Luxemburger Forscher entschlüsseln, wie der Körper Stammzellen steuert

Luxemburger Forscher entschlüsseln, wie der Körper Stammzellen steuert ScienceRelations

„Diese Erkenntnis kann uns in Zukunft dabei helfen, Stammzelltherapien zu verbessern, so Dr. Alexander Skupin, Leiter der Arbeitsgruppe „Integrative Cell Signalling“. Das Team des LCSB hat seine Ergebnisse jetzt im wissenschaftlichen Fachjournal PLOS Biology (DOI:10.1371/journal.pbio.2000640) veröffentlicht.

Obwohl alle Zellen eines Organismus die gleiche genetische Bauanleitung, die DNA, besitzen, arbeiten manche von ihnen beispielsweise als Blut- oder Knochen-, andere dagegen als Nerven- oder Hautzellen. Zwar verstehen Forscher mittlerweile recht gut, wie einzelne Zellen funktionieren. Doch wie es dem Körper gelingt, aus dem gleichen genetischen Strickmuster verschiedene Zelltypen entstehen zu lassen und an die richtige Position im Organismus zu bringen, ist weitgehend unklar.

Um diesen Prozess besser verstehen zu können, haben Alexander Skupin und sein Team Blutstammzellen von Mäusen mit Wachstumshormonen behandelt und sich dann genauer angesehen, wie sich diese Vorläuferzellen während der Differenzierung in weiße oder rote Blutkörperchen verhalten. Dabei beobachteten die Forscher, dass diese Verwandlung nicht gradlinig und zielgerichtet verläuft, sondern vielmehr opportunistisch:

Die Vorläuferzelle passt sich den Bedürfnissen der Umgebung an und gliedert sich im Körper dort ein, wo neue Zellen gebraucht werden. „Es ist also nicht so, dass die Zelle einmal am Anfang ihrer Differenzierung einen Fahrschein zieht und dann direkt bis ans Ziel fährt. Sie steigt vielmehr zwischendurch öfter aus und schaut dann, welche Fahrtrichtung die beste für sie ist“, erläutert Alexander Skupin.

Durch diesen ausgeklügelten Mechanismus gelingt es dem mehrzelligen Organismus, den Nachwuchs neuer Zellen an den aktuellen Bedarf anzupassen: „Bevor sich die Vorläuferzellen endgültig ausdifferenzieren, verlieren sie zunächst ihren Stammzellcharakter und schauen dann quasi, welche Zelllinie gerade gefragt ist. Erst dann verwandeln sie sich in den Zelltyp, der am besten zu ihren Eigenschaften passt und der in ihrer Umgebung vorherrscht“, so Alexander Skupin.

Der Forscher vergleicht diesen Schritt mit einem Roulettespiel, in der die unterschiedlich nummerierten Vertiefungen des Roulettekessels, in die die Kugel fallen kann, den verschiedenen Zelltypen entsprechen. „Wenn die Zellen ihren Stammzellen-Charakter verlieren, werden sie quasi in den Roulettekessel hineingeworfen und wandern dann zunächst ziellos in ihm umher. Erst wenn sie das die passende Umgebung gefunden haben, landen die Zellen – so wie die Roulettekugel in einem nummerierten Fach – darin und differenzieren sich endgültig.“

Damit kann der Körper für einen geordneten Zellnachwuchs sorgen und gleichzeitig verhindern, dass Stammzellen frühzeitig fehlgeleitet werden: „Denn auch wenn eine Zelle eine falsche Richtung einschlägt, wird sie spätestens dann aussortiert, wenn ihre Eigenschaften nicht geeignet sind für die Nische bzw. das Fach, in dem sie gelandet ist“, so Skupin.

Mit ihrer Studie haben Alexander Skupin und sein Team erstmals zeigen können, dass das spätere Schicksal einer Vorläuferzelle nicht eindeutig vorgezeichnet ist und auf einer geraden Schiene verläuft. „Diese Beobachtung widerspricht der gängigen Lehrmeinung, dass Stammzellen von Anfang an in eine bestimmte Richtung programmiert werden“, so Alexander Skupin.

Der Forscher ist sich zudem sicher, dass die Abläufe bei anderen Vorläuferzellen ähnlich sind: „Bei so genannten iPS Zellen, also induzierten pluripotenten Stammzellen, die sich in viele unterschiedliche Zelltypen verwandeln können, haben wir im Labor das gleiche Differenzierungsmuster beobachtet.“

Dieses Wissen kann den Forschern in Zukunft dabei helfen, die Wirksamkeit von Stammzelltherapien zu verbessern. Bei dieser Art von Behandlung werden den Patienten körpereigene Stammzellen verabreicht, um Zellen zu ersetzen, die bei den Betroffenen krankheitsbedingt absterben, wie beispielsweise bei der Parkinsonschen Krankheit. Zwar wird seit vielen Jahren intensiv daran geforscht, diese vielversprechende Behandlungsmethode einzusetzen.

Doch bisher hat die Therapie mit körpereigenen Stammzellen nur wenig klinische Fortschritte gebracht. Sie ist zudem umstritten, da sie häufig von starken Nebenwirkungen begleitet wird und nicht ausgeschlossen werden kann, dass bestimmte Zellen entarten, also Krebs auslösen. „Da wir nun besser verstehen, wie der Körper die Richtung beeinflusst, in die sich Stammzellen differenzieren, können wir diesen Prozess in Zukunft hoffentlich besser steuern“, so Alexander Skupin.

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Thomas Klein idw - Informationsdienst Wissenschaft

Weitere Informationen:

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