Körperhaarentfernung bei immer mehr jungen Erwachsenen im Trend

Das geht aus einer Untersuchung hervor, die von Professor Elmar Brähler und Dr. Aglaja Stirn mit Hilfe des Diplomanden Tim Kühne an der Universität Leipzig, Selbstständige Abteilung für Medizinische Psychologie und Medizinische Soziologie, an einer studentischen Stichprobe durchgeführt wurde.

Der Studie zufolge befand sich der Anteil der Teilnehmerinnen, die überhaupt kein Körperhaar entfernen, auf interferenzstatistisch nicht verwertbarem Niveau. In der Untersuchung wurde bei Männern die Bartrasur nicht mit einbezogen.

Beachtlich auch die Anzahl gleichzeitig enthaarter Körperpartien: 89 Prozent der Frauen, die sich regelmäßig rasieren/epilieren/trimmen, tun dies an drei oder mehr Körperpartien. Fast die Hälfte der Frauen (48 Prozent) enthaaren sich vier Körperpartien gleichzeitig. Das sind vor allem Beine, Achselhöhlen, der Genitalbereich und die Augenbrauen. Bei Männern, die sich abgesehen vom Bart Körperhaar entfernen, werden zu mehr als 50 Prozent zwei oder drei Körperpartien einbezogen. Männer rasieren sich vor allem die Achselhöhlen, Genitalbereich oder Oberkörper.

Insgesamt wurden 314 Studentinnen und Studenten befragt, davon 219 Frauen und 95 Männer. Der Altersdurchschnitt der Stichprobe lag bei rund 23 Jahren. Mehr als drei Viertel der Befragten studierten zum Zeitpunkt der Befragung Humanmedizin (45 %) oder Psychologie (34 %). Auch wenn die Anzahl vergleichbarer Studien sehr gering ist, lässt sich eine deutliche Zunahme der Personen beobachten, die Körperhaar entfernen, und eine Zunahme der Körperregionen, die dieser Modifikation unterzogen werden.

Warum unterziehen sich junge Menschen einer solch aufwändigen Prozedur? Bei der Frage nach den Gründen wird bei Befragungen immer wieder das Wechselspiel zwischen individueller Attraktivität und gesellschaftlicher Normativität angegeben.

Untersuchung unterstützt entpathologisierte Sichtweise

Die hier zitierte Untersuchung an der Universität Leipzig, Selbstständige Abteilung für Medizinische Psychologie und Medizinische Soziologie, unterstützt eine entpathologisierte Sichtweise auf das Phänomen „Körperhaarentfernung“. So leiden Personen, die sich die Arbeit einer aufwändigen Haarentfernung machen, nicht an einer Störung ihres Selbstwertes. Ebenfalls nicht zu beobachten ist ein besonders ausgeprägtes Persönlichkeitsmerkmal „Sensation Seeking“ – also das Bedürfnis nach ständig neuer Stimulation und hoher Erregung.

Männer: Höhere Extraversionswerte

Mittels des eingesetzten Persönlichkeitstests (Kurzversion des NEO-FFI) konnte auf den fünf Persönlichkeitsdimensionen Neurotizismus, Extraversion, Offenheit für Erfahrungen, Verträglichkeit und Gewissenhaftigkeit nur auf einer Dimension eine Abweichung beobachtet werden. So weisen Männer, die regelmäßig zwei oder mehr Körperregionen enthaaren, erhöhte Extraversions-Werte auf. Männer, die sich mehrere Körperpartien rasieren, sind also sozial aktiv, geselliger, beschreiben sich als selbstsicherer und optimistischer.

Gründe für hohe Anzahl von Intimrasuren

Zusätzlich interessant erscheint die Frage nach den Gründen einer Intimrasur. Unserer Untersuchung zufolge, nehmen eine ausgesprochen große Zahl von 88 Prozent der Frauen (und 67 Prozent der Männer) diese Form der Körpermodifikation vor. Speziell bei der Frage der hohen Zahl der (Genital-)-Haarentfernung bei Frauen können aus unserer Sicht zwei Ansätze zur Erklärung beitragen:

Der Infantilisierungsansatz diskutiert vorpubertäres Aussehen als Zeichen der Sexualabwehr. Durch die umfängliche Rasur wird sexuelle Unreife und damit Ungefährlichkeit signalisiert. Die Frau macht sich durch Epilation zu einem verletzlichen, unbedrohlichen Kind. Sie schützt sich aus Sexualangst vor reifer, genitaler Sexualität. Durch die Verwandlung der Frau in ein ungefährliches Kind wird beim Mann das Überlegenheitsgefühl bestärkt.

Im Gegensatz zu diesem Ansatz, der Intimrasur als Ausdruck und Unterstützung patriarchaler Sexualität begreift, kann Haarentfernung im Genitalbereich auch als Zeichen gesteigerter weiblicher Emanzipation begriffen werden. Denn Intimrasur schafft visuelle Anreize. Diesem Ansatz zufolge, der hier als visueller Ansatz diskutiert wird, bietet Schamhaar visuellen Schutz, eine visuelle und taktile Barriere. Durch Entfernung der Haare wird weibliches Genital sichtbarer. Die Frau kann sich durch Sichtbarmachung ihrer Genitalien ihrer Sexualität bewusster werden. Demzufolge wäre Rasur als Zeichen eines gewachsenen weiblichen Selbstbewusstseins zu verstehen.

Zu betonen ist, dass nur die genaue Betrachtung des Einzelfalls klären kann, ob es sich bei der Intimrasur um eine Form der Sexualabwehr oder ein Mittel zur Steigerung der Sexualität handelt. Bedacht werden muss auch, dass in vielen Kulturen die Rasur im Kontext von Initiationsriten vorgenommen wird um Übergänge in neue Lebensphasen zu markieren.

„Über kurz oder lang wird wieder üppig wachsendes Haar als schick gelten“

Zusammenfassend lässt sich hierzu jedoch sagen, dass beiden dargestellten psychosozialen Deutungsansätzen ein allgemeiner kultureller Trend zugrunde liegt. „Dies gilt für Achseln und Beine genauso wie für den Genitalbereich. Knapper werdende Badebekleidung sowie die starke Präsenz von Nacktheit in den Medien tragen dazu bei, dass sich für diese Bereiche ästhetische Normen herausbilden“, erklärt Professor Brähler und führt fort: „Speziell für den Bereich der Intimrasuren bei Frauen, lässt sich sagen, dass es die 'neue' Sichtbarkeit der äußeren weiblichen Genitalien ist, die dazu führt, dass sich auch hier Schönheitsnormen herausbilden: Erstmals entwickelt sich eine allgemeingültige – für weite Schichten der Bevölkerung – verbindliche Intimästhetik. Eine bis dato primär zur Privatsphäre zählende Körperregion – die Schamregion – unterliegt fortan einem Gestaltungsimperativ.“ Frau Dr. Stirn ergänzt: „Und so verwundert nicht, dass sich immer mehr Frauen für die Option interessieren, auch im Intimbereich Korrekturen durch chirurgische Eingriffe vornehmen zu lassen oder es mit einem Piercing zu versehen, da dieser Bereich dem Auge mehr zugänglich geworden ist.“

Durch die massenhaft mediale Sichtbarkeit vorrangig der weiblichen Genitalien wird ein Körperbereich medial kolonisiert und gleichsam zu einem öffentlichen Raum. So ist davon auszugehen, dass das aktuelle Modeideal der „glatt rasierten Scham“, wie jede andere Mode, auch wieder aus der Mode kommt. „Über kurz oder lang wird wieder üppig wachsendes Haar als schick gelten“, so Professor Brähler.

Für weiterführende Informationen sind folgende Publikationen zu empfehlen:

Borkenhagen, Ada; Brähler, Elmar (Hrsg.):
psychosozial 112 – „Intimmodifikationen“
Erschienen im Psychosozial-Verlag (http://www.psychosozial-verlag.de)
ISBN-13: 01713434
Turkof, Edvin, Sonnleitner, Elis:
„Schamlippenkorrektur“
Erscheint im November 2008 im Maudirch-Verlag (http://www.maudrich.com/index.html)

ISBN 3-85175-897-8

weitere Informationen:

Prof. Dr. Elmar Brähler
Telefon: 0341 97-18800
E-Mail: elmar.braehler@medizin.uni-leipzig.de

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