt und hat seither besonders in den Tropen die Lebensqualität von Millionen von Menschen verbessert: Flussblindheit, Krätze und Fadenwürmer im Darm können dank Ivermectin erfolgreich kuriert werden. Ivermectin wird auch im Bereich der Nutztierhaltung weltweit eingesetzt.

Literatur:
N. Puniamoorthy, M. A. Schäfer, J. Römbke, R. Meier, and W. U. Blanckenhorn. Ivermectin sensitivity is an ancient trait affecting all ecdysozoa but shows phylogenetic clustering among sepsid flies. Evolutionary Applications, April 14, 2014. doi: 10.1111/eva.12152

W. U. Blanckenhorn, N. Puniamoorthy, M. A. Schäfer, A. Scheffczy, and J. Römbke. Standardized laboratory tests with 21 species of temperate and tropical sepsid flies confirm their suitability as bioassays of pharmaceutical residues (ivermectin) in cattle dung. Ecotoxicology and Environmental Safety. March 2013. doi: 10.1016/j.ecoenv.2012.10.020

Kontakt:
Prof. Dr. Wolf U. Blanckenhorn
Institut für Evolutionsbiologie und Umweltwissenschaften
Universität Zürich
Tel. +41 44 635 47 55
E-Mail: wolf.blanckenhorn@ieu.uzh.ch

http://www.mediadesk.uzh.ch

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Nathalie Huber Universität Zürich

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