Mundartsprecher sind beharrlich

Zu diesem Befund gelangt eine aktuelle Studie, die der Marburger Sprachwissenschaftler Dr. Alfred Lameli gemeinsam mit Ökonomen vom Max-Planck-Institut für Ökonomik, dem „Ifo-Institut für Wirtschaftsforschung“ und der Duisburger „Mercator-School of Economics“ vorgelegt hat. Die Wissenschaftler untersuchten, ob kulturelle Grenzen den ökonomischen Austausch zwischen Regionen behindern. „Die Ergebnisse legen nahe, dass der wirtschaftliche Austausch von kulturellen Identitäten beeinflusst wird, die sich in der Vergangenheit ausgebildet haben“, schlussfolgern die Autoren.

Die Forscher bedienten sich eines ungewöhnlichen Ansatzes: Sie korrelierten Migrationsdaten der Jahre 2000-2006 mit Sprachdaten aus dem 19. Jahrhundert. Dahinter steht die Annahme, dass die räumliche Verteilung der historischen Dialekte kulturelle Unterschiede zwischen den Regionen widerspiegelt.

Die Verteilung der deutschen Mundarten im Raum ist das Ergebnis jahrhundertelanger Prozesse: Historische Wellen von Massenmigration, religiöse und politische Teilungen, Handelsrouten. In manchen Regionen verlaufen die Dialekte analog zur historischen Verteilung von Katholiken und Protestanten, in anderen analog zu historischen Territorien, wieder andernorts in Abhängigkeit naturräumlicher Bedingungen. Und natürlich entwickeln sich die Sprachvarianten als Mittel der Kommunikation im Kontakt der Sprecher. Insofern fungieren Dialekte als „eine Art regionalen Gedächtnisses“, wie die Autoren schreiben. Auf diese Weise bildet die Sprache Identitäten ab, die – so zeigt die Studie – die Zeit überdauern und den Raum prägen, obwohl heute weniger Dialekt verwendet wird als früher und die Menschen insgesamt mobiler geworden sind.

Zwar haben auch bekannte Größen wie Reisezeiten, politische Grenzen, naturräumliche Bedingungen oder Urbanität ihren Einfluss. Aber das Migrationsverhalten lässt sich am Besten über die Sprachähnlichkeit erklären. So zeigen die Autoren mittels statistischer Verfahren, dass zwischen Regionen mit ähnlicher Mundart auch dann mehr Migration nachweisbar ist, wenn man die Effekte des geografischen Abstandes herausrechnet. Dialektähnlichkeit liegt gewissermaßen quer zur räumlichen Distanz, weil in der Sprache eben vor allem kulturelle Faktoren zum Tragen kommen. In der Südwestecke von Baden-Württemberg zum Beispiel findet man eine winkelförmige Verteilung von Dialekten, die der Waldshuter Mundart gleichen – abhängig von der historischen Konfessionszugehörigkeit.

Methodisch kommt den Forschern entgegen, dass kein kulturelles Merkmal so präzise messbar und aussagekräftig ist wie die Sprache. Die Autoren profitieren von einer einmaligen Datenlage, nämlich einer Totalerhebung der deutschen Dialekte im ausgehenden 19. Jahrhundert. Zwischen 1879 und 1888 führte der Sprachwissenschaftler Georg Wenker von Marburg aus eine Erhebung der deutschen Dialekte durch, indem er an über 45.000 Orten des Deutschen Reichs hochsprachliche Sätze dialektal übersetzen lies. So entstand ein umfassendes Bild der regionalen Unterschiede des Deutschen.

Die Befunde der Studie deuten darauf hin, dass es strikte kulturelle Grenzen innerhalb eines Landes gibt, die den ökonomischen Austausch zwischen den Regionen beeinflussen: „Diese Grenzen sind sehr zeitbeständig“, konstatieren die Verfasser. „Sie haben sich über Jahrhunderte hinweg entwickelt und werden vermutlich auch in Zukunft bestehen. Selbst innerhalb eines geografischen Nahbereichs scheinen Menschen im Durchschnitt nicht Willens zu sein, in eine kulturell unvertraute Umgebung umzuziehen.“ Die Existenz kultureller Grenzen behindert offensichtlich die Vereinheitlichung des nationalen Arbeitsmarktes.

Die Studie findet sich im Internet unter: http://ftp.iza.org/dp4743.pdf

Weitere Informationen:
Ansprechpartner: Dr. Alfred Lameli,
Forschungszentrum Deutscher Sprachatlas
Tel.: 06421 28-22483
E-Mail: lameli@staff.uni-marburg.de

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Johannes Scholten idw

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