Mammut als Nahrungsergänzung bei Neandertalern

Ansicht der Fundstelle La Cotte de St Brelade auf der Insel Jersey, Großbritannien. Ein Großteil der Knochen stammt aus den Ausgrabungen unter dem Granitbogen links im Bild ist. Foto: Geoff Smith, MONREPOS

Überlebensstrategien und Ernährungsweise von Neandertalern spielen eine herausragende Rolle für das Verständnis der frühen Menschheitsgeschichte und die Entwicklung unseres heutigen Verhaltens. Besondere Aufmerksamkeit erfahren sie seit dem Nachweis einer genetischen Verwandtschaft von Neandertalern und anatomisch modernen Menschen.

Archäozoologische Untersuchungen der Jagdbeutereste zeigen, dass Neandertaler raubtierartig lebten, erfolgreiche Großwildjäger und ausgemachte Fleischfresser waren. Isotopenanalysen sprechen sogar dafür, dass Mammuts ganz oben auf dem Speiseplan der Neandertaler standen. Sie zu jagen ist keine Kleinigkeit, werden Mammuts doch über 3m hoch und wiegen bis zu 6t. Nur: deren Knochen finden sich vergleichsweise selten auf den Fundplätzen dieser Zeit.

Die Frage, welche Rolle Mammut und Wollnashorn tatsächlich in den neandertalerzeitlichen Ernährungsstrategien und Landnutzungssystemen spielten, wie gezielt und häufig Neandertaler den Kampf mit den Riesen aufnahmen, steht deshalb im Fokus der Forschungen von Dr. Geoff Smith. Dazu hat er zunächst die Jagdbeutereste des Fundplatzes La Cotte de St. Brelade (Insel Jersey, Großbritannien) analysiert. Und auf dieser Basis die Rolle des Mammuts für die Ernährung in der Zeit vor 300.000 bis 35.000 Jahren europaweit im Kontext der Umweltgeschichte evaluiert.

Die Fundstelle La Cotte des St. Brelade liegt am äußersten Nordwestrand der Neandertalerzeitlichen Welt. Sie spielt eine Schlüsselrolle zum Verständnis der damaligen Jagd- und Ernährungsweise: „Hier wurden richtige Mammutknochenhaufen ausgegraben, das gibt es so nirgendwo sonst. Früher dachte man deshalb sogar, die Neandertaler hätten hier ganze Mammutherden bei Treibjagden abgeschlachtet. “, so Geoff Smith. Neue topographische Untersuchungen der Fundstelle und Analysen der Knochenreste fanden dafür zwar keine Belege; ganz sicher hat man jedoch über einen langen Zeitraum immer wieder in La Cotte gejagt und die riesigen Beutetiere hier effizient ausgeschlachtet.

Um zunächst die Funktion der Fundstelle La Cotte de St. Brelade und die Überlieferungsgeschichte der Knochen rekonstruieren zu können, hat der Archäozoologe sie akribisch nicht nur nach Tierarten und Körperteilen bestimmt, sondern auch auf Verwitterung, Brandspuren, Raubtierverbiss und Fragmentierungsweise untersucht. Im Gegensatz zu den anderen Fundplätzen dieser Zeit überwiegen in La Cotte Mammute und Wollnashörner unter den Jagdbeuteresten vor kleineren Rindern, Hirschen und Pferden. Smith fand bei seinen Analysen viele Schnitt- und Schlagspuren auf den Mammutknochen. Sie belegen, dass die Tiere hier zerlegt und entfleischt wurden. Man nutzte auch Hirn und Knochenmark und verbrannte viele Knochen anschließend, vielleicht als Holzersatz.

„Die Jäger in La Cotte waren trotzdem keine spezialisierten Mammutjäger. Die Tierknochen zeigen, dass Neandertaler hier und anderswo ganz opportunistisch vorgegangen sind; ihre Ernährungsstrategien waren viel komplexer, als man lange Zeit dachte. Neandertaler haben verschiedene Tiere im Verlauf der Zeit unterschiedlich intensiv bejagt. Meist waren das mittelgroße Pflanzenfresser wie Wildrinder oder Pferde. Mammuts waren eher so eine Art Nahrungsergänzung, mit der man auf Klima- und Umweltschwankungen reagieren konnte“, so Smith.

Seine Studien zeigen auch: es bedarf diachroner, disziplinübergreifender Forschungen, die sowohl den ökologischen und sozialen Kontext, als auch die Überlieferungsgeschichte der Funde einschließen. Erst auf dieser Basis lässt sich unsere Verhaltensentwicklung in der frühen Menschheitsgeschichte entschlüsseln.

Publikation

G. M. Smith, Neanderthal megafaunal exploitation in Western Europe and its dietary implications: A contextual reassessment of La Cotte des St Brelade (Jersey). Journal of Human Evolution.
http://dx.doi.org/10.1016/j.jhevol.2014.10.007

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MONREPOS Archäologisches Forschungszentrum und
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